Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Oberwaldbehrungen
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Peter Engstler in der Schweinfurter Disharmonie. Fotos: Jochen Kleinhenz

Jörg Burkhard in der Schweinfurter Disharmonie.

Unabhängige Medien und Verlage in der Region

Abseits vom literarischen Mainstream

Der Verleger Peter Engstler publiziert seit 20 Jahren experimentelle und unkonventionelle Literatur – in Ostheim vor der Rhön

von Jochen Kleinhenz

Schon vor einem Jahr, bei einem ersten Besuch im privaten Domizil von Peter Engstler in Oberwaldbehrungen, einem Gemeindeteil von Ostheim v. d. Rhön, entpuppte sich der Verleger, Jahrgang 1955, als charmanter Gastgeber, der mit profundem Detailwissen zur deutschen Verlags- und Literaturszene aufwartet.

Mit einem Brotberuf im sozialen Bereich hat er seine Professionalisierung nie so weit getrieben, um vom Verlagsgeschäft leben zu müssen. Dennoch verbietet die Liste der Veröffentlichungen und Autoren die Unterstellung, hier handele es sich um reines Hobbyverlegertum. Es ist eben so, daß, wer etwas mit echtem Herzblut betreibt, nur selten davon leben kann – heute sicher noch weniger als vor 20, 30 Jahren – und »Wertschöpfung« darf hier noch wörtlich genommen werden, statt sich in bloßen Eurobeträgen und Wachstumskurven niederzuschlagen.

Bei Engstler finden sich demgemäß nicht die Preisbullen der Literaturszene – aber die heimlichen Stars und Insidertips: Paulus Böhmer, Jörg Burkhard, Helmut Höge, Hadayatullah Hübsch, Hanna Mittelstädt, Bert Papenfuß, Jürgen Ploog, Helmut Salzinger oder Jürgen Theobaldy, um nur ein paar zu nennen. Letztgenannter übrigens gerade mit seinem Gedichtband »24 Stunden offen« in aktuellen Kritiker-Bestenlisten vorne dabei (beim SWR etwa auf Platz 4–5).

Die etwa hundert (!) erhältlichen Titel umfassen Bücher, Zeitschriften, Audio-Kassetten und -CDs sowie einige Videomitschnitte von Veranstaltungen. Der Schwerpunkt der verlegerischen Arbeit liegt sicher auf den Büchern; daneben erscheint alle 2–3 Jahre die Literaturzeitschrift »Der Sanitäter« (10. Ausgabe Frühjahr 2006), der Nachlaß von Helmut Salzinger (einem der ersten und stilbildenden Musikjournalisten, der sich ab Ende der 1970er Jahre von der Popmusik ab- und dem eigenen literarischen Werk zuwandte) wird ebenso gepflegt (»Headfarm Odisheim«) wie die Zusammenarbeit mit dem Künstler Jan Polacek (der in der nächsten nummer ausführlicher vorgestellt wird).

Dann gibt es, neben dem Verleger, auch den Autoren Peter Engstler, der seinen eigenen Cut-Up- und Montagestil über mehrere Bücher hin entwickelt und verfeinert hat – live war das zuletzt im September 2006 in der Schweinfurter Disharmonie zu hören, im gemischten Doppel mit Jörg Burkhard: Während bei Burkhard Textfetzen aus dem medialen Alltag umgeformt werden zu eigenen, absurden Geschichten, bei denen man noch halbwegs eine Struktur ausmachen kann, wirken die Aneinanderreihungen in Engstlers Texten, ohne Punkt und Komma, fast hermetisch, beschwörend – ein Mantra, das sich mit jeder Wiederholung verändert.

Über viele Jahre hin hat Engstler in Ostheim auch einen kleinen Buchladen betrieben (geöffnet nur an den Freitagnachmittagen) – ein Mekka für Freunde des literarischen Untergrunds, inzwischen aber nur noch sporadisch für Lesungen geöffnet.

Was kam zuerst: die eigenen Texte oder der Verlag?

Ich habe zuerst eigene Texte publiziert und 1988 dann den Verlag gegründet, um ein unabhängiges Forum zu schaffen und Bücher, Autoren etc. zu verlegen, an denen ich Interesse hatte.
An Deinem Programm fällt auf, daß ein Schwerpunkt auf Sprache als solcher liegt: Einerseits verlegst Du Lyrik (bei der ja der bewußte Umgang mit bzw. Einsatz von Sprache – also das Formale – stärker im Vordergrund steht als bei Prosa, wo oft der Inhalt, die »Story« im Fokus ist), andererseits beschäftigst Du Dich auch mit der Dekonstruktion von Sprache (Cut-Up, Collage). Woher kommt dieses Interesse?
Es gab schon immer ein Interesse für die sogenannte formale Lyrik, wie auch an der literarischen Arbeit mit Cut-Up-Techniken oder Montage. Für mich besteht wohl eine Verbindung zwischen linearem und nichtlinearem Schreiben, ich fühle mich da auch nicht festgelegt auf eine bestimmte literarische Richtung.
Vorlieben? Ja, aber doch kein Schubladendenken – für einen Verlag ist es wichtig, bestimmte literarische Richtungen zu sondieren und zu versuchen, den gegenwärtigen Stand darzustellen. Was aber nicht ausschließt, bestimmte Arbeiten, auch aus dem nichtdeutschen Sprachraum und auch solche, die schon erschienen sind und die ich für wichtig erachte, ins Deutsche zu übersetzen und zu publizieren.

Du lebst und arbeitest eher in der Peripherie. Welche Vor- und Nachteile ergeben sich Deiner Meinung nach daraus? Wie sehr machen sich die Veränderungen in der Kommunikationstechnologie (Internet) auf Deine Arbeitsweise bemerkbar? Und warum beschäftigt sich jemand gerade abseits der (medialen) Metropolen mit dem täglichen Medienwahnsinn?

Das ist die alte, für mich langweilige Stadt-Land-Provinz-Debatte … Ich persönlich bevorzuge das Leben auf dem Land. Als Nachteil stellt sich manchmal das Fehlen von Archiven oder Bibliotheken heraus; doch durch das Internet sind die Recherchemöglichkeiten besser geworden.
Letztlich entscheidet nicht der Wohnort, sondern das Programm über die inhaltliche Ausrichtung eines Verlags. Meine persönliche Arbeitsweise hat sich durch die sogenannten modernen Kommunikationsmöglichkeiten nicht grundlegend verändert: Manches ist einfacher geworden – dafür steht vieles andere in keiner vernünftigen Relation zu dem Aufwand oder den damit verbundenen Kosten.

Du veranstaltest regelmäßig Lesungen, in Ostheim oder – wie letztes Jahr – in Schweinfurt. Wie beurteilst Du die Resonanz und Akzeptanz durch das Publikum?

Zu Resonanz und Akzeptanz von Lesungen: Das ist sehr unterschiedlich – ich glaube, grundsätzlich sind heute Lesungen in der Regel besser besucht als vor vielleicht 15 Jahren, wobei es auch immer Ausnahmen gibt. Der Hauptgrund für die Veranstaltungen ist die Präsentation der literarischen Arbeiten. Unterschiedlich ist eigentlich nur der Ort, an dem die Veranstaltungen stattfinden. Die landläufige Meinung erwartet, daß solche Veranstaltungen in der Regel nur in den sogenannten Metropolen stattfinden – was aber nicht sein muß.

Auch in diesem Jahr wird es wieder ein größeres Literatur-Event in der Rhön geben …

Ich veranstalte regelmäßig alle zwei Jahre eine sogenannte »Provinzlesung«, in diesem Jahr vom 28. Juni bis zum 1. Juli in einem Berghaus in der Rhön. Es haben bisher ca. 15 Autorinnen und Autoren aus ganz Deutschland zugesagt, unter anderem Hanna Mittelstädt, Pola Reuth, Jörg Burkhard, Johannes Ullmaier, Helmut Höge, Michael Kellner, Jürgen Theobaldy und Bert Papenfuß.
Es stehen nicht nur die Lesungen im Mittelpunkt, sonder auch gegenseitiger Austausch oder Kennenlernen. Das endgültige Programm steht im Moment noch nicht fest, genauere Informationen kann man zu gegebener Zeit auf meiner Webseite abrufen.

Woher kommt die Vorliebe für die amerikanischen Beatniks?

Meine Vorliebe galt den »Beats«, den damals sogenannten »Underground«-Autoren, speziell W. S. Burroughs; aber auch den Futurismus oder die Antipsychiatrie, mit Autoren wie Cooper oder Laing, fand ich interessant. Insofern war es nur logisch, daß ich mit meinem Verlag versuchte, mit noch lebenden Autoren wie Burroughs, Plymell oder Anne Waldmann in Kontakt zu treten und deren Arbeiten zu veröffentlichen.

Wie wichtig ist Dir die Autorenpflege? Entscheidest Du bei jedem Buch neu, ob Du es veröffentlichst oder nicht?

Der Kontakt zu den Autoren ist für mich sehr wichtig. Das ist in der Regel eine Art Wechselspiel: Es besteht ja auch die Möglichkeit, in anderen Verlagen zu veröffentlichen.

Verortest Du Dich in einer Verlagsszene, gibt es die in dieser Form (noch), was hat sich verändert und wohin geht der Trend?

Ich bin seit Ende der 1980er sowohl auf der Frankfurter Buchmesse wie auch auf der Minipressenmesse in Mainz vertreten. Ich denke, eine Präsenz auf diesen Veranstaltungen ist für einen Verlag meiner Größenordnung unerläßlich – zwecks Präsentation der publizistischen Arbeit, als auch für einen Austausch mit Kollegen, Lesern, Presse etc.
Sicher hat sich die Anzahl der kleinen, unabhängigen Verlage in den letzten Jahren nicht vergrößert, doch es wird diese Stimmen immer geben, die versuchen, unabhängig vom literarischen Mainstream zu arbeiten.

Du arbeitest im besten Wortsinn »multimedial« – Print, Audio, Video. Wie sind die Pläne für die Zukunft – gerade im Audio- und Videobereich geht der Trend ja stark weg von »Medien« im Sinne eines haptischen Produkts hin zu »Daten«, die je nach Bedarf abgerufen und ausgegeben werden.

Meine Schwerpunkte in der Produktionsweise werden sich nicht ändern, ich werde ganz bieder weiterhin Bücher produzieren, die ich für wichtig erachte. Das schließt Ausflüge in die elektronischen Medien wie Kassetten, CDs etc. nicht aus. ¶


Verlag Peter Engstler
Oberwaldbehrungen 10 | D-97645 Ostheim/Rhön
Telefon 09774-858490 | Telefax -858491
www.engstler-verlag.de

Auf der Webseite des Verlags findet sich eine vollständige Liste aller Publikationen – auch solcher, die nur (noch) direkt über Peter Engstler zu beziehen sind.