Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bejing
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Ensemble Wooden Voices im Finale des Wettbewerbs.
Foto: Andrea Braun

Klein ist die Welt –
groß die (Alte) Musik

Festival Musica Antiqua Brügge mit Würzburger Begegnungen

von Andrea Braun

Musica Antiqua Brügge – das ist nicht einfach ein Festival, sondern schon beinahe eine Legende: Wunderschönes, intakt gotisches Stadtbild, durch dessen enge Gäßchen sich im Sommer täglich etwa 10 000 Touristen drängen. Museen und alte Kirchen, daneben Läden für Klöppelspitze und Pralinen, die nur dazu zu dienen scheinen, die Lücken zwischen den unzähligen Restaurants und Cafés zu füllen. Und inmitten dieser architektonischen, kunsthistorischen und humanen Überfülle versammeln sich allsommerlich Ende Juli bis Anfang August auch noch für 16 Tage Freunde und Spezialisten der historischen Aufführungspraxis zu einem der international renommiertesten Festivals Alter Musik. Gegründet 1964, gehört das Festival zu den bereits hochbetagten Exemplaren seiner Spezies, dürfte derer sogar das älteste weltweit sein. Doch sind in Konzeption und Durchführung bisher keinerlei Alterserscheinungen zu verzeichnen; im Gegenteil scheint Festivalleiter Stefan Dewitte das Ohr am – übrigens höchst lebendigen – Puls der Alten-Musik-Szene zu haben.

So hebt sich Musica Antiqua Brügge, schon was die Programmgestaltung betrifft, wohltuend von vielen Mainstreamveranstaltungen, gerade der traditionellen Klassik-Szene ab. Man gibt hier in Flandern dem Neuen bis Experimentellen in der Alten Musik viel Raum, fördert Neu- und Wiederausgrabungen vergessener Werke oder historischer Instrumente und läßt somit manch interessante Entdeckung zu, die anderswo als (auch finanziell) zu riskant und nicht ausreichend publikumsträchtig außen vor bliebe – und das zu im internationalen Festivalvergleich ausgesprochen günstigen Kartenpreisen!

Dazu erlebt der Besucher hier eine starke Konzentration auf das Eigentliche: Die Musik. Dafür sorgen durchdachte, meist gut in das Festivalmotto eingepaßte Programme; interessiertes Publikum, das großenteils eher leger gekleidet erscheint, aber dafür überdurchschnittlich offen und aufnahmefähig für die Musik ist; ein ausführliches Programmbuch, das in fröhlichem Sprachenmix treffend und tiefgründig informiert … So ist dieses Festival weniger eine Veranstaltung des Sehen- und Gesehenwerdens, sondern in erfreulicher Weise auf die Musik ausgerichtet.

Dennoch spricht es aber ein sehr breites Publikum an: Von den in Sachen Alter Musik durchaus recht verwöhnten Bewohnern Brügges und der weiteren Umgebung, über Touristen, die zufällig einmal ein Konzert wahrnehmen oder aber seit Jahren und Jahrzehnten speziell zum Festival anreisen, bis zu Fachpublikum und vielen Musikern aus der ganzen Welt.

Dabei bietet sich hier neben den Konzerten des Festivals auch die Gelegenheit, junge Musiker und viel Repertoire im Rahmen der diversen Runden des Nachwuchswettbewerbs kennenzulernen, der jährlich wechselnd für – auf jeweils authentischem Instrumentarium musizierende – Solisten, Cembalo und Hammerklavier, oder Ensembles und Orgel ausgeschrieben wird, und der übrigens – den Würzburgern weitgehend unbekannt – beispielsweise auch Günther Kaunzinger (emeritierter Professor für Orgel an der Würzburger Musikhochschule), Glen Wilson (Professor für Cembalo, ebenda) und Henrike Seitz (Korrepetitorin, ebenda) zum erlesenen Kreise seiner ehemaligen Laureaten zählt.

Dieser Wettbewerb Musica Antiqua genießt international einen hervorragenden Ruf, und das verdankt er nicht nur der offensichtlichen Treffsicherheit seiner Jurys, die an vielen illustren Namen unter den bisherigen Siegern abzulesen ist (wie Ton Koopman, Masaaki Suzuki, Christophe Rousset, Huelgas Ensemble, Kölner Blockflötenensemble, Amsterdam Loeki Stardust Quartet …), sondern auch der stets ausgeglichenen und hochkarätigen Besetzung dieser Jurys sowie einer straffen und perfekten Durchführung. Das beginnt damit, daß für alle Teilnehmer günstige Quartiere organisiert und gebucht werden, daß Probezeiten und Konzertpläne korrekt eingehalten werden, eventuell benötigte Tasteninstrumente pünktlich und ausreichend vorhanden sind, daß aber beispielsweise auch für alle Ensembles Termine zum Gespräch mit den Jurymitgliedern angeboten werden.

Die Jury bestand in diesem Jahr aus dem belgischen Traversflötisten Jan De Winne, der britischen Pianistin und Hammerflügelspezialistin Linda Nicholson (kürzlich auch beim Würzburger Mozartfest zu hören), der polnischen Geigerin Agata Sapiecha, dem belgischen Cembalisten und Kammermusikspezialisten Johan Huys, und der deutschen Sopranistin Barbara Schlick. Und damit schon wieder einer zumindest geborenen Würzburgerin, die seinerzeit im Würzburger Domchor gesungen und im hiesigen Bachchor unter Günther Jena ihre ersten intensiven Bacherlebnisse hatte, lange an der Musikhochschule unterrichtete und unter Dirigenten wie Philippe Herreweghe, Ton Koopman oder Hermann Max zu einer der bekanntesten Barockstimmen ihrer Generation wurde.

Auch die Organisten und Ensembles stammten aus aller Herren Länder und von allen Kontinenten, wobei sich die meisten Ensembles jedoch an einer europäischen Musikhochschule zusammengefunden hatten. Darunter auch an der Würzburger: Naoko Akutagawa (Hammerklavier) studiert hier bei Glen Wilson und auch ihr Ensemblepartner Hans-Joachim Berg (Violine) lebte und lernte zeitweise in der Kiliansstadt.

Und noch ein Duo: Hammerklavierspielerin Keiko Munekata ist zur Zeit Studentin bei Henrike Seitz. »Ich hatte einfach Lust auf diesen Wettbewerb«, erzählt sie. »Ich dachte, dieses Jahr ist Mozartjahr, und das war eine Gelegenheit, daß ich mit jemandem zusammen Mozart spielen konnte« – denn außerhalb solcher Jubiläumsjahre konzentriert sich der Wettbewerb in Brügge auf Barockmusik, für die der Hammerflügel nicht das adäquate Instrument wäre. Ihre Mozart-Partnerin, die Geigerin Mechthild Karkow, fand sie dann allerdings an der Hochschule in Hannover. »Wir haben uns im März kennengelernt, weil ich hier keinen Geiger finden konnte, und wir sind insofern noch recht neue Partner, wollen aber auch weiter zusammen spielen. Wir haben leider keinen Preis bekommen, aber es war trotzdem eine sehr gute Erfahrunng für mich: Ich habe vielen anderen Teilnehmern zugehört und habe durch das Zuhören auch sehr viel mitgenommen. Für Mozart konnten die Ensembles die Stücke nicht frei auswählen, die Barock-ensembles aber schon, und dadurch konnte man als Hörer viele Stücke kennenlernen. Und dann war es sehr gut für mich, daß ich lange Zeit diese Stücke geprobt habe – dadurch habe ich sehr viel über Mozart und das Hammerklavier gelernt und erfahren.«

Dazu hatte Keiko auch das ganze Ambiente gut gefallen: »Die Atmosphäre war sehr nett, man hat alle Leute von den anderen Ensembles zumindest so vom Sehen kennengelernt. Und auch organisatorisch hat alles geklappt.«

Den Mozartwettbewerb gewonnen haben dann im Endeffekt das Streichquartett Quatuor Fratres aus der Schweiz sowie das Duo Yukie Yamaguchi (Violine) und Keiko Shichijo (Hammerklavier) aus Japan. Bei den Barockensembles durfte die in England beheimatete Gruppe Xacona aufs Siegertreppchen steigen; den zweiten Platz erspielte Wooden Voices aus Weimar – deren ungarische Cellistin Gyöngy Erödi übrigens ebenfalls an der Würzburger Hochschule bei Jaap ter Linden studiert hat.

Die Welt ist klein – und groß die Alte Musik! ¶