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Foto: Falk von Traubenberg

Theaterpreis
für Anne Simmering

von Alice Natter

Dieser Spieltrieb. Dieses Ausdrucksbedürfnis, dieser Bewegungsdrang. Und was für eine Energie! Wenn Anne Simmering auf der Bühne steht, ist die Luft geladen. Dann flirrt es. Prickelt es, surrt es – Hochspannung! Wie erklärt sie sich das? Vielleicht sei sie als Kind »zu oft und zu lang in der Kirche gesessen«, überlegt die Schauspielerin und legt die Stirn in Falten. Und lacht. Weil Kirchenräume für sie immer Bühnenräume waren. Räume, die einfach bespielt werden müssen. Räume! Am besten hoch und weit und groß. Vorne stehen, was singen, das tat Anne Simmering schon zu Kinderchor-Zeiten gern. Fast so gern, wie zu Musik Rollschuh zu laufen. Wie gut nur, daß sie damals nach dem Abi den Plan, Theologin zu werden, doch noch aufgab. Sonst hätten die Zuschauer des Mainfranken-Theaters der 32jährigen nun nicht den Theaterpreis 2006 verleihen können …

Was kam statt des Theologie-Studiums? Erst eine Zeit in Irland. Dann ein Rhythmik- und Musikstudium in Köln. Dann ein Schauspielstudium am Rose Bruford College in London. Nur Musik – das war der energiegeladenen Frau, die gerne Sprache mit Bewegung und Bewegung mit Musik und Musik mit Sprache und alles miteinander verbindet, nicht genug. Im Bewegungstheater, im modernen Musiktheater fand Anne Simmering sich und ihre Leidenschaften wieder. »Acting durch Songs, Spielen durchs Lied – das ist das Größte«, sagt sie, Glanz in den Augen. Wenn es im Deutschen nur einen ähnlich schönen Begriff gäbe wie den »Singing Actor« … In Würzburg durfte die Schauspielerin (die sich unbedingt zunächst als Schauspielerin versteht, auch wenn sie gerne singt) gleich in ihrer ersten Rolle in der Spielzeit 2004/05 ihr musikalisches Können aufblitzen lassen. Als Leontine in Marivaux’ »Triumph der Liebe«. Und dann natürlich, vergangene Saison, im Publikumsrenner »Orpheus«, mit dem das Musiktheater-Ensemble das Theater rockte. Beide Male hieß der Regisseur Bernhard Stengele. Der Schauspieldirektor mit dem Händchen für die richtige Besetzung ließ das neue Theater-Mitglied austoben. In der erfrischend-knackigen Operette verkörperte Simmering, die Schauspielerin, die »Öffentliche Meinung«. Über die Rolle, die ihr so viel Spaß machte und die sie so kostbar fand und die die Main-Post bei der Premierenkritik nur in Klammern erwähnte, ist Anne Simmering heute noch ganz verzückt. Und dem Regisseur noch immer dankbar. Singen, spielen, tanzen, ins Publikum gehen und improvisieren, austesten, was von den Zuschauern kommt – was für ein Spaß!

»Hibbelig«, das war das Attribut, das der Main-Post-Kritiker damals in der Klammer für Simmering als »Meinung« fand. So etwas trifft. Auf den Punkt? Ins Mark. Aber nur kurz. Sie weiß ja, daß sie mit ihrer Energie, ihrer Art manchmal die Nerven der Mitmenschen strapaziert. Ist halt so. Anne Simmering kann damit leben. Und zwar ganz gut. Sie versteht die viele Energie zu nutzen. Als Aase, die Grüne und Solvejg war sie in »Peer Gynt« gerade in drei Rollen zu sehen. »Eine wahnsinnige Chance« habe sie da bekommen, sagt die Kölnerin. Nicht nur wegen der Dreifach-Besetzung, mit der sie – spätestens – zum Publikumsliebling am Mainfranken Theater wurde. Nein, auch und gerade weil sie die harte Arbeit mit Regisseurin Nada Kokotovic, der Meisterin des Choreodramas, genoß.

Drei Rollen im »Peer Gynt« auf der sehr weiten, fast leeren Bühne – das war etwas für die Liebhaberin großer Räume. Aber Anne Simmering wäre nicht Anne Simmering, wenn sie nicht auch die kleinen Bühnen, die ganz intimen Räume lieben und liebend gerne bespielen würde. Das tut sie, wann immer die Zeit bleibt, mit drei Musikern, ihren »zarten Jungs.« Vor sechs Jahren hat sich die Band erstmals zur »Cologne Jazz Night« zusammengefunden. Zum Jazz sind Chansons gekommen. Heute erzählt die Sängerin mit ihrer Combo ganze Geschichten und kleine Dramen. Die Lieder von Friedrich Hollænder und Claire Waldorff aus den 1920er Jahren haben es »Anne & den zarten Jungs« angetan, die arrangieren sie eigenwillig und experimentierfreudig um. Neuestes Programm: »Gestohlene Lieder«.
Wer am Mainfranken-Theater »Singles« sah, die Poperette, und beim Brecht-Heine-Abend mit Simmering und Bernhard Stengele das »Feigenblatt« knistern hörte, kann sich die Frontfrau Anne gut vorstellen.

Was bringt die Zukunft? Die nahe erst einmal Mitte Februar die Premiere von Schillers »Maria Stuart« mit der Theaterpreisträgerin in der Hauptrolle. Und irgendwann vielleicht einmal wieder London. Deutsche Lieder vor britischem Publikum. Das wär’s. Die Luft wäre geladen. ¶