Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Weimar
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Foto: Angelika Summa

Nachruf auf Ilse Selig
(30. Oktober 1913 – 26. Januar 2006)

Jedes Bild hat eine Melodie

von Angelika Summa

Sie gehörte nicht zu den Menschen, die jedes Wort auf die Goldwaage legten. Aber begriffliche Ungenauigkeiten mißfielen ihr zutiefst. Deshalb rückte sie die Dinge auch sofort zurecht. Wegen dieser klaren Haltung war ein Gespräch mit Ilse Selig immer ein Vergnügen, zumal sie ihre Meinung mit einer Mischung aus Strenge und feinem Humor kundtat.

»Künstler« war so ein Begriff. »Wer sich heutzutage so alles Künstler nennt«, meinte sie einmal kopfschüttelnd. Sie selbst bezeichne sich nicht als Künstlerin – das letzte Wort dehnte sie etwas – »ich bin Malerin und Zeichnerin«, meinte sie dann beinahe demonstrativ.

Ilse Selig grenzte sich von der Masse und deren Oberflächlichkeiten ab. Besonders im Bereich der Kunst war für sie ein handwerkliches Fundament für ein gutes und tragfähiges Ergebnis unerläßlich. Sie engagierte sich fast ein Leben lang in der Erwachsenenbildung, als Lehrerin für Freihand-, Porträt- und Figurzeichnen, der Aquarell- und Ölmalerei bis hin zur Kunstgeschichte. Und glücklicherweise hatte sie das nötige Gespür für Talent und dessen Förderung. Viele ihrer Schüler verdankten der Qualität ihrer Lehrtätigkeit den Zugang zu Akademien und Kunsthochschulen. Manche davon hielten zeitlebens Kontakt zu ihr, was wiederum für ihre Menschlichkeit sprach.

Die Würzburgerin Ilse Selig stammte aus gutsituiertem und kunstsinnigem Hause: »Malen war normal«, erzählte sie einmal. Alle ihre Geschwister taten das. Ein Onkel war hochbegabt.

Wie die meisten Menschen ihrer Generation mußte sie nach dem Krieg erst einmal wieder Fuß fassen und sich eine Existenz aufbauen. Sie ergriff die Chancen, die sich ihr boten, und sie hatte das Glück dabei »enorm gefördert« worden zu sein, z. B. von Heiner Dikreiter, ihrem Lehrer an der ehemaligen Würzburger Kunst- und Handwerkerschule.

Ilse Seligs eigentliches Thema als Künstlerin umfaßte Natur und Mensch gleichermaßen. Ihre farbenprächtigen, atmosphärischen Bilder baute sie auf Melodien auf, die ihr „einfach so“ in den Sinn kamen, sagte sie, ähnlich wie beim Klavierspielen, das sie zwar gelernt, aber »nie geübt« hatte. »Jedes Bild hat eine Melodie«, erklärte sie einmal. Die Gestaltung dieser Melodie sei ihr in ihrer Arbeit wichtig. Ihre eigene Fantasie, aber auch der Eindruck der Dinge, die Impression, waren ihre Impulsgeber, weshalb sie ihre Bilder als »Fant-Impress-Malerei« bezeichnete.

Die Harmonie innerhalb des Bildes erreichte die Malerin durch die Verwendung von grundsätzlich nur fünf reinen Farben, aus denen sie alle anderen Farben mischte. Die Mühe, die sie darauf verwandte, hatte sich immer gelohnt. Ilse Seligs Bilder strahlen, fantasievoll und farbenfroh, solide und auf eine selbstverständliche, bewährte Weise, so wie es die Sonne gibt und die Blumen und die Schiffe auf dem Main. ¶