Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bejing
< zur nummer 20

Konrad Franz: »Wandersage«
aus »Eine Nacht im Spessartwalde«.

Unabhängige Medien und Verlage in der Region (2)

»nei mit«

Der Logo Verlag in Obernburg am Main widmet sich der Avantgarde des 20. Jahrhunderts – und der Literatur mit regionalem Bezug.

von Jochen Kleinhenz

Obernburg am Main ist einer der westlichsten Außenposten Unterfrankens – südlich von Aschaffenburg gelegen, jenseits des Spessarts, und von daher für den gemeinen Mainfranken quasi schon in Rheinland-Pfalz, mindestens aber in Hessen zu verorten. Tatsächlich ist der Weg von Obernburg nach Frankfurt oder Darmstadt sicher kürzer und schneller zurückgelegt als nach Würzburg, und – ebenfalls typisch für das südliche Hessen – auch in Obernburg wird kräftig mit kulturellen Pfunden gewuchert, die sich aus den Spuren und Hinterlassenschaften einer längst abgezogenen Besatzungsmacht zusammensetzen. Falsch: diesmal kein Blues oder Rock’n’Roll der Amerikaner, sondern, noch länger her, Zeugnisse aus der Zeit, als die Italiener noch Römer hießen und im damaligen Germanien u.a. durch überdimensionierte Grenzanlagen (Limes) auf sich aufmerksam machten.

Nun versucht Obernburg gerade, sich in nächster Zeit neu zu präsentieren und den Spagat zwischen Gestern und Morgen zu bewerkstelligen, ohne dabei empfindliche Teile bloßzulegen oder gar zu überdehnen. Dabei könnte die Stadt einiges von einem ihrer Bürger lernen, der seit Anfang der 1990er Jahre einen kleinen, sehr feinen Verlag führt, der weniger durch Masse als durch Klasse zu überzeugen weiß.

Eric Erfurth fährt mit seinem Logo Verlag zweigleisig, und das auf ziemlich einzigartige Art und Weise: Einerseits verlegt er Avantgarde (des 20. Jahrhunderts), andererseits historische Literatur und Quellen mit regionalem Bezug. Da drängt sich natürlich, bei aller offensichtlichen Bipolarität, die Frage auf, ob hier gemeinsame Aspekte verlegerisch zusammengebracht werden oder ob da zwei Reihen nebeneinanderher laufen?

Eric Erfurth: Als Kleinverlag kann man nur verlegen, was man mag und wovon man etwas versteht. So kam ich zu den Verlagsbereichen Avantgarde und Region. Verlegerisch passen diese übrigens sehr gut zusammen, da ich in beiden Bereichen Nischen bediene. Hier ist der Kundenkreis jeweils klar umrissen, man hat einen relativ einfachen Markteintritt und kann sich rasch profilieren. Biographisch kam die Avantgarde vor der Region, das Regionale habe ich dann erst entwickelt, als ich wußte, daß ich hier Wurzeln schlage. Auf zwei Beinen steht man besser.
Die beiden Bereiche wird es weiter nebeneinanderher geben, und ich werde diese kontinuierlich ausbauen. Schön wäre auch einmal ein Projekt in dem beides zusammenläuft: So wollte Le Corbusier in den 1960ern in einem Nachbarort einmal sein Labyrinth-Museum für Moderne Kunst errichten. Berührungspunkte zwischen den Bereichen sehe ich auch im bereits realisierten Buchprojekt »Holmenkolmen«, in dem regionaler Dialekt und literarisches Experiment (Ready-made) zusammenlaufen.

Das erwähnte »Holmenkolmen« markiert eine Art Zwischenform der beiden verlegerischen Schwerpunkte, deren »zeitgenössischen« Strang Bücher mit Texten von Kurt Schwitters (»Doppelmoppel«) oder Ernst Jandl (»Bibliothek«) darstellen – technisch zum Teil sehr aufwendig mit Stanzungen gemacht und typografisch sehr gelungen in Szene gesetzt von Sabine Schmekel –, aber auch eine Doxographie zu Marcel Duchamps »Flaschentrockner« (Sammlung von gut 400 Statements, die darlegen, warum das Werk Duchamps von 1914 Kunst ist). Und, schon zum zweiten Mal, eine CD-Aufnahme mit Kurt Schwitters’ »Ursonate« nach der Originalpartitur. Die erste Veröffentlichung von 1994 (Vortrag Arnulf Appel) ist inzwischen vergriffene Rarität (wie vermutlich andere Einspielungen der Ursonate auch, etwa die mit Eberhard Blum, erschienen bei HatArt Music 1992). Die aktuelle Logo-Ausgabe (erschienen im Juli 2006) bestreitet Arne Dechow als Ausführender.

Mit Jandl und Schwitters verlegt Erfurth zwei Autoren, die eine sehr spezielle, vielleicht auch extreme Herangehensweise an die deutsche Sprache pflegen. Woher kommt dieses Faible – und wie kommt man als Kleinverlag an die entsprechenden Rechte zum Abdruck?

Das Faible für literarische Experimente ist wohl angeboren. Nach einer starken expressionistischen Phase kam, wie in der Kunstgeschichte dann auch, die Begeisterung für Dada. Nach dem Abi habe ich schon ein liebevoll dilettierendes Lyrik-Kabarett »Seferion« gegründet. Kleines Textbeispiel:

a r z n e i m i t t e l
a r z n e i m i t t e l
arz nei mit tel
arz nei mit tel
nei mit
nei mit

Verstärkt wurde diese Beschäftigung durch meine Tätigkeit als Zivi und Erzieher im Zentrum für Körperbehinderte, Würzburg-Heuchelhof. Von da aus ist der Weg zu Schwitters und Jandl nicht mehr weit.
Es erleichtert den Erwerb von Lizenzrechten sehr, wenn man als Verlag ein gewisses Renommee und eine Sorgfalt im Umgang aufweisen kann. So habe ich auch die Zweig-Rechte bekommen. Schwitters war, da ich am Anfang stand, entsprechend schwierig. Zu Jandl und den dafür Verantwortlichen (Lektor Siblewski) hatte ich schon Kontakte. In hohen Ehren halte ich ein Band meines Anrufbeantworters, auf das Ernst Jandl gesprochen hat.

Erfurth, 1961 in Aschaffenburg geboren und aufgewachsen in Obernburg, studierte ab 1984 Theaterwissenschaft, Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte in München. Neben seinem Engagement als Spielertrainer der Theaterwissenschaftler-Fußballmannschaft blieb ihm genügend Zeit, seine Studien als M.A. mit Auszeichnung abzuschließen. Es folgten Publikationen u.a. zu Arp, Beckett, Schwitters, Ibsen, dazu begleitend und später freie Kunstaktionen (Aufführungen der Ursonate oder ein MultiGeräte-Laden in München, wo es u.a. den Flaschentrockner zu kaufen gab). Nach der Rückkehr nach Obernburg erfolgte 1993 die Verlagsgründung. Auch hier drängt sich wieder die Frage auf, ob es da konsequente Verbindungen oder eher einen Schnitt gab …

Es gibt Verbindungen und einen Schnitt. Ich habe Projekte aus meinen Münchener Aktionen (Ursonate, Flaschentrockner) in den Verlag und hierher mitgenommen – die Flaschentrockner-Aktion war dabei ein Auflagenprojekt und so etwas wie eine Initialzündung. Avantgarde, so habe ich festgestellt, kann man gut auch auf dem Land produzieren und in die Stadt verkaufen.
Klar war der Schritt von München nach Obernburg aber auch ein Schnitt, da viele bereits erprobte Verbindungen gekappt wurden (BR, Kulturreferat, Hypo-Kulturstiftung, Bibliotheken, Kunstleben, etc.) und teilweise aufrecht erhalten bzw. ersetzt werden mußten. Da kam das Internet gerade recht. Zugleich liegt Obernburg aber gar nicht so schlecht, wir sind am Rand der Metropolregion Rhein-Main mit all ihren Segnungen – es sind von hier nur 40 Minuten nach Frankfurt.

Neben den Büchern mit Bezug zur künstlerischen und literarischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts steht da die zweite, ebenso spannende Reihe mit dem programmatischen Titel »Region und Welt«. Hier verlegt Erfurth historische Texte mit Bezug zur Region, also Mainfranken im allgemeinen und Obernburg im besonderen. Dazu gehören Neuausgaben mit Texten von Stefan Zweig (»Adam Lux«), Ludwig Bechstein (»Eine Nacht im Spessartwalde. Wandergeschichte«, ediert nach der Erstausgabe von 1853) und Karl Immermann (»Die Wunder im Spessart. Waldmärchen«, ediert nach der Erstausgabe von 1839). Neben der sorgfältigen Edition bestechen die Bücher auch ästhetisch durch Illustrationen von Ulrichadolf Namislow (Immermann) bzw. Konrad Franz (Bechstein), die Zweig-Ausgabe im Logo Verlag wird durch eine Zeittafel ergänzt; alle Bücher sind mit aktuellen Vorworten und begleitenden Essays versehen, dazu weiterführende Informationen und Anmerkungen.

Besondere Erwähnung finden soll hier nur der Bechstein-Band, da er regional sehr umfassend ist – einerseits schildert Bechstein seine Reise von Thüringen aus durch Unterfranken (einschließlich Aufenthalt in Würzburg), zum anderen sind auch die regionalen Sagen, auf die Bechstein im zweiten Teil des Buches detaillierter eingeht, nicht nur im Spessart zu verorten. Wer sich also für gehobene, literarische Beschäftigung mit der Region und ihrer Geschichte interessiert, muß hier zugreifen.
Erfurths Engagement und Kompetenz in Sachen Region werden auch in Obernburg entsprechend gewürdigt:

Im letzten Jahr wurde ich zum Gründungsvorsitzenden des Förderkreises Römermuseum hier in Obernburg am Main gewählt. Der Verein, mittlerweile von 40 auf 174 Mitglieder gewachsen, hat sich zum Ziel gesetzt, in Obernburg ein überregional bedeutsames Römermuseum für die herausragenden Funde des Städtchens und der Region Mainlimes zu bauen. Bekanntlich ist alles Römische hier seit 2005 UNESCO-Welterbe. Das Amt habe ich aus kulturpolitischen Gründen übernommen. Ich will die Region voranbringen.
Was interessant wird, ist eine Mainlimes-Konferenz am 20. Oktober hier in Obernburg und eine Aktion im nächsten Jahr, bei der wir ein Römerschiff auf dem Main von Miltenberg nach Großkrotzenburg schwimmen lassen.

Bei soviel Engagement bleibt nicht viel Zeit für die Verlagsarbeit, aber …

Im nächsten Jahr erscheint ein Band zu einem bedeutenden, aber vergessenen Revolutionär und Jakobiner hier aus der Gegend – Felix Anton Blau aus Walldürn. Autor ist der junge Stuttgarter Historiker Dr. Jörg Schweigard, der u.a. für die ZEIT schreibt. Weiteres in den Bereichen Avantgarde und Region ist in Arbeit, aber noch nicht spruchreif. ¶


LOGO VERLAG Eric Erfurth
Rosenstraße 6, 63785 Obernburg am Main
Tel. 0 60 22 / 7 19 88, Fax 0 60 22 / 20 69 41
E-mail: EErfurth@t-online.de

Lieferbares Verlagsprogramm (Stand Oktober 2006)

Reihe Klassische Avantgarde:

Kurt Schwitters – Ursonate. CD-Audio nach der Originalpartitur. Vortrag: Arne Dechow. Dauer 52:14, Booklet dt.-engl., ca. € 21.–
ISBN 3-939462-00-4

Marcel Duchamp – Flaschentrockner. Doxographie.
224 S., 22 Abbildungen, Broschur, € 21.–
ISBN 3-9803087-3-2

Reihe Neues Buch:

Kurt Schwitters / Sabine Schmekel – Doppelmoppel. Typographisches Bilderbuch. 28 S., Nachwort, Hardcover, € 12.–
ISBN 3-9803087-3-1

Ernst Jandl / Sabine Schmekel – Bibliothek. Typographisches Bilderbuch. 20 S., Nachwort, Hardcover, € 12.–
ISBN 3-9803087-5-8

Christine Großkinsky – Holmenkolmen. Alltagsdramen. Typographische Gestaltung. 160 S., Broschur, € 12.–
ISBN 3-9803087-6-6

Reihe Region und Welt:

Stefan Zweig – Adam Lux. Zehn Bilder aus dem Leben eines deutschen Revolutionärs. Essays von Franz Dumont und Erwin Rotermund, Materialien. 208 S., Broschur, 2. Auflage, € 15.–
ISBN 3-9803087-7-4

Karl Immermann – Die Wunder im Spessart. Waldmärchen. Essay von Barbara Mahlmann-Bauer, Illustr. von Ulrichadolf Namislow, Materialien. 128 S., Broschur, 2. Auflage, € 15.–
ISBN 3-9803087-8-2

Ludwig Bechstein – Eine Nacht im Spessartwalde. Wandergeschichte. Essay, Illustr. von Konrad Franz, Materialien. 176 S., Broschur, € 15.–
ISBN 3-9803087-9-0

In Kürze erscheinen:

logolit (= Reihe mit Literatur aus der Region):

Hans Meserle – Bilder. Gedichte. 112 S., Broschur, € 12.–
ISBN 3-939462-02-0

MOENA. Studien und Quellen zu Geschichte, Kunst und Kultur am Main:

Johann Wilhelm Christian Steiner – Geschichte und Topographie der alten Grafschaft und Cent Ostheim und der Stadt Obernburg am Main. Neuedition der Ausgabe Aschaffenburg 1821. Mit Nachträgen Steiners, einem Nachwort von Roman Fischer, Ortsregister und zeitgenössischen Illustrationen. 336 Seiten, Broschur, ca. € 24.–
ISBN 3-939462-01-2