Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bejing
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Rebus: Jochen Kleinhenz

Familie Sachs

von Martin Finkenberger

Am 6. Juni 1935, einem Donnerstag, empfängt der Schweinfurter Konsul Willy Sachs zwei hohe Würdenträger der nationalsozialistischen Machthaber: Fritz Sauckel, Reichsstatthalter und Gauleiter der NSDAP in Thüringen, und Karl Astel, Präsident des »Thüringer Landesamt für Rassewesen« und Inhaber einer Professur für menschliche Erbforschung und Rassenpolitik an der Universität Jena, besuchen den Unternehmer und Millionär, um ihn für ihre Pläne zu gewinnen. Thüringen, erläutert Astel, solle »zu einem Vorort praktischer rassischer Erneuerungsarbeit« ausgebaut werden. Das erfordere »die Schaffung eines Bollwerks rassenbewußter Forschung, weltanschaulich eindeutiger Wissenschaft und entsprechender Hochschulpolitik in Jena«, wofür entsprechende finanzielle Mittel nötig seien. Die erhoffen sich Astel und Sauckel von Willy Sachs. Und tatsächlich: Der damals 38jährige zeigt sich dem Wunsch seiner Besucher gegenüber aufgeschlossen. Er ist bereit, 100 000 Reichsmark zu stiften, von denen »etwa 20 bis 30 000 Mark speziell für die von uns geschilderten Zwecke eines Ausbaues des praktischen und wissenschaftlichen Rassewesens in Thüringen bestimmt wären«, wie Astel später in einem Schreiben an den Reichsführer SS, Heinrich Himmler, ausführt.

Ob Willy Sachs (1896–1958) über alle Einzelheiten des »praktischen und wissenschaftlichen Rassewesens« informiert war, das Astel und seine Kollegen betrieben, sei dahingestellt. An der Universität Jena und in den Behörden des Mustergaus Thüringen wurden in den dreißiger Jahren zahlreiche Studien durchgeführt, die etwa »die erbliche Bedingtheit oder Mitbedingtheit« der Homosexualität und ihre Verbindung »mit bestimmten körperlichen und geistigen Merkmalen und Eigenschaften« nachzuweisen versuchten oder mit denen »die Häufung der Kriminalität eines bestimmten Ausmaßes in der Sippschaft der Kriminellen« festgestellt werden sollte. Stets war damit ein politischer Auftrag verbunden, etwa der, einen »Maßstab für die Einbeziehung der Kriminellen in das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« zu finden. Unklar ist allerdings, welche Studien aus den von Sachs’ bereitgestellten Mitteln tatsächlich gefördert worden sind. Doch von einer wechselseitigen Sympathie der Gesprächspartner darf ausgegangen werden. Die Herkunft – Sauckel wurde in Haßfurt geboren, Astel kam aus Schweinfurt – verband sie ebenso wie die gemeinsame Mitgliedschaft in der SS.

Diese Mitgliedschaft, die nach 1945 schwer auf Willy Sachs lastet, und seine Nähe zu den NS-Machthabern erscheinen in dem Buch des langjährigen Rundfunkjournalisten Wilfried Rott über den Schweinfurter Industriellensohn bisweilen in einem harmlosen Gewand: Willy Sachs sei »ein zur Naivität neigendes Gemüt« gewesen, der nichts dabei gefunden habe, sich dem engeren Freundeskreis um Himmler anzuschließen, die schwarze Uniform der SS mit Stolz in der Öffentlichkeit zu tragen, persönliche Beziehungen zu Reinhard Heydrich zu unterhalten, mit Hermann Göring auf die Jagd zu gehen und sich dem – in den Augen Rotts »höchst harmlosen« – Reichsjagdrat zur Verfügung zu stellen. Doch daß der Lenker eines Weltkonzerns aus »Gaudi« der SS beitrat und ihr später Geldspenden zukommen läßt, vermag selbst als später vorgebrachte Erklärung kaum zu überzeugen.

Den Grundstein für Willy Sachs’ Reichtum hatte Vater Ernst Sachs (1867–1932) gelegt. Der Tüftler und Bastler aus der schwäbischen Provinz gelangte durch seine Erfindungen im Kugellagerbau zu Würde und Wohlstand. Mit der »Torpedo« benannten Nabe, die den Freilauf am Fahrrad mit Rücktrittbremse verbindet, errang er Anfang des 20. Jahrhunderts eine marktbeherrschende Stellung. Der Erste Weltkrieg machte ihn zum Millionär, die Weltwirtschaftskrise konnte ihm wenig anhaben. Mit seinem Aufstieg, der nicht zuletzt durch die Motorisierung seit der Jahrhundertwende befördert wurde, legte sich der Patriarch auch die Insignien der vormals herrschenden Schicht zu. Das Schloß Mainburg, wenige Kilometer von Schweinfurt entfernt, kündet noch heute davon, und ein Schwimmbad, das er der Stadt stiftete, ist mit seinem Namen verbunden. Ausführlich und kenntnisreich beschreibt Wilfried Rott im ersten Teil seines Buches diesen Aufstieg, bei dem Konkurrenten in der Kugellagerproduktion ausgestochen werden und der durch eine geschickte Heiratspolitik befördert wurde. Als Ernst Sachs 1932 unerwartet stirbt, tritt sein Sohn das Erbe an.

Der Besuch Sauckels und Astels im Juni 1935 ist da nur eine von vielen Episoden. Das zweite und umfangreichste Kapitel des Buches legt schlüssig dar, daß Willy Sachs den Nationalsozialisten nicht nur verbal Sympathie bekundete, sondern auch enge persönliche Beziehungen zu führenden Partei- und Staatsfunktionären pflegte. Autor Wilfried Rott scheint sich über deren Bedeutung freilich nicht immer im klaren zu sein. Daß er 1935 bei der Eröffnung des von Willy Sachs finanzierten und heute noch nach ihm benannten Fußballstadions seinem »geliebten Führer Adolf Hitler ein dreifaches Sieg Heil« zujubelt, entsprang, so Wilfried Rott, einem »konventionellen, zeittypischen Charakter«.

Das klingt harmlos und verkennt, daß Willy Sachs zu jener wirtschaftlichen Funktionselite zählte, auf die die Nationalsozialisten sich stützen konnten. Hitler stattete seinen Messeständen Besuche ab. Himmler läßt der größte und bedeutendste Arbeitgeber der Region mehrere hunderttausend Mark an Spenden zukommen. Seit Mitte der dreißiger Jahre profitiert er von der Aufrüstung, ab 1939 hält er die Kriegsmaschinerie in Schwung, und wie selbstverständlich setzt er in seinen Werken auch Zwangsarbeiter ein. Ein apolitischer Durchschnittsmensch, den Wilfried Rott zeichnet – »letztlich gilt wohl ( …), daß er bei kernigen Männerwitzen mehr zu Hause war als in der politischen Rede«, heißt es an einer Stelle – ist Willy Sachs gewiß nicht gewesen. Die hohen Spenden an SS und NSDAP sowie die engen Beziehungen zu den Machthabern sind es dann auch, die im Entnazifizierungsverfahren nach 1945 Anlaß zu kritischen Fragen geben und zu langwierigen, juristischen Fehden führen.

Das dritte Kapitel widmet sich Wilfried Rott den Enkeln des Firmengründers. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem Gunter Sachs. Nach dem Tod seines Vaters verkauft er das Unternehmen und kultiviert, an der Seite prominenter Partnerinnen, das Leben eines Playboys. Dieser Teil fällt im Vergleich zu den vorherigen Kapiteln, die aus reichhaltigem Quellenmaterial und Sekundärliteratur schöpfen können, deutlich ab. Er leidet zudem daran, daß das Objekt der Beschreibung sich einem Interview entzog. Wilfried Rott mußte sich auf Angaben von Weggefährten verlassen und erzählt nach, was die bunte Presse der sechziger und siebziger Jahre über die Ausschweifungen Gunter Sachs’ berichtete. Skurril muten die Ausführungen über astrologische Forschungen an, die Gunter Sachs betreibt. Aus »Millionen von Daten über Geburtstag von Straftätern und Verkehrssündern, von Brautpaaren und Geschiedenen, Kranken und Selbstmördern, Berufstätigen und Astro-Interessierten« will er – eine späte, vermutlich aber unbeabsichtigte Rache am erbbiologischen Programm Karl Astels, das einst sein Vater zu fördern versprach – den Nachweis führen, zwischen den nach den Sternzeichen geordneten Geburtsdaten und »bestimmten Verhaltensweisen« bestünde ein Zusammenhang. Zur Heimat seines Vaters pflegt der in der Schweiz aufgewachsene Unternehmenserbe keine engere Bindung, auf Repräsentation in Schweinfurt legt er keinen Wert. Einen Bildband zur 750-Jahr-Feier seines Geburtsortes Meinberg bedenkt er mit 1 000 Mark. Und die Sanierung des Ernst-Sachs-Bades, das einst sein Großvater gestiftet hatte, ist für ihn kein Thema. Gunter Sachs denkt in größeren Dimensionen. ¶


Wilfried Rott: Sachs – Unternehmer, Playboys, Millionäre. Eine Geschichte von Vätern und Söhnen. München 2005 (Karl Blessing Verlag), 384 S., € 22,60. ISBN 3896672703