Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Weimar
< zur nummer 14

Schleudersitz im Karussell

Kommt eine neue Kulturpolitik in Würzburg?

von Berthold Kremmler

Die Nebelschwaden lichten sich – ein neuer Kulturreferent, eine neue Kulturreferentin wird in der Jahresmitte in das Amt eingeführt, das in den letzten Jahren Reiner Hartenstein, vormals langjähriger Schul- und Sportreferent, auf Wunsch des Stadtrats mitverwaltet hat. Dafür hatte er das große Vertrauen des Stadtrats; welche Motive der bei seiner Entscheidung gehabt hatte, hat er damals nicht nur nicht verhehlt, sondern lautstark zum Ausdruck gebracht: Die städtische Schullandschaft sollte bereinigt werden, so, wie derartige Bereinigungen auszufallen pflegen: weg damit! nur teuer!

Man muß den aktuellen Überlegungen einen kleinen Blick in die Vergangenheit vorausschicken, damit die Relationen durchsichtiger werden.

Als die damalige Kulturreferentin Frau Dr. Strobel zum ersten Mal zur Wiederwahl anstand, hatte sich der Stadtrat entschieden, keine Ausschreibung vorzunehmen. Man hätte also mit einer überzeugenden Wiederwahl rechnen können. Es stand entsprechend, wenn ich mich nicht täusche, kein Gegenkandidat zur Wahl.

Und wie war das Ergebnis? Frau Strobel erhielt 26 Stimmen, die unterste Grenze für die Wiederwahl. Eine Stimme erhielt Balthasar Neumann, ja, so geschichtsbewußt und qualitätsorientiert waren Stadträte damals!, und 22 Stimmen vereinigten sich auf Herrn Hartenstein – der sich weder zur Wahl gestellt noch damals behauptet hatte, er sei für diesen Posten irgend qualifiziert.

Soviel zur Autonomie und zum Verantwortungsbewußtsein des Stadtrats – damals.

Fünf Jahre später wollte der Stadtrat partout sparen, es gab abermals keine Ausschreibung, aber die Mehrheit wollte den bisherigen Sportreferenten und erfolgreichen Schuleinsparer Hartenstein ob seines Erfolgs mit einer weiteren Funktion versehen, der des Kulturreferenten. Man hatte ja vorher die Amtszeit der Kulturreferentin um ein Jahr verkürzt, so daß man diese drei Funktionen bei der Neuwahl mühelos in einer Person vereinen konnte. Es gab heftige Beratungen im Vorfeld über Kulturmanagement und Neustrukturierung des Amtes, zu denen von einigen Stadtratsfraktionen auch der »Dachverband Freier Würzburger Kulturträger« konsultiert wurde. Wie gewohnt scheiterten alle guten Ideen und Pläne an den Finanzen: Herr Hartenstein kostete einfach kein zusätzliches Geld, sondern half durch seine Doppelfunktion einsparen.

Abwickeln stand auf dem Panier. Und dafür braucht man ja eigentlich den Rat von niemandem.

In dieser Situation sind wir anscheinend auch heute. Vor Weihnachten wurde über den Ausschreibungstext für die Neubesetzung beraten – Externe wurden dabei vielleicht zugezogen, der »Dachverband«, der sich immer schon um diese Belange produktiv gekümmert hatte, jedenfalls nicht. Rückfragen nach dem Text der Ausschreibung wurden abgewiesen mit der Begründung, das sei höhernorts nicht erwünscht, man könne leider nichts tun. Das war sogar noch in der Stadtratssitzung der Fall, in der die schriftliche Formulierung sogar der Presse schon vorlag. (Dabei hatte der Autor in einer vergleichbaren Situation schon einmal Erfolg gegen diese Art begründeter Vertuschung: mit dem Hinweis auf § 5 GGO, der Geschäftsordnung der Ministerien, die regelt, daß vor der Behandlung eines Gesetzes die interessierten Verbände zur Beratung eingeladen werden können – also durchaus kein Geheimhaltungszwang besteht.) In dieser Sitzung versuchte die SPD-Fraktion mit rührender Unbeholfenheit noch schnell die Trennung von Kultur- und Sport-/Schulreferat wieder einzuführen und eine gesonderte Ausschreibung zu bewirken. Der Stadtrat legte dieses in seiner Kurzfristigkeit abstruse Ansinnen ungerührt ad acta.

Erhalten blieb freilich ein Zusatz, der zeitweise umstritten gewesen zu sein scheint, nämlich die Forderung nach dem Studium des Kulturmanagements. Die Spatzen pfiffen alsbald von den Dächern, daß damit Personalpolitik at it’s best, aber so verschleiert wie möglich, praktiziert wurde.

Jetzt also liegen dem Stadtrat die Bewerbungen vor, und schon hat die Mainpost die Namen zweier lokaler Bewerber publik machen können, einen Mann und eine Frau. Das hätte sich nicht besser treffen lassen. Dummerweise wurde schon bei der Ausschreibung kolportiert, daß der Text im Grunde genau auf die Frau hin formuliert sei, deren Ruf untadelig ist, um das mindeste zu sagen, und die also Wunschkandidatin sei.

Dummerweise taucht an der Peripherie eine neue Wolke auf: der jüngste Bericht des UN-Sonderberichterstatters für Bildung Vernor Muñoz Villalobos, der doch tatsächlich darauf insistiert, daß das Schulsystem in Deutschland nach wie vor ein äußerst gravierendes Manko besitze: die ungerechte Verteilung der sozialen Chancen durch die Auswirkung der Schulgliederung. (Besonders eklatantes Beispiel: Bayern.)

In einem Moment also, wo das Nachdenken über alternative Wege der Schulpolitik unabdingbar wäre, wird in Würzburg die Schule erst recht zu Tode transformiert. Und die Stelle, von der dieses Nachdenken ausgehen müßte, der Schulreferent, bleibt in der Sache unbesetzt.

Gleichzeitig gab es wohl Phantasien, daß die Frau, die die Bibliothek zu einsamem Ruf emporgeführt hat – doch wohl ein ›Ganztagsjob‹!? –, diesen Posten künftig mit der linken Hand und nebenher bewältigen könnte; ein besonders fein ziseliertes Sparziel. Dabei hatte der bisherige Kulturreferent vor lauter anderen Posten schon kaum die Zeit, die Kultur angemessen zu repräsentieren. Hätte er nicht einen so rührigen ›Kulturmanager‹, die Ausfüllung seiner Funktion in der öffentlichen Wahrnehmung gliche dem berühmten Schweizer Käse mit viel Loch und wenig Substanz drumrum.

Der aktuelle Stand der Dinge stellt sich also dar:

1) in der Schule: In dieser Zeit des schulischen Umbruchs verzichtet die Stadt auf eine Person, die Erfahrung hat, neue Ideen entwickeln könnte, die der Stoiberschen Katastrophe der G8-Reform wenigstens ein paar neue Ideen und lautstarke Kritik entgegensetzen könnte. Die staatlichen Schulen, insbesondere die Gymnasien, scheinen dazu ja nicht in der Lage. Als im Stadttheater vor ungefähr zwei Jahren zum Abgesang auf das bisherige kulturelle Engagement eine Art Leistungsschau des Kunst- und Musikunterrichts an einem Sonntagvormittag präsentiert wurde, schäumte der inzwischen pensionierte Ministerialbeauftragte Hermann Mündlein, vor dem die Schulchefs, wie mir scheint, ihr Zittern bis heute nicht vergessen haben. Als die Jubelveranstaltung zum G8 mit der Kultusministerin Hohlmeier in einer Würzburger Schule stattfand, hat sich niemand getraut, auch nur ein Sterbenswörtchen dagegen verlauten zu lassen – dank Mündlein, der in der Lage war, noch am letzten Tag seiner Amtszeit einen Schulleiter am Telefon strammstehen zu lassen. Die Verabschiedung durch die Presse war freilich die eines unumstritten gewichtigen, geborenen Schulmannes …

2) In der Kultur: Sie hat bisher in der dortigen Chef-etage eine untergeordnete Rolle gespielt (vom Theater abgesehen – aber was leisten nicht die Vereine!) – warten wir ab, ob der Referent im letzten halben Jahr noch etwas reißt oder es eher langsam verdämmern läßt. Immerhin ist noch eine Kulturbeiratssitzung … und es gäbe doch wohl Scharten auszuwetzen. Dabei meinen nicht wenige Kenner der Szene, es sei unverzichtbar, frischen Wind von auswärts ins städtische Kulturleben wehen zu lassen. Denn wer länger hier lebe, dem sitze für immer der aufgestaute Mief in den Kleidern.

3) Im Sport: ist ohnehin keine Perspektive zu erkennen, da scheint auch bisher viel gewurstelt worden zu sein, bei diesen mächtigen Förderern allenthalben, von Rudi May und Karlheinz Frick abwärts. Was kann dagegen schon ein neuer sportlicher ›nobody‹?

4) Die Stadtbibliothek: Bei der Einweihung der umgebauten Stadtbibliothek zitierte Hannelore Vogt voller Überzeugung ein schönes, passendes Wort von Ausgustinus: Nur wer selber brennt, kann andere entzünden.

Ob sie in der Lage sein wird, künftig einen ganzen Flächenbrand anzustecken, der für das kulturelle Bild der Stadt so notwendig wäre? Gab nicht sogar ein Bürgermeister mal die Losung aus von der anzustrebenden europäischen Kulturstadt Würzburg? Zu einer Zeit freilich, in der das Stadttheater noch nicht dauerhaft von Asphyxie bedroht schien. ¶