Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bejing
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Fotos: Angelika Summa

Wolfgang Schmidt: »Lebenszeichen«

natur ist kunst

von Angelika Summa

Der Anlaß zur Ausstellung ist der 75. Geburtstag des Künstlers. »herman de vries zu ehren« war das Bedürfnis mehrerer Verantwortlicher von Galerien und Museen der fränkischen Region, und demzufolge war ein bisher einmaliger Zusammenschluß von insgesamt fünf Ausstellungorten möglich. In Eschenau, Knetzgau, Schweinfurt, Bamberg und Würzburg wird aus fünf verschiedenen Blickwinkeln das vielschichtige Lebenswerk von herman de vries beleuchtet, der 1931 im niederländischen Alkmar geboren wurde und sich 1971 nach Eschenau in Unterfranken zurückzog, um im Kontakt mit der noch einigermaßen intakten Natur des Steigerwaldes seinen Studien nachzugehen. Wobei »zurückzog« nicht das richtige Wort ist. Obwohl sich der Künstler bewußt die fränkische Provinz erwählte, was besonders bei jenen, die Kunstäußerungen nur im internationalen Vergleich gelten und dabei die fränkische Provinz links liegen lassen, Unverständnis hervorrufen mag, hielt er andererseits von Eschenau ausgehend Kontakt mit vielen Künstlern seiner Generation, die gleich ihm im Grenzbereich von Kunst, Natur und Philosophie arbeiten. Daß darunter auch solche der internationalen Avantgarde zu finden sind, die der Concept Art (wie der Schweizer Heinz Brand), der Fluxus-Bewegung (wie der New Yorker Geoffrey Hendricks) oder den Wortkünstlern der konkreten Poesie (wie der Deutsche Wolfgang Schmidt) zugerechnet werden, können die Besucher der Würzburger Ausstellung sehen.

Im Museum im Kulturspeicher werden bis zum 15. Oktober 2006 unter dem Titel »taschengewitter« (in Anlehnung an Hendricks’ »pocketstorm«) die »… künstlerbücher der eschenau summer & temporary travelling press« in Vitrinen ausgestellt; das sind die von hermann de vries seit 1974 im Selbstverlag einmal im Jahr herausgegebenen Künstlerbücher, insgesamt 54 Ausgaben, die er oder seine Künstlerfreunde gestalteten. Komplettiert werden sie durch weitere Kunstwerke aller Beteiligten. Und das ist auch gut so. Denn so einzigartig das Projekt der Buchreihe von herman de vries auch sein mag, dem sinnlichen Erlebnis »Buch« sind hier Grenzen gesetzt. Das Bewußtsein, mit welcher Künstlerpersönlichkeit de vries denn nun den Dialog führte, verleiht den Künstlerbüchern – meist dünne Hefte in kleinem Format, oft nur ein Umschlag, eine Mappe, lose Blätter – Fetischcharakter.

Diesen Charakter hat sicherlich auch das riesengroße, rote Herz aus Seidenpapier von James Lee Byars, das im Briefkuvert zusammengefaltet auf Reisen ging und es auch weiterhin bei jedem Lufthauch tun möchte, weshalb es sorgsam festgehalten werden muß. Es wirkt wie der besondere Botschafter dieser Ausstellung: dem flüchtigen Augenblick und dem Vergänglichen zugetan, auf der Basis der Freundschaft entstanden. Die Farbe Rot war (neben Gold und Schwarz) für den »Magier der Stille« besonders wichtig, die »Devil«-Ausgabe Nr. 12 von J.L. Byars (1932–97) ist knallrot.

Die Buchreihe der »eschenau summer & temporary travelling press« ist durchgehend numeriert und wird fortlaufend präsentiert. Nummer 1 mit dem Titel »noise« und Nummer 2, betitelt »to be all ways to be«, sind 1974 in Kathmandu entstanden und auf Reispapier gedruckt. Diese Textbilder geben die Philosophie des Künstlers wieder, die um Sein und Werden kreist und Fragen nach dem Woher und Wohin des Lebens stellt: »to be«, herman de vries’ Schlüsselwort, steht in goldenen Lettern und in Stein gemeißelt im Raum. Daneben ist herman de vries, der in seiner Ablehnung von Hierarchien soweit geht, alles klein zu schreiben, der bescheidene und beständige Sammler, Forscher und Bewahrer von Naturmaterialien, die er unverändert, respektvoll, aber mit ordnender Hand zum Kunstwerk erklärt: »natur ist kunst«. Bei herman de vries werden getrocknete Rosenblüten zum einzigen Inhalt eines Buches. Zur Poesie steuern Kollegen Handfestes bei: Für den Polen Ryszard Winlarski wird das Buch zum Spiel, Ewerdt Hilgemann dokumentiert mit zwölf Fotos den Lastwagentransport von Carrara-Marmor an einem bestimmten Tag im August 1980, und für Eugen Gomringer, den Sprachkünstler, muß sowieso alles »hand und fuß haben«, weshalb er sie daneben auch abbildet.

Manche Künstler wie François Morellet gehen mit dem Buch recht humorvoll um. Ein bewußt schief angeordnetes, geknicktes Blatt ergibt sein »badly bound book«, das »schlecht gebundene Buch«. Normalerweise ist so etwas für jeden Bücherfreund ein Ärgernis, hier ist es eine der eingängigsten Anmerkungen zum Thema Künstlerbuch.

herman de vries erhielt zusammen mit vier weiteren Preisträgern aus andern Kunstsparten den zum zweiten Mal vergebenen E.ON-Kulturpreis-Bayern, der am 26. Oktober 2006 in Nürnberg verliehen wird. ¶


herman de vries zu ehren – die Ausstellungsreihe 2006:

16.9.–15.10. taschengewitter – künstler und künstlerbücher der eschenau summer & temporary travelling press
Museum im Kulturspeicher, Würzburg

10.9.–8.10. herman de vries: Werke 1974–2006
Schloß Oberschwappach, 97478 Knetzgau, GT Oberschwappach
Öffnungszeiten: Samstag, Sonn- und Feiertage 14–17 Uhr
sowie täglich nach tel. Vereinbarung unter 0 95 27 / 81 05 01

10.9–8.10. herman de vries – Sammlung susanne de vries 1958–72
Galerie im Saal, 97478 Knetzgau, GT Eschenau
Öffnungszeiten: Samstag 14–17 Uhr, Sonn- und Feiertage 11–18 Uhr sowie täglich nach tel. Vereinbarung unter 0 95 27 / 81 05 01

14.9.–15.10. aus der heimat – »eschenau-journal« und Fotodokumentation des Projektes »spuren« im Steigerwald der Journalistin Katharina Winterhalter
Galerie Alte Reichsvogtei, 97421 Schweinfurt
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 14–17 Uhr,
Samstag und Sonntag 10–13 und 14–17 Uhr

18.9.–14.10. »all this here« – textbilder von herman de vries
Kunst im Gang, Galeriehaus für zeitgenössische Kunst, 96049 Bamberg
Öffnungszeiten: Mittwoch, Donnerstag, Samstag 15–18 Uhr
sowie nach tel. Vereinbarung unter 09 51 / 5 71 82

Nur bei Zweitausendeins erhältlich ist die aktuelle Monographie herman de vries von Mel Gooding. Deutsch von Waltraud Götting. 144 Seiten, Großformat 28x26 cm, 268 Bilder, € 29.90.