Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Irland
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Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

Hut ab, Herr Geiselhart !

Portrait eines ungewöhnlichen
Jazz-Musikers

von Manfred Kunz

Eine Flucht aus war es nicht, die ihn von Würzburg nach Wien geführt hat. Eher nochmals ein Schritt zur Erweiterung seiner musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten. Seit Anfang des Jahres ist Markus Geiselhart aus der übersichtlichen Würzburger Jazz-Gemeinde in die »dynamische, unüberschaubare und höchst interessante« Wiener Szene gewechselt. Noch ist er nicht gänzlich heimisch geworden in der Donau-Metropole: »Das dauert mindestens ein Jahr« erklärt er beim Treffen im Würzburger »Standard« die Faustregel für den Ortswechsel von Musikern.

Dabei lief (und läuft) es gerade ausgesprochen gut für Geiselhart in Würzburg. Binnen kürzester Zeit hat sich der umtriebige und äußerst vielseitige Posaunist, Bandleader und Komponist zu einer der auffälligsten Persönlichkeiten in der Würzburger Jazz-Landschaft entwickelt: schon in seiner ersten eigenen Formation, dem 2003 aus Anlaß des Diplom-Konzertes gegründeten, seit Ende 2004 in der jetzigen Besetzung bestehenden Markus Geiselhart Quintett zeigt sich seine musikalische Vielseitigkeit – hat sich die Formation in ihrer Entwicklung vom »Mainstream-Jazz« mit Geiselharts Kompositionen und Bearbeitungen inzwischen hinein in die Welt des »Modern Jazz« bewegt. Mit einem auf die Lyrik Gottfried Benns bezogenen Programm präsentiert sich das Quintett mit dem Nürnberger Johannes Geiß (Alt- und Sopransaxophon) und den Würzburgern Bernhard Pichl (Piano), Dirk Schade (Bass) und Aggi Berger (Schlagzeug) am 15., 17. und 18. Juni im Efeuhof des Würzburger Rathauses.

Konsequent führt Geiselhart damit seine Zusammenarbeit mit Würzburger Theatermachern fort, die im vergangenen November mit der live gespielten Bühnenmusik zur Neunerplatz-Produktion »Lucifers Matches« begonnen hatte. Mit Einfühlsamkeit, Konzentration sowie seiner lockeren Spielfreude trug er ganz wesentlich zum Erfolg dieses musikalischen Märchens für Erwachsene bei (vgl. nummerzwölf). Von dort engagierte ihn Regisseur Markus Czygan für die Bühnenmusik zu seiner Inszenierung »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« an der Werkstattbühne (ab Herbst als Wiederaufnahme erneut im Spielplan). Kalte, metallene Sounds einerseits, heitere circensische Melodien anderseits legen die düster-amüsante musikalische Grundlage für Brechts groteskes Gangsterspektakel – ein weiterer gelungener Beweis seiner musikalischen Empathie.

Empathie, aber noch mehr Qualitäten ganz anderer, vor allem organisatorischer und gruppendynamischer Art, erfordert auch die Leitung des Würzburg Jazz Orchestra. Unter diesem Namen firmiert seit dem öffentlichen Debüt mit dem Programm aus Kompositionen des legendären Bigband-Leaders Don Ellis (1934–78) an Ostern 2005 die ehemalige Big Band der Jazz-Initiative Würzburg. Einher ging mit dieser Umbenennung auch eine stärke Professionalisierung und schärfere Konturierung der Programme – beides angestoßen von Markus Geiselhart. Dem »Tribute to Don Ellis« mit dem Wiener Solisten Thomas Gansch (Trompete) folgten beim 21. Würzburger Jazz-Festival im November 2005 die Jazz-Suite »Continental Call« mit dem Solisten Michael Arlt (Gitarre), die der Komponist Ed Partyka 2003 für das Concert Jazz Orchestra Vienna geschaffen hatte, das faszinierende »andere« Neujahrskonzert im Würzburger Bockshorn Theater am 8. Januar 2006, sowie an gleicher Stelle die Programme »The European Sound« (am 5. März) feat. Peter Fulda (Klavier) und »Artistry in Rhythm – The Music of Stan Kenton« (am 21. Mai).

Und »natürlich ging die rasante Entwicklung von einer Bigband mit Hobby-Charakter zu einem Jazz-Orchester mit ausgefallenen, musikalisch schwierigen, selten gespielten und europaweit beachteten Repertoire-Programmen nicht ganz ohne Spannungen ab«, bekennt Geiselhart freimütig. Aber für ihn war dieses musikalische Fortschreiten nur die zwangsläufige Konsequenz aus der Übernahme zunächst der organisatorischen, später der musikalischen Leitung der damaligen Bigband im Herbst 2002 und im Sommer 2003.

Diese Beharrlichkeit, das ständige »Steine den Berg Hochschieben«, wenn andere schon längst aufgegeben hätten, scheint ein zentraler Charakterzug des 1977 in Stuttgart geborenen Jazz-Musikers zu sein. Genauso wie die Vielseitigkeit mag er tief in seiner Biografie wurzeln, einer Biografie, die verschiedene Brüche und Seitenstränge im Rückblick doch zu einer konsequenten Ausrichtung auf ein lange Zeit nicht genau fixiertes Ziel verbindet. Angefangen hat es mit der Ausbildung am Tenorhorn, später an der Posaune im heimatlichen Musikverein. Als Mitglied im Stuttgarter Jugend-Sinfonie-Orchester lernt Geiselhart das Repertoire der klassischen Musik kennen; der Grundwehrdienst beim Stuttgarter Heeresmusik-Korps erweitert sein musikalisches Wissen um eine neue Dimension. Ein mögliches Studium der klassischen Musik verwirft er genauso, wie er eine angefangene Ausbildung zum Musikalienhändler nach einem knappen Jahr abbricht. Es ist sein Posaunenlehrer Ernst Hutter, zugleich Leiter der SWR-Bigband, der Geiselhart im Juni 1998 auf einen von ihm selbst geleiteten Workshop mitnimmt. »In drei Tagen war ich musikalisch gänzlich umgedreht und völlig mit dem Jazz-Virus infiziert«, beschreibt Geiselhart dieses Paulus-Erlebnis. Er bewirbt sich an allen möglichen Musikhochschulen für ein Studium: aus finanziellen Gründen fällt die Wahl auf Würzburg. Die Nähe zur Heimat sichert ihm die Möglichkeit, mit Auftritten sein Leben zu finanzieren. Das Studium der Jazz-Posaune bei Richard Roblee beendet er 2003 mit dem Diplom-Abschluß, den Studiengang Jazz-Komposition im Jahr 2004.

Seither verdient er seine Brötchen als Privatlehrer, mit Lehraufträgen an Musikschulen, als Dozent von Jazz-Workshops und als Leiter der Arbeitsphasen der Jazz-Juniors Bigband des Landes-Jugend-Jazz-Bundes (LJJB). Denn trotz ihrer enormen stilistischen Bandbreite werfen seine verschiedenen Jazz-Projekte zu wenig für den Lebensunterhalt ab, von der Schwierigkeit überhaupt geeignete Veranstalter für das 18-köpfige WJO zu finden, ganz zu schweigen. »Ohne Festivals oder große Sponsoren geht gar nichts«, bilanziert er bitter die gescheiterten Bemühungen, mit dem Don-Ellis-Programm eine kleine Europa-Tour zusammenzustellen. Umso dankbarer ist Geiselhart dem Bockshorn-Chef Mathias Repiscus, daß er dem WJO seit Januar regelmäßige Auftritte ermöglicht, die bereits ein treues Publikum haben.

Ein Stammpublikum gefunden hat in kürzester Zeit auch der von ihm in der Programmauswahl mitbetreute Jazzclub im Tiepolo-Keller. Das erste Halbjahr lief wider Erwarten ganz ordentlich; nach der Sommerpause folgt von Oktober bis Dezember jeweils donnerstags eine zweite Staffel, für die das Booking bereits jetzt abgeschlossen ist. Daneben organisiert er für das jazzige »Beatles Projekt«, das er in einer Quartett-Formation am 8. Dezember vergangenen Jahres aus Anlass des 25. Todestages von John Lennon mit großem Erfolg im »Standard« vorgestellt hat, eine Deutschland-Tour für den Herbst. Und auch sein jüngstes, musikalisches Projekt, die multimediale Hommage an den großen Albert Mangelsdorff unter dem Titel »Hut ab!«, die an zwei Tagen im April im Theater am Neunerplatz zu hören und sehen war, wird zweifellos ein größeres, bundesweites Publikum finden. Verknüpfen lassen sich alte und neue Heimat, Würzburg und Wien, auf naheliegende Weise auch über den Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart. So steckt Geiselhart aktuell in Überlegungen, entweder Mozart-Briefe kabarettistisch und mit Live-Jazz darzubieten oder gar für den Auftritt des WJO beim diesjährigen Jazz-Festival Kompositionen von Mozart und der Wiener Klassik für die Bigband zu arrangieren. Für welche Variante er sich entscheidet und was seine Wahlheimat Wien uns Würzburgern noch an musikalischen Überraschungen bieten wird, eines ist sicher: Markus Geiselhart wird weiter (musikalische) Steine den Berg hochschieben – einfach aus der puren Lust am Weitermachen. ¶


Die nächsten Möglichkeiten, Markus Geiselhart in Würzburg zu hören:

15., 17. und 18. Juni, Efeuhof im Rathaus:
Markus Geiselhart Quintett: »Jazz & Lyrik« – Gottfried Benn zum Gedächtnis (eine Produktion der Werkstattbühne)

24. Juli, Efeuhof im Rathaus: WJO – Big Band Open Air 2006

10. Oktober, Theater Chambinzky:
Markus Geiselhart Quartett: Beatles Project

26. Oktober, Tiepolo-Keller: Markus Geiselhart Quintett

29. Oktober, Felix-Fechenbach-Haus: WJO beim Jazz-Festival Würzburg

www.markusgeiselhart.de