Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Oberwaldbehrungen
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Der diskrete Charme
der leisen Töne

von Rigobert Dittmann

Wenn Club W 71 drauf steht, ist garantiert etwas Besonderes darin. Diesmal bestätigten die Weikersheimer ihren überregionalen Ruf, indem sie am 4. Februar das einzige Deutschlandkonzert des Otomo Yoshihide Quartets möglich machten, das dem treuen Kreis abenteuerlustiger Zuhörer viel versprach, wenn auch kaum jemand genau wußte, was. Der österreichische Schlagzeuger Martin Brandlmayr durchgroovt mit Projekten wie Radian und Trapist das weite Feld zwischen »Postrock« und geschmeidiger Improvisation. Axel Dörner bläst seine Trompete bei Die Enttäuschung, The Electrics oder – wie schon im KULT Niederstetten zu hören – der Territory Band, er kann aber auch ganz anders. Sachiko M vertritt als Sinuswellenreiterin konsequent die japanische Spielart von »Geräuschmusik«. Und Otomo Yoshihide schließlich, der mit Plattenspielern und Gitarre nach Ground Zero nun sein New Jazz Quintet anführt, gilt weltweit als einer der kreativsten und vielseitigsten Köpfe des New Jazz und der elektrifizierten Improvisation. Doch zusammen?

Das Quartett hatte sich 2005 speziell für die Donaueschinger Musiktage formiert. Seine Klangkreation ist also gütegesiegelt als Musica Nova und hochprozentiges Betthupferl für SWR2-Radiotrinker in der Stunde vor Mitternacht. Der Gedanke, dieser Musik am besten im Dunkeln zu lauschen, so daß die feinen Geräusche hinter geschlossenen Lidern aufblühen wie Farbtropfen in einem Wasserglas, stellte sich an diesem Abend immer wieder ein: Mit Farbschlieren wie Dörners Slidetrompetenfauchen, das er mit allerhand Dämpfern und auch noch elektronisch moduliert; wie das stechende Fiepen und Brummen, das die zierliche Sachiko M, auf drei aufeinandergestapelten Stühlen (!) thronend, mit unbewegter Miene ihrem Sampler entlockt; wie das Knistern und Knacken der Tonabnehmer, mit denen Yoshihide hantiert, wobei er keine (!) Schallplatten scratcht, sondern nur mit dem Knacksen und Knirschen der Turntables selber operiert. Dazu tupft und schabt Brandlmayr mit Besen und Klöppeln vorsichtig auf seinen Fellen, läßt die Cymbals klacken und sirren, streichelt mit dem Geigenbogen feine Vibrationen aus Metallscheiben, oft verblüffend Ton in Ton mit den elektronischen Frequenzbändern der anderen drei.

Man muß es gesehen haben, um es zu glauben. Denn natürlich ist man viel zu neugierig, um die Augen zu schließen. Dazu sind die sachten Manipulationen auf der W 71-Bühne viel zu spannend, der Ohrenkitzel zu eigenartig. Rhythmus und Melodie spielen in dieser transparent gewebten, dröhnminimalistischen Landschaft die geringste Rolle, sie driften allenfalls mal kurz als Schatten eines Schattens durchs Bild, das – anders als die herkömmliche, spöttisch aber plastisch »Plinkplonk« getaufte Freie Improvisation – definitiv keinem Jackson Pollock ähnelt. Hier wird nicht vehement gespritzt, vielmehr werden sublime, oft monochrome Tönungen belichtet und abgeschattet. Versetzen einen die »Plinkplonker« gern auf einen Schrottplatz während eines Hagelsturms, so betten einen diese Klanglandschaftsmaler vor das Farbenspiel abendrot beleuchteter Wolkenbänke. Nur sanfter Lufthauch streift die Stirn, hinter der ein Mobile schwerelos balanciert, während der Goldrand am Horizont der Imagination die Farbe des Rotweins annimmt, der so manches Glas im W 71 füllt.

Zwei Sets wurden gespielt, um dazwischen die Gläser wieder nachfüllen und das Faszinosum der ersten Halbzeit begackern zu können. Hier schien er zum Greifen, auch zum Begreifen nah – der Zauber des Simplen, der der entzauberten Welt abhanden gekommen ist. Das merklich bezauberte W 71-Publikum spielte perfekt mit, ließ mal die Türe seufzen oder ein leises Schnarchen hörbar werden, hielt aber hauptsächlich so einverständig die Luft an, daß man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können. Auf der Heimfahrt nach Würzburg gab es zwar vier Meinungen, aber keinen, bei dem der diskrete Charme des Gehörten nicht an Stellen vorgedrungen wäre, an denen schon lange kein Staub mehr gewischt worden war. Vom Staub in unseren Städtchen wollen wir natürlich erst gar nicht reden. ¶