Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Tokio
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Vorsicht Musik!

Das Al Maslakh Ensemble live im CLub W71 in Weikersheim

von Rigobert Dittmann

Daß der Club W 71 in Weikersheim am 28. November 2006 das einzige Konzert des Al Maslakh Ensembles hierzulande ermöglichte, spricht Bände über den Kulturstandort Deutschland und seine Lippenbekenntnisse zum Multikulturalismus. Aber noch gibt es sie, die Neugierigen, die die gute Gelegenheit nutzten, leibhaftig zu erfahren, daß im Libanon eine kleine, aber extrafeine Szene sich der supranationalen Kunst der Freien Improvisation verschrieben hat.

Einzigartig für den Kulturraum, der zur Zeit zum Feindbild der westlichen Zivilisation zurechtgestutzt wird, existieren in Beirut mit Mill ein Zusammenschluß von avantgarde-orientierten Musikern, mit Irtijal ein Festival der Freien Improvisation und mit Al Maslakh, zu deutsch »Schlachthaus«, sogar ein CD-Label, das diese Aktivitäten dokumentiert. Auf Einladung des Schweizer Bassisten und Klarinettisten Paed Conga, der im Club W 71 schon mit Blast und Saadet Türkös gastiert hatte, präsentierte die Al Maslakh-Crew ihre Klangkunst Ende November in Bern – mit anschließendem Abstecher nach Weikersheim.

Zusammen mit Conga und Michael Zerang, jenem mit dem Peter Brötzmann Chicago Tentet auch schon im Kult (in Niederstetten) zu bewundernden Drummer, zeigten sich der Trompeter Mahzen Kerbaj, der Kontrabassist Raed Yassin, der Gitarrist Sharif Sehnaoui und die Altsaxophonistin Christine Sehnaoui als engagierte Vertreter der Freien Improvisation in ihrer aktuellsten, nämlich äußerst geräuschverliebten und an Mikroprozessen, Klangfarben und feinen Dynamikabstufungen interessierten Form. Den noch nicht Eingeweihten deutete bereits das auf der Bühne ausgebreitete Arsenal an Spielsachen an, daß das Al Maslakh Ensemble als Jäger und Sammler von Klängen auftreten würde, die man erst knacken oder hervorkitzeln muß.

Kerbaj z. B. setzte seine Trompete seltener an die Lippen als zwischen die Knie (!), um die Luft per Schlauch oder Gummi zuzuführen und um jedes so hervorgepreßte Tönchen mit Keksdosendeckeln zu dämpfen und zu modifizieren. Yassin nutzte den Baß überwiegend als großen Klangkasten, als Stoßkante für einen Ventilator oder Ablage für ein Miniradio, mit dem er, beim Surfen nach dem Zufallsprinzip, sogar die Kanzlerin persönlich auf die Bühne stellte. Zerang, optisch ein massiver und bäriger Typ, scheint mit Samthandschuhen geboren zu sein. So delikat und sanft ging er mit seinem Schlagwerk zu Werke, mit Fingerspitzen, Klöppeln, ebenfalls einem kleinen Ventilator oder elektrisch induzierten Vibrationen der Cymbals, daß man ihn für die Mutter der Porzellankiste hätte halten können. Conga wechselte von einem übers Knie gelegten E-Baß, den er perkussiv nach Holzwürmern abklopfte, zu ausdauerndem Klarinettengefiepe, mal mit, mal ohne Mundstück. Mr. Sehnaoui operierte zuerst mit einer akustischen Gitarre, der er per Präparationen Gezirpe und Geflirre entlockte, im zweiten Set dann mit einer elektrisch verstärkten, zwischen deren Saiten er Stifte flattern ließ oder Feedbackgedröhn entlockte. Einzig Mrs. Sehnaoui kam ohne Gimmicks aus, aber nur um vorzumachen, daß ein Altosax etwas ist, dem man mit akribischen Zirkularatmungs- und Überblastricks erstaunliche Geräusche abzwingen kann. Dabei dämpfte sie ihr Fauchen, Krächzen und Zischen oft wieder am Oberschenkel ab, immer in ganz konzentrierter Gratwanderung zwischen genau dosierten und abgeschatteten Geräuschnuancen. Da mußten Kenner der Materie schnell den Voyeur gegen den respektvoll Staunenden tauschen.

Was ergab das atonale Geplänkel aber in der Summe seiner teilweise etwas zu eifrigen und kanonkonformen Detailversessenheit? Eine Demonstration von Finessen. Ein Lobgesang der gegenseitigen Vor- und Rücksicht, des Heiklen und Fragilen. Flache Hierarchie als Praxis. Gut und schön. Aber wo steckt da der musikalische Mehr- und Nährwert? Den Anwesenden war die Antwort klar geworden, erst recht nach dem zweiten Set, der dichter und dröhnender gewoben war. Sie verlangten eine Zugabe und bekamen noch ein ›Traditional‹ zu hören. Das freilich vom vorher Gehörten sich unterschied wie ein Jackson Pollock vom anderen. Konsequent abstrakt, konsequent nichtfolkloristisch, ohne Exotenbonus, schon gar nicht ›arabesk‹. Aber ebenso konsequent der Lust am Spielen und der Zärtlichkeit verschrieben.

Im Libanon kommen die Al Maslakhs sich vor wie Aliens. Aber ich müßte lügen, wollte ich sagen, daß es hierzulande, geschweige denn hier, anders ist: In unserem Städtchen scheint mehr denn je das Motto »VORSICHT MUSIK!« Konjunktur zu haben. Die Galerie nulldrei hatte im Immerhin bei Squartet 20, bei The Hub 12, bei Testadeporcu sechs und beim Lou Grassi-Günter Heinz Duo drei zahlende Zuhörwillige. Das kann nicht allein am Banausentum der adult-oriented Jazz- & Artrock-Klientel oder an der narzißtisch-snobistischen Selbstgenügsamkeit des studentischen Milieus liegen. Da scheint mir eher ein Instinkt im Spiel, der sich schützend vor die Gefahr einer robusten musikalischen Erfahrung stellt.

In unserem Secondhand-Tempel »Musicland« in der Peterstraße begegnete mir dieser Instinkt in Gestalt einer Orgel-und-dergleichen-geeichten Tante, die durch die ersten Takte von Chris Newmans * sarkastischer Kunstliedimplosion »It wouldn’t do you any harm« (sic!) völlig ins Rotieren kam: »MACH’S AUS … DES IS JA FURCHBAR … AUS!! … SCHRECKLICH!!!«

Mein Vorschlag, doch wenigstens die jedermensch gegebenen Witzreserven zu mobilisieren, wurde mir als intellektualistische Anspielung auf Frau Mustermanns IQ angekreidet. In subjektiver Notwehr begann sie die relativ indolent nach Gilbert Bécaud- und Chris de Burgh-CDs-Kramenden gegen Newman aufzuhetzen. »GELL … DES IS DOCH SCHRECKLICH!!« Zur Beschwichtigung des potenziellen Lynchmobs blieb mir nichts übrig, als vorzuschlagen, das sogenannte »Avantgarde«-Fach zum Schutz der Würzburger Bach- & Mozart-Ohren in »Vorsicht Müll«, »Ab ins Irrenhaus« (dorthin wurde in der Woche zuvor der dafür immer noch gute alte Karlheinz Stockhausen deportiert) oder am besten gleich in »Entartete Musik« umzubenennen. ¶


* Für diejenigen, die bei diesem Namen nach ihrem Publikumsjoker greifen müssen: C. Newmann (* 1958 in London, lebt in Berlin), ist ein äußerst origineller zeitgenössischer Komponist, Maler, Autor und Performancekünstler. 1980 hatte er bei Mauricio Kagel in Köln studiert und 1983 dort (u. a. mit Helmut Zerlett) die Rockband Janet Smith gegründet, die am 7. November 1984 im hiesigen AKW Furore machte und deren zweite LP 1985 bei Review Records in Würzburg erschien.
2006 wurde Newmans »Piano concerto No. 2 – Part 2« auf den Donaueschinger Musiktagen 2006 uraufgeführt.