Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Tokio
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Foto: Knud Dobberke

Daß Schütze seine Tributes durchaus mit dem nötigen Humor angeht, beweisen nicht zuletzt die charmanten, detailverliebten Illustrationen, die die beiden Will Handsome-CDs (hier »Live Fast, Love Hard, Die Young«) schmücken. Illustration: Markus Westendorf

Die Tänzerin (und Lebensgefährtin Schützes) Andrea Kneis bei einer Performance der »Improvised ambient music for dancers« im Theater Ensemble in Würzburg; im Hintergrund Chico U (links) und Stefan Hetzel (rechts).
Foto: Knud Dobberke

Kein roher, ungehobelter Entertainer

Der Würzburger Musiker Dennis Schütze im Gespräch

von Jochen Kleinhenz

Wer sich mit der lokalen Musik- und Musikerszene befaßt, wird auch auf Dennis Schütze stoßen. Den Namen. Vor allem aber die Person, denn Schütze ist ein ausgesprochener Live-Spieler, der regelmäßig solo und in unterschiedlichen Formationen anzutreffen ist: Blues, Swing, Country, Rock’n’Roll – vor der amerikanischen populären Musik des 20. Jahrhunderts, vor allem aus der ersten Hälfte, verbeugt er sich immer wieder mit einer Schar hochkarätiger Mitmusiker.

Der diplomierte Musiklehrer, 1972 in Elmshorn geboren, aufgewachsen in München und Ingolstadt, ist seit 1994 Wahlwürzburger. Seit dem Studium am Hermann-Zilcher-Konservatorium, einem Aufbaustudium in Freiburg und dem Studium der Musikwissenschaft an der Universität Würzburg tritt Schütze vor allem als Gitarrist und Vokalist in Erscheinung und garniert die handwerkliche Beherrschung des jeweiligen musikalischen Idioms mit eigener Spielfreude (etwa bei Will Handsome oder den Musikstudenten); seine eigene Autorschaft als Singer/Songwriter umfaßt Rock und Pop ebenso wie die Öffnung zu zeitgemäßen und zeitlosen Formen und Formaten. So erschien zeitgleich zur Veröffentlichung seines Albums »2174« (CD, 2004) eine CD mit einer Akustikversion seines Songs »Pictures in my mind« – als Dreingabe zu zehn meist elektronischen Überarbeitungen und Erweiterungen dieser Version durch befreundete lokale Musiker und Produzenten. Im Internet wird das Projekt fortgesetzt – inzwischen gibt es eine Reihe anderer Versionen von Musikern aus anderen Ländern, die zwei weitere CDs füllen würden und von der Projektwebseite frei heruntergeladen werden können.

Bekanntere musikalische Pfade verläßt auch Schütze gerne, um sich ab und an im experimentellen Unterholz umzutun – trotzdem schließt sich bei ihm beides nicht aus, sondern harmoniert: Im Herbst improvisierte er im Trio im Theater Ensemble an drei aufeinanderfolgenden Abenden zu Tanz und Lyrik, am 25. Januar wird er mit Andreas Obieglo (p), TC Debus (kb) und Jan Hees (dr) Stücke vom Album »2174«, aber auch sein aktuelles Projekt Sideburner (mit weiteren Country-Stücken aus den Will Handsome-Sessions) im Pleicher Hof vorstellen. Daneben läuft die Fertigstellung einer CD mit zwölf Aufnahmen, die wiederum den Faden der Trio-Improvisationen aufnehmen, unter dem Titel »Improvised ambient music for dancers«. Zusammen mit Stefan Hetzel (p) und Chico U (perc) webt Schütze hier an luftigen, transparenten Klangteppichen.

Schließlich moderiert er demnächst schon zum zwölften Mal seine monatliche Musiktalkshow »My favourite tracks«. Auch in der zweiten Staffel, die von Oktober 2006 bis März 2007 an jedem ersten Dienstag im Monat stattfindet, trifft er sich vor Publikum bei freiem Eintritt mit unterschiedlichen Akteuren der lokalen Kulturszene. Höchste Zeit also, ihm selbst ein paar Fragen zu stellen:

Woher kommt die Faszination speziell für amerikanische Musik? Nur von der Sammlung des Vaters, oder spielen da andere Anregungen auch eine Rolle?

Dennis Schütze: Amerikanische Rock-, Pop- und Countrymusik der 1950er und -60er Jahre lief bei uns zu Hause praktisch Tag und Nacht. Samstag und Sonntag dann noch die Top-40-Hitparade der jeweils aktuellen amerikanischen Pop- und Countrycharts auf AFN, dem amerikanischen Militär-Sender in München. Klassik, Jazz und deutscher Schlager spielten dagegen nur eine sehr geringe Rolle.
Auch, daß ich musikalisch noch nichts gefunden habe, was es in Sachen roher, ungehobelter Energie und Kraft mit dem amerikanischen Rock’n’Roll aufnehmen könnte: Die frühen Aufnahmen von Elvis Presley, Little Richard, Chuck Berry oder Jerry Lee Lewis zeugen noch heute von einem so gewaltigen Potential, so einer brutalen Wucht, und dabei kommt es mit so minimalen Mitteln aus.
Man kann Beispiele für diese Energie auch schon früher in der Geschichte der amerikanischen Popularmusik finden, z.B. bei Charley Patton, Bessie Smith, Blind Lemon Jefferson, Robert Johnson und Leadbelly. Das hat alles so einen immensen Druck. Das haben die Engländer oder auch die anderen Europäer nie hingekriegt. Deren Stärken lagen sicherlich woanders.

Aber Du bist ja nicht in einem Elfenbeinturm aufgewachsen, sondern hast doch auch Einflüsse über Freunde etc. mitbekommen?

Als Teenager habe ich viel frühen amerikanischen Hip-Hop gehört und bin dann über die Gitarre zu amerikanischem Folk und Country-Blues gekommen.
Mit dem Musikstudium kam eine Zeit, in der ich mich intensiv mit den verschieden Stilen beschäftigt habe, die heutzutage unter dem Begriff »Klassik« zusammengefaßt werden. Aber bereits vor Ende des Studiums habe ich in kleinen Combos als Sänger und Gitarrist außerhalb dieses klassischen Kontextes Musik gemacht und bald die ersten CDs aufgenommen.
Das lag auch daran, daß man als klassischer Gitarrist quasi arbeitslos ist, wenn man nicht noch ein oder mehrere weitere musikalische Genres abdecken kann. Musik nach amerikanischen Vorbildern, speziell der 1950er Jahre, auf der Bühne zu performen fiel mir sehr leicht – und war ja auch irgendwie naheliegend. Noch heute höre ich immer wieder die alten Aufnahmen von Hank Williams und die Sun-Sessions von Elvis Presley, Jerry Lee Lewis und Johnny Cash an – immer wieder inspirierend.

Du spielst oft und gerne mit lokalen Musikern in unterschiedlichen Projekten. Inwieweit teilen die Deine Leidenschaft für bestimmte Genres? Oder reicht Dir ein perfekter Handwerker aus, der auf Zuruf alles spielen kann?

Ich weiß nicht, ob die Musiker, mit denen ich zusammenarbeite, alles interessant finden. Aber jeder Musiker hat seine speziellen stilistischen Bereiche, wo er richtig gut ist und weiß, was er tut; und dann gibt es andere Bereiche, in denen er zwar gut durchkommt, aber sich vielleicht nicht so wohl fühlt. Ich versuche natürlich, Musiker für das jeweilige Projekt zu gewinnen, die stilsicher sind, Erfahrung haben und auch interessiert sind an der Sache selbst.
Das größte Problem ist jedoch nicht, gute Leute zu finden – da gibt es hier sehr viele – sondern jemanden, der sich mit großem Engagement auf das Projekt einlassen kann und bei dem nicht an oberster Stelle steht, ob eine Idee möglichst schnell Geld abwirft. Man weiß vorher nie, ob es irgendjemanden interessiert, was man da macht. Mit der Zeit hat man dann natürlich auch seine Pappenheimer zusammen, bei denen man weiß: Das und das, da haben die sicher Lust drauf, das wäre schon deren Ding.

Bei den musikalischen Tributes, an Charlie Christian oder Johnny Cash gerne auch abendfüllend, und mit den diversen Coverversionen verbeugst Du Dich vor Deinen persönlichen Favoriten – oft sehr »originalgetreu« …

… das mit den Tributes ist so: Ich beginne mich für einen bestimmten Stil oder Musiker zu interessieren, dann lese ich mich in das Thema ein und kaufe mir ziemlich bald die wichtigen Tonträger. Wenn mein Interesse anhält, höre ich die dann wochenlang rauf und runter und beginne mitzusingen und ungewöhnliche Parts auf der Gitarre/dem Klavier mitzuspielen. Meistens kommt dann in mir der Musikwissenschaftler durch, und ich verspüre den Wunsch, mal eine Nummer testmäßig komplett zu transkribieren und in Noten oder Tabulatur aufzuschreiben. Und dann noch eine Nummer. Und dann noch eine. Und dann spiele ich den Kram, weil er ja sowieso auf meinem Schreibtisch rumliegt zur CD dazu.
Dann ist natürlich der Schritt nicht mehr so groß, daraus ein Programm zu basteln, das einer bestimmten Ära oder einem bestimmten Künstler gewidmet ist. Interessant sind für mich dabei hauptsächlich die Künstler, von denen es quasi nur die Musik (auf Tonträgern) und etwas biographisches Material gibt. Gerade bei den amerikanischen Künstlern ab ca. 1920/30 bis in die 1960er Jahre gibt es erstaunlich wenig Notenmaterialien. Das beschränkt sich zumeist auf ungefähre Leadsheets – und da macht die Suche natürlich besonders Spaß, weil man sich wie ein Entdecker vorkommt.

Eigene Stücke, etwa »Pictures in my mind«, gibst Du dagegen zur Bearbeitung bis zur völligen Verfremdung frei. Sind das zwei völlig unterschiedliche Stiefel oder liegt dem eine gemeinsame Herangehens- und Umgangsweise mit fremdem und eigenem Material zugrunde?

Was die Variationen über »Pictures in my mind« angeht, mußte ich damals gehörig über meinen Schatten springen: Es war für mich eine völlig neue Herangehensweise, andere Leute anzusprechen, mit Material auszustatten – und dann erstmal wochenlang nicht mitzubekommen, was die daraus machen. Es kamen aber zum größten Teil erstaunlich gute Sachen dabei heraus – so gute, daß ich schließlich sogar Schwierigkeiten hatte, eine Auswahl für die CD zu erstellen.
Ich habe dabei sehr viel gelernt, denn natürlich hatte jeder der zehn »Schrauber« seine eigenen Arbeitsweisen und Eigenarten, und oft können die ja zum überwiegenden Teil nur rudimentär musikalische Instrumente bedienen. Aber mit einer guten Idee und ihren Computern haben sie trotzdem die Möglichkeit, einen hochmusikalischen Track zu basteln.
Dadurch hat sich meine Sichtweise im Hinblick auf Musikproduktion ziemlich verändert. Auch wenn ich meistens noch ziemlich traditionell arbeite als Sänger und Instrumentalist, habe ich jetzt weniger Berührungsängste mit modernen Arbeitsweisen und Musikstilen als früher. Mit einigen arbeite ich immer noch zusammen: Michael Rau (Glam Slam) hat beispielsweise meine letzten beiden CDs gemastert und die Ambient-Produktion, die im März erscheinen wird, co-produziert.

Du siehst Live-Auftritte nicht als notwendiges Übel zur CD-Promotion, sondern hast einmal sinngemäß gesagt, daß, wer keine Show bieten mag oder kann, eigentlich in der Popmusik nichts zu suchen habe, weil das Publikum eine Show erwartet.

Bei der Unterschiedlichkeit meiner verschiedenen Aktivitäten kommen Langeweile oder ermüdende Routine so gut wie gar nicht auf. Ich spiele ja auch keine Tourneen, die sich über Wochen hinziehen, und darüber bin ich auch ganz froh. Als junger Mensch will man natürlich möglichst viel »on the road« sein, aber bei mir war es nach den ersten Malen, bei denen ich tagelang am Stück spielen mußte, schon ganz schön anstrengend. Anstrengend ist dabei nicht der Gig, sondern die Zeit dazwischen. Das kann schon ziemlich langweilig sein. Mir gefällt es, daß ich hauptsächlich regional unterwegs bin und in den meisten Fällen irgendwann nachts auch wieder nach Hause komme.
Was die Show angeht, kann man das von Dir angedeutete Zitat auf alles ausdehnen, was auf der Bühne stattfindet: Ich finde nichts langweiliger als Menschen auf der Bühne ohne Präsenz, ohne Konzept, ohne Energie. Ich will als Zuschauer unterhalten werden, sonst kann ich mir das auch auf CD anhören.

Wieweit würdest Du als Entertainer gehen, um Erwartungen eines Publikums zu entsprechen?

Klar versuche ich in erster Linie, die Leute zu unterhalten. Das heißt aber nicht, daß ich mich bei denen anbiedern muß – das wird oft verwechselt. Mit welchen Mitteln ich zu unterhalten versuche, bleibt ja immer noch mir überlassen. Mir ist, sobald ich vor Publikum eine Bühne betrete, immer klar, daß die jetzt etwas Besonderes erwarten dürfen, weil sie sich extra Zeit genommen haben, gekommen sind und Eintritt gezahlt haben. Da will ich schon was bieten können.
Jeder Auftritt wird ernst genommen und auch bei schlechten Bedingungen immer versucht, das beste rauszuholen. Ich versuche dabei auch nicht, genau die Erwartungen des Publikums zu treffen, sondern will meinem eigenen Anspruch genügen – das ist schon schwer genug. Da ich in den meisten Fällen mein eigener Herr bin, gibt es auf diesem Gebiet aber wenig Konflikte.

Mit »My favourite tracks« moderierst Du eine Reihe monatlich stattfindender Talkshows (in der Herbst/Winter-Jahreshälfte), in denen Du live vor Publikum Akteure der lokalen Kulturszene – nicht einmal explizit Musiker – ihre zehn Lieblingslieder vorspielen läßt und mit denen Du ein Gespräch über persönliche und kulturelle Belange führst. Wie kam es zu der Idee?

Eingefallen ist mir das während eines Urlaubs in Berlin 2005: Da bin ich jeden Abend rumgetigert zu irgendwelchen Veranstaltungsorten, um Konzerte, Theater und Lesungen zu besuchen. Mir ist nach einigen Tagen aufgefallen, daß das Spannendste oft gar nicht die Performance war, sondern die Entscheidung für den Termin, der Weg dorthin – die Vorfreude, manchmal gar nicht zu wissen, wo man landen wird, was passieren wird, welche Leute man treffen wird. In Berlin rechnet man ja mit allem.
Weil ich gleichzeitig schon seit Jahren das Gefühl habe, daß einige wirkliche engagiert und unabhängig arbeitende Würzburger Künstler mehr Aufmerksamkeit verdient haben, kam dann die Idee zur Talkshow einmal monatlich an verschiedenen Orten in Würzburg. Neue Musik habe ich schon immer gerne gehört, und mir gefiel auch die Idee, als Gruppe ganz konzentriert zuzuhören – sowohl dem Talkgast, als auch seiner Musikauswahl …

… die ja durchaus sehr heterogen ist, wie auch der jeweilige Hintergrund Deiner Gäste. Wie beurteilst Du den bisherigen Verlauf der Reihe?

Ich denke, ich bin mittlerweile ganz gut in die Rolle als Talkhost reingewachsen und kann im Rückblick sagen, daß wirklich jeder Abend für sich sehr, sehr anregend und interessant gewesen ist. Das Konzept erlaubt den Talkgästen, sich auf eine sehr angenehme Art und Weise zu öffnen, weil wir viel Zeit haben und keine inhaltlichen Vorgaben bestehen.
Die Musik, die ja meistens auch sehr eng mit der Biographie des Gastes verwoben ist, dient dabei nicht nur als Auflockerung zwischen den Gesprächsteilen, sondern ist gleichzeitig auch eine Art Katalysator für den lockeren Gesprächsfluß.
Die meisten meiner Fragen entstehen spontan während des Gesprächs, und bis zum letzten Hidden Track bleibt es sehr offen und unverkrampft. Ich lerne dabei jedes Mal besondere Menschen, interessante Geschichten und neue Musik kennen und genieße die Abende in vollen Zügen.

Du hast Dich nicht nur Experimenten anderer geöffnet, sondern experimentierst und improvisierst selbst.

»Signs I-III« habe ich für das Online-Label expiremental.com gemacht. Das hat riesig Spaß gemacht, aber es ist schwierig, solche Ergebnisse woanders unterzubringen, deswegen brauche ich für solche Projekte schon einen Impuls von außen. Ins Blaue hinein schreibe ich dann lieber Songs, da weiß ich immerhin, daß ich die live spielen oder auf einem (Pop-)Album veröffentlichen kann.
Ich habe für mich herausgefunden, daß ich nicht gerne alleine in meinem Zimmer sitze und am Rechner schraube. Mir ist am liebsten, eine grundsätzliche Idee in Ruhe auszuarbeiten und dann in einem Team mit guten Leuten umzusetzen. Deswegen produziere ich so gerne CDs: Es ist zwar ein langwieriger, zum Teil auch zermürbender Prozeß, von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt, aber da sind auch immer wieder Entscheidungen zu treffen, die einen richtig fordern. Im Moment arbeite ich ja gerade an meinem 13. Album, und das ist schon toll, wenn man da zurückblicken kann und sieht, was man schon alles durchgemacht hat.

Seit geraumer Zeit improvisierst Du mit anderen Musikern zusammen – und Tänzern …

… mit »Improvised ambient music for dancers« habe ich mich auf etwas Neues eingelassen. Ich hatte früher immer das Gefühl, daß mir das Improvisieren gar nicht liegt – aber in der Zusammenarbeit mit Tänzern habe ich gemerkt, daß eine Situation, in der ich improvisieren muß, schon eine Saite in mir zum Klingen bringt. Das Problem war eher, daß Improvisation in meinem Kopf immer eng mit den Konventionen des Jazz zusammenhing und ich mich davon erst befreien mußte.
Die freitonale Improvisation – am liebsten zur Bewegung von Tänzern – macht mir so einen Spaß, daß ich zusammen mit meiner Partnerin Andrea Kneis einmal im Monat einen Impro-Abend für Tanz und Musik anbiete: Dabei lade ich zwei bis drei Musiker ein, und meistens kommen etwa 10–15 Tänzer. Mit dem Pianisten Stefan Hetzel und dem Perkussionisten Chiko U hat sich dabei eine Formation herausgebildet, mit der wir dann im vergangenen Oktober Aufnahmen gemacht haben, die komplett improvisiert waren und Ende März im Rahmen einer Tanzperformance auf CD präsentiert werden – eine spannende Geschichte!

Wie siehst Du die Würzburger Musik- und Kulturszene? Du bist ja selbst sehr aktiv …

Ich weiß gar nicht, ob es die Würzburger Musik­szene gibt – wenn schon, dann unterschiedliche Szenen. Ich habe in den 1990ern noch die letzten Ausläufer davon erlebt, daß Musik ein wirklich wichtiger Bestandteil einer Stadtkultur war. Im Vergleich dazu hat Musik heute enorm an Bedeutung verloren – allerdings waren Szenen oder Popularität nie ein Beweggrund für meine Arbeit. Bei Tanz, Theater, Musik, Kunst, Literatur und Film gibt es zu selten kreative Synergien, ebenso zwischen offizieller, also städtisch anerkannter und Independent-Kultur.
Mit Projekten wie »My favourite tracks« versuche ich, dem auf meine Art entgegenzuwirken.

Wie siehst Du die aktuelle populäre Musik?

Das kommt sehr auf die Definition an: Wenn man dabei von der Musik spricht, die in den Charts stattfindet, ist das natürlich nur ein winziger Bruchteil der Musik, die da draußen tatsächlich existiert – und auf diesem Gebiet kann ich auch überhaupt nicht mitreden, weil ich in Sachen aktueller Charts überhaupt nicht auf dem Laufenden bin. Das hat mich schon als Teenager völlig kalt gelassen.

Früher haftete den Stars noch so etwas wie »Authentizität« an, heute werden ganz unverhohlen Marionetten per Castingshow im Fernsehen gesucht …

Ich kann die Aufregung über diese Shows im Fernsehen gar nicht nachvollziehen: Solange die Kandidaten da nur 1:1 nachsingen, selbst keine Instrumente spielen oder sonst irgendwie kreativ tätig werden, interessiert mich das wirklich überhaupt nicht. Das sind nur sehr aufwendige Marketingstrategien, bei denen der »Künstler« völlig austauschbar ist. Schade daran ist, daß diese Shows, das Formatradio und die Charts so viele Kanäle verstopfen und interessante Acts gar nicht erst eine Chance bekommen. Besonders für junge Bands muß das unheimlich frustrierend sein. Die haben fast gar keine Möglichkeit mehr, sich auszuprobieren.

Letzte Frage: Du hast eine ausgeprägte Vorliebe für Genres, etwa Hillbilly oder Country, die oft auch von eher konservativen bis reaktionären Kreisen goutiert werden. Dazu kommt, daß derzeit Antiamerikanismus salonfähig ist …

Auch wenn amerikanischer Folk, Blues oder Country ursprünglich sicherlich sehr ländlich geprägt waren, kann man sie doch nicht komplett dem konservativen Lager zuschlagen. Es gibt eine sehr lange Tradition, sich in den Texten auch sehr kritisch zu artikulieren: Woody Guthrie, Pete Seeger, Johnny Cash, natürlich Bob Dylan und Willie Nelson, auch Bruce Springsteen, John Mellencamp oder Steve
Earle – viele von ihnen stammen selbst aus kleinen Verhältnissen und thematisieren das entsprechend.
Katalysator für meine ganz persönliche Faszination war sicher ein Jahr als Austauschschüler in den USA und damit eine frühe Vertrautheit mit der Sprache und Denkweise der Amerikaner. Zurück in Deutschland, habe ich ernsthaft begonnen, mich mit Musik zu beschäftigen und Texte und Songs zu schreiben – zuerst reflexhaft nur englisch, aber irgendwann kam die Frage auf, warum, welcher Tradition ich entsprungen bin, wo ich hin will.
Und dann die Erkenntnis, daß man als Musiker in Deutschland aufwachsen kann, ohne irgendeinen Bezug zur eigenen, deutschen Musiktradition aufbauen zu müssen/können. In meiner Schule wurde nie gesungen, schon gar nicht Volkslieder. Wir haben Dreiklänge gebildet und die Geburtsdaten von Mozart und Beethoven auswendig gelernt, später wurde dann sogar noch die Sonatenhauptsatzform in uns reingeprügelt – aber ein Bewußtsein für die eigentlich sehr reiche, deutsche Musiktradition ist bei mir nie aufgekommen.
Und da beneide ich die Ungezwungenheit der Amerikaner, die bereits in der Schule viele musikalische Fächer belegen können, wie Instrumentalunterricht, Big Band, Marching Band, Tanz, Kunst, viel Sport sowieso. Das ist fantastisch: Das Gelernte wird auch öffentlich aufgeführt, und so bei den Schülern schon ganz früh ein Bewußtsein für die eigene Musiktradition angelegt, das nicht so hermetisch abgeschlossen ist wie das unsere, das ja immer noch sehr klassisch/romantisch geprägt ist (ich durfte bei Gelegenheit mal den Lehrplan einsehen).
Die Selbstverständlichkeit, mit der in Amerika Musik so angenehm in alle möglichen gesellschaftlichen Zusammenhänge gebracht wird, wirkt auf jemanden wie mich geradezu paradiesisch.¶


Die Dennis Schütze Band präsentiert das neue Album »Sideburner« live am 25. Januar ab 21 Uhr im Pleicher Hof, Würzburg, und am 26. Januar im Club Kaulberg, Bamberg.

Die CD »Improvised ambient music for dancers Vol.1« wird gerade fertiggestellt und an drei aufeinanderfolgenden Tagen, vom 29. bis 31. März, jeweils ab 20 Uhr in der Hobbit-Bühne live vorgestellt.

Mehr Informationen, die komplette Diskographie samt Hörproben sowie Hinweise auf weitere Veranstaltungen und Projekte finden sich im Internet unter www.dennisschuetze.de