Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Weimar
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Vom Kritisieren zum »Killen«

Entgegnung eines Lesers auf »Vom Stolpern und Straucheln …« in nummerdreizehn

von Paul Pagel

Die nummer, Zeitschrift für Kultur in Würzburg und …, hat ein erfolgreiches erstes Jahr hinter sich. Darüber können sich Kulturschaffende und an Kultur Interessierte nur freuen, der Redaktion gebührt Lob und Anerkennung.

Nun ist die nummerdreizehn erschienen. Die Redaktion hat sich wieder mit Elan ins kulturelle Treiben gestürzt und betont im Editorial »das Pflänzchen Lokalkultur endlich wieder kräftiger düngen« zu wollen. Demgemäß werden zwei Würzburger literarische Publikationen vorgestellt, eine davon ist Hans Steidles Buch »Von ganzem Herzen links. Die politische Dimension im Werk Leonhard Franks«.

Der Rezensent Berthold Kremmler führt zu Beginn viel Nachdenkenswertes über Defizite im heutigen Literaturbetrieb (»Hinscheiden von Korrektoren und Lektoren«) aus und übt berechtigte Kritik an Steidles Buch. Keine Frage, die Verstöße gegen Satzbau, Zeichensetzung und Grammatik sind ärgerlich, die Schludrigkeiten im kritischen Apparat (Bibliographie, falsche Schreibweise bei Eigennamen, mangelnder Beleg von Zitaten) unverzeihlich. Das geht nicht nur zu Lasten des Autors, sondern auch der Leonhard Frank-Gesellschaft als Herausgeberin. Sie muß diesbezüglich für ihre Publikationen mehr Sorge tragen. Allerdings wimmeln die Satzfehler dem Leser nicht »auf jeder Seite geradezu entgegen«, wie Kremmler übertreibend suggeriert, den Einzelnachweis bleibt er nämlich schuldig, hält ihn gar für »erübrigt«.

Dem Vorwurf der Abundanz des Buches ist angesichts etlicher Wiederholungen zuzustimmen, 30 Seiten weniger täten Buch und Leser gut. Differenzierter gesehen werden muß allerdings die Feststellung Kremmlers, Steidle pflege einen »etwas mäandernden Gedankengang«. Es versteht sich doch von selbst, daß bei der Darstellung eines Œuvres Verbindungslinien und Querverweise zwischen einzelnen Werken hergestellt werden. Daß Steidle zudem auf inhaltliche Parallelen zwischen Jehuda Amichai und Leonhard Frank hinweist, ist keineswegs mangelnde Stringenz, sondern weist den Autor vielmehr als Kenner der Literatur aus, die sich mit Würzburg im Dritten Reich kritisch auseinandersetzt. – Übrigens, auch der Main mäandriert und erreicht schließlich in schönem mäjestätischen Lauf sein Ziel. So weit, so gut. Karl Kraus und der genannte Pädagogikprofessor Bollnow hätten helle Freude an Kremmlers beckmesserischem Engagement für die Sprache gehabt.

Hinzu kommt, daß seine Kritik stilistisch glänzend geschrieben ist, dazu zeigt sich Kremmler als gebildeter Zeitgenosse und schillerfester Literat. Schon zu Beginn bemüht er den Dichterfürsten mit einem kursiv gesetzten Auszug aus Wallenstein: »Vater, es wird nicht gut ablaufen«. Das klingt unheilschwanger. Viermal noch wird das Dichterwort in den laufenden Text eingestreut, das letzte Mal allerdings heißt es »Vater, es ist nicht gut abgelaufen«. Gemäß dem Aufbau des klassischen Dramas ist das die Katastrophe, sprich der Verriß. Das Buch ist zur Strecke gebracht und sein Autor auch. Das nennt man das Kind mit dem Bade ausschütten.

Die folgenden Empfehlungen (Pädagoge an Pädagogen) an den Autor sind an Häme nicht zu überbieten. Da wird ihm unterschwellig geraten das Bücherschreiben zu unterlassen (»Kein Mensch muß müssen«) und im gleichen Atemzuge scheinheilig räsonniert, daß die Kosten für ein ›mißlungenes‹ Buch »von einer literarischen Gesellschaft getragen werden«. Mein Gott! Das Geld für Veröffentlichungen muß immer da sein, auch bei einer nicht gerade finanzkräftigen Gesellschaft, wie dies bei der LFG der Fall ist. Der Rezensent weiß genau, wie viel Hans Steidle für die Gesellschaft schon ehrenamtlich geleistet hat, ebenso wie Werner Dettelbacher. Gerade ihn fährt der Rezensent gegen den Autor auf, was jedoch im Sande verläuft. Die von Kremmler beanstandete Passage – es handelt sich um eine von Steidle als authentisch deklarierte Episode aus dem Ersten Weltkrieg (vgl. Steidle S. 66) – ist auch anhand der Ausführungen Dettelbachers in dieser Weise interpretierbar. Bisweilen sind factum und fictum bei einem so autobiographischen Schriftsteller wie Leonhard Frank eben nicht zu trennen.

Die dreimalige an den Autor gerichtete Wiederholung des Verbs »üben« wirkt reichlich infantil und deplatziert. Bei aller berechtigten Kritik ist Steidle inhaltlich weder ein Dilettant noch formal ein Analpha-bet. Doch Kremmler will ihn demontieren, wie die Schlußfrage belegt. »Ob der ganze große Rest dieses Buches dem neugierigen Leser wirklich substantiell weiterhift?« (Druckfehler, der passieren kann!). Ja, es kann den Leser in Sachen Leonhard Frank hieven, im Sinne von weiterbringen. Deshalb soll es gelesen werden, denn das Buch hat in vielerlei Hinsicht Substanz, worüber Kremmler auf drei Seiten kein Wort verliert. Die Lektüre hat ihm »einen Sack von Aggressionen aufgebrummt. Wie wird er sie aber wieder los?« Wenn er ehrlich ist, müßte er sie mit bereits dieser Rezension wieder los sein. Unser unglückseliger Atlas wird schon nicht zusammenbrechen.

Wir wollen am Ende fair bleiben und niemandem etwas Böses wünschen und zitieren deshalb in leicht abgewandelter Form einen bekannten Ausspruch: »Laßt ihn leben! Er ist ein Rezensent!« Und wir fügen hinzu: Ein sehr talentierter sogar. Vielleicht ist er auch zur Reflexion willens und fähig, um zu erkennen, daß ein Forum wie die nummer nicht für derartige persönliche Abrechnungen taugt. ¶