Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bejing
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Fotos: Achim Schollenberger

Ludwig Metzger: »2x Informel Götz und Schultze« (Videostandbild).

Moosdrache
im Farbendickicht

von Achim Schollenberger

Es herrscht ein dichtes Gestrüpp in den Bildern. Es ist nicht einfach, da durchzukommen. Das Auge wandert zwischen ineinanderverhakten Farben, versucht, darin Formen zu sondieren, zu extrahieren, um sich letztlich doch gründlich im Gewirr zu verlieren. Die Bildwelten von Bernard Schultze im Museum am Dom in Würzburg sind nicht leicht zugänglich. Klare Bildintentionen manifestieren sich am ehesten in den prosaischen Bildtiteln, zugleich weisen sie den Weg durch das viel- und farbschichtige Werk des 2005 im Alter von 89 Jahren verstorbenen Künstlers. Läßt man sich aber auf einen Spaziergang ein, entdeckt das Auge plötzlich und unerwartet doch den grünen, gut getarnten »Moosdrachen« inmitten der Bildschöpfung. Ein mit schnellem Pinsel gemalter, roter Augenkringel hat ihn verraten.

Bernard Schultze gehörte ohne Zweifel zu den wichtigsten deutschen Künstlern der Gegenwart. Er war einer der Mitbegründer des Tachismus und des Informel, Inspirationen bekam er aber auch durch den Surrealismus und die Art Brut. Zusammen mit K.O.Götz, Heinz Kreutz und Otto Greis gründete er 1952 die Künstlergruppe »Quadriga« in Frankfurt. Berühmt wurden die »Migofs«, seine Objekte aus Draht, Plastikmasse, Holz und bemalter Leinwand. Die Ausstellung im Museum am Dom zeigt über 50 Arbeiten aus dem Zeitraum von 1982 bis 2004.

Organisch wirken Schultzes Bildwelten, die großformatigen Farbwucherungen verdichten sich erst beim genauen Hinschauen. Es ist ein Herantasten an die Seelenlandschaft des Künstlers, die sich peu- à- peu erschließen kann, wenn man etwas Gespür und Neugierde mitbringt.

Luftig leicht toben seine »Windgestalten im Frühling«, des Dichters »Jean Pauls Verwirrspiel« wird zum farbstrotzenden Diptychon, ein »Moloch« zeigt sich als wucherndes, verschlingendes Gefüge. Nie scheinen die Bildmotive stillzustehen, immer in einem Prozeß der Wandlung begriffen, was durch die typische Malweise Bernard Schultzes verstärkt wird. Es gibt kaum klar umrissene Konturen, der Pinsel formt mit Farbe die Gestalt, erzeugt die Vorstellung von Natur und Landschaft, schafft dadurch Gleichnisse für sich wandelnde Organismen. Eine neue, eigene Fantasiewelt entsteht. Zusammen mit dem Titel läßt die farbintensive Komposition Atmosphäre und Stimmung wachsen, freilich nie ganz eindeutig, nie ganz faßbar. Sie legen eine Fährte, der es zu folgen gilt – ob sie zum Ziel führt, bleibt jedoch offen. Ganz bewußt hat dies der Maler wohl beabsichtigt. Er zielt auf die vielen Schichten des Unterbewußtseins, die bekanntermaßen bei jedem Menschen verschieden sind. Schultze gibt den Raum vor, rätselhaft, vielseitig interpretierbar, mag sich jeder darin zurechtfinden, wie er es will, und durch das Labyrinth seinem eigenen Ariadnefaden folgen.

Die Ausstellung darf man wirklich als gelungen bezeichnen. Neben den gut gehängten Originalen zeigen Aufnahmen der Fotografin Tamara Voss sehr informative Einblicke in das Atelier und die Arbeitsweise Bernard Schultzes. Dazu ist im Zwischengeschoß des Museums die TV-Dokumentation »2x Informel Götz und Schultze« von Ludwig Metzger zu sehen. Lohnend ist auch der kleine, begleitende Katalog zur Ausstellung. ¶


Bernard Schultze: Bildwelten 1982–2004
Ausstellung vom 12. September bis 17. Dezember 2006 im Museum am Dom, Würzburg
Öffnungszeiten: Di.–So. und Feiertage 10–17 Uhr