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Foto: Wolf-Dietrich Weissbach

Kabarett für alle

Frank Lüdecke gastierte
in Tauberbischofsheim

von Markus Mauritz

Hauptstadtkabarett – so was macht neugierig in der Provinz. Wobei aus der Sicht des Hauptstädters womöglich alles Provinz ist, was sich außerhalb des Berliner U-Bahn-Netzes befindet. »Hauptstadtkabarett« heißt es auf der Postkarte, mit der Frank Lüdecke für sein Pro-gramm »Elite für alle« wirbt. Aber wahrscheinlich meint er es gar nicht so. Dazu ist der 45jährige Berliner, der da im voll besetzten Tauberbischofsheimer Engelsaal auf der Bühne steht, viel zu sympathisch. Er wirkt eher bescheiden, keinesfalls hinterfotzig wie Bruno Jonas, mit dem er seit geraumer Zeit immer wieder im »Scheibenwischer« zu sehen ist, und schon gar nicht derb und deftig wie Django Asül, der kurz vorher auf Einladung des Kunstvereins Tauberbischofsheim hier gastierte. Offensichtlich wird in der Hauptstadt auch nur mit Wasser gekocht.

Dann wird aber doch schnell klar, warum Frank Lüdecke inzwischen zur ersten Riege der deutschen Kleinkunst gezählt wird, und warum ihm die Süddeutsche Zeitung bescheinigte, ein »Ausnahmekabarettist« zu sein. Er entwickelt seine Figuren mit spielerischer Leichtigkeit und läßt ihnen bemerkenswert viel Raum – etwa »seinem Vater«, bei dem es nun soweit sei, daß er sich mit knapp achtzig auf den New York-Marathon vorbereite, weil ihn sein Studium an der Uni nicht mehr so richtig ausfülle und die wöchentlichen Billigflüge ans Schwarze Meer auf Dauer auch langweilig seien – und für »die Ungarn« habe sich sein Vater ohnehin nie interessiert.

Dieser frische Witz kommt an beim Publikum. Das zeigt sich nicht nur bei seinem Auftritt in Tauberbischofsheim, das beweisen auch die zahlreichen Preise, die Frank Lüdecke in den vergangenen Jahren einheimste, zuletzt den »Salzburger Stier«. Auf seiner Homepage weist er vorsorglich darauf hin, daß »kein direkter Zusammenhang« zwischen seiner Geburt im Jahr 1961 in Berlin und dem Bau der Mauer bestehe – klar, ein Kabarettist muß in jeder Lebenslage Witz beweisen, auch im weltweiten Netz. Nach dem Abitur 1979 studierte er an der FU Germanistik und Geschichte – »wie die meisten ohne zu wissen, warum« –, gründete die »Phrasenmäher«, mit denen er in den folgenden Jahren seine ersten Erfolge, etliche Fernseh- und Rundfunkauftritte und schließlich seinen Durchbruch schaffte. Nachdem sich diese Kabarett-Truppe 1994 aufgelöst hatte, machte Lüdecke höchst erfolgreich mit Soloprogrammen weiter, war mehr als zehn Jahre Hauptautor von Dieter Hallervorden und ist seit März vergangenen Jahres künstlerischer Leiter des Kabaretts »Die Distel« – soviel Hauptstadtkabarett muss schon sein!

Frank Lüdecke ist unterhaltsam – insbesondere, wenn er zur Gitarre greift und etwa zur Melodie von »Sweet Home Alabama« über Sachsen-Anhalt singt, wo »so mancher gern zurückblickt«, oder wenn er darüber sinniert, daß der Aufbau Ost den neuen Ländern das »höchste Obi-pro-Kopf-Aufkommen« weltweit beschert habe. »Und was macht der Ostler? Der zieht einfach nach Nordrhein-Westfalen!«

Frank Lüdecke läßt offenbar ungern ein Thema aus, das nicht auch an den Stammtischen der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten für Einschaltquoten sorgt und der Boulevardpresse Leser verschafft: »Ganz traurige Geschichte, die da gerade passiert: die Deutschen sterben aus, ja, leider. Die Bevölkerungspyramide sieht bereits aus, als würde man Helmut Kohl auf den Kopf stellen.« Aber stopp! Das hat man doch alles schon gehört. Und das liegt nicht daran, daß das Programm »Elite für alle« aus dem Jahr 2004 stammt. Kohl-Witze waren schon »mega-out«, als der Einheitskanzler noch im Amt war. »In der Lausitz wurden schon Wölfe gesichtet.« Schön, denkt man da als Zuhörer. Die Freunde unverbrauchter Landschaften mögen sich ja freuen. Frank Lüdeckes Polemik fehlt einfach der Biß. »Wenn einer in Frankreich in ein Flugzeug steigt, ist er ein Passagier. Wenn einer in Berlin in die U-Bahn steigt, ist er ein Beförderungsfall.« Irgendwo auf dem Weg von seinen ersten Auftritten in der Schulaula zum Hallervordenschen Klamauk scheint Frank Lüdecke steckengeblieben zu sein. Comedy statt Kabarett! Lüdecke überschreitet nie die Grenzen des Geschmackvollen, aber er findet auch zu keiner Aussage, die über das Unterhaltsame hinausreicht. Viele seien gar nicht bereit, Arbeit anzunehmen – für einen Euro die Stunde, sagt er. Dabei wären wir dann in der Lage, in Deutschland Blechspielzeug herzustellen, das sich auf dem chinesischen Markt behaupten könne. Oder: »Schlimm genug, daß wir jetzt den Inder ins Land holen müssen. Aber viel schlimmer: Der Inder will gar nicht kommen!« Und: »Irgendwas läuft da schief, wenn die Haltbarkeit einer deutschen Ehe mittlerweile der von einem Liter Vollmilch entspricht.«

Frank Lüdeckes »kabarettistische Gesellschafts-, Politik- und Lifestyleanalyse« (Pressemitteilung) entpuppt sich am Ende als ein Sammelsurium beliebig aneinandergereihter Gags: »Was wir jetzt brauchen, ist eine Elite. Aber es soll nicht so eine abgehobene sein, die keiner versteht. Eher was in Richtung Volksbewegung – Elite für alle!« Frank Lüdeckes Auftritt in Tauberbischofsheim jedenfalls entsprach dieser Forderung: Sein Kabarettprogramm war nicht so abgehoben, daß es keiner verstanden hätte. Eher was in Richtung Volksbewegung – Kabarett für alle eben. ¶