Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und München
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Helmut Berninger (stehend), PHREN-Ensemble (sitzend). Foto: Jochen Kleinhenz

So klingt die

Experimentelle Musik 2005

Ein Besuch beim gleichnamigen Festival am 10. Dezember 2005 in München

von Jochen Kleinhenz

Aus einer kleinen Initiative der 1980er Jahre heraus entstanden, findet seit 1996 jährlich das Festival »Experimentelle Musik« in München statt. Beweggrund eines Mainfranken für die Reise dahin könnte sein, daß Hauptinitiator Stephan Wunderlich seine Wurzeln in und um Würzburg hat, unter anderem hier Musik (das heißt: Klavier, Komposition, Dirigieren, Schlagzeug, Gesang, Musikwissenschaft) studiert hat, bevor es ihn Mitte der 1970er Jahre in die Landeshauptstadt zog.

Zwölf (!) unterschiedliche Programmpunkte in sechs Stunden bietet der geistige Marathon durch das heutige musikalische Schaffen abseits des traditionellen Betriebs der manchmal auch »ernst« genannten Musik. Am 10. Dezember fehlte dann doch einer, der Heidelberger Jörg Burkhard – was den Abend aber nur unwesentlich verkürzte.

In der Mensa der TU München in der Arcisstraße, einem Saal, flächenmäßig etwa vergleichbar mit der Würzburger Mensa am Exerzierplatz, waren mehrere Bühnenbereiche aufgebaut, und die Zuschauer rotierten im halbstündigen Wechsel mit den Aufführenden zur je nächsten Bühne – es gab folglich keine Umbaupausen, keine Aufführung dauerte länger als 30 Minuten. Die so entstandene offene Atmosphäre mit zyklisch wiederkehrender allgemeiner Unruhe störte jedoch nicht den konzentrierten Genuß des Dargebotenen. Und das war wirklich allerhand, denn wie der Name vermuten läßt, fokussiert die Veranstaltung nicht das Nachspielen oder Interpretieren von Fremdkompositionen, sondern deckt den kreativen Prozeß des Musikschaffens auf, ohne doppelten Boden aus Konvention, Bewährtem oder gar Gefälligem. Gesucht oder betont wird nicht die gefällige Form – stattdessen präsentiert sich der Klang in einem Stadium von Unsicherheit, das Machen und die Praxis stehen im Vordergrund.

Zwei Wochen später, bei einem Treffen in Würzburg mit Festivalmacher Stephan Wunderlich und Edith Rom (während ihrer weihnachtlichen Mainfrankenvisite), betont er, »daß zwischen Schaffen und Ausführen kein fester Trennungsstrich sein darf«. Daß diese Feststellung nicht nur auf Musik oder Kunst zutrifft, liegt durchaus auch an den Wendungen des Gesprächs, in dessen Verlauf sich beide als eloquente, sympathische Zeitgenossen erweisen.

Experimentelle Musik 2005

Der pünktlichen Eröffnung von Wunderlich um 20 Uhr, »drei versuche in die experimentelle musik« (aufgrund der Verspätung des Autors leider nur gegen Ende wahrgenommen) folgte schon der erste kleine Höhepunkt des Abends – Boris D. Hegenbart aus Berlin mit »dem lächeln nahe« für Live Electronics (Laptop, Mischpult). Zwischen den verfremdeten Klängen und Flächen tauchten immer wieder field recordings auf (Stimmen, Geräusche), die Stimmungen wechselten selten abrupt – sieht man von der elektroakustischer Musik generell eigenen Spannung ab.

Helmut Berningers »Frage nach dem Zusammenhang musikalischer und malerischer Prinzipien« kam dafür ganz ohne Computer aus, möglicherweise hat er für seinen kleinen Vortrag nicht einmal ein Mikrofon verwendet. Der Vortrag selbst wirkte langatmig, Berninger stockte zu häufig und verhaspelte sich – dennoch kein Murren im Raum: der 1927 geborene Berninger dürfte an diesem Abend der Älteste im Raum gewesen sein, da überdeckte der Respekt alles andere. Leider blieb aber dem direkt folgenden, dazugehörigen Stück des Phren-Ensembles dadurch zuwenig Zeit. Was komponiert, was improvisiert war, erschloß sich nicht unmittelbar – daß es aber eine hochkarätige, kleine musikalische Pretiose auf teilweise selbstgebauten bzw. präparierten Instrumenten war, schon. Assoziationen, etwa zu den englischen AMM, waren augen- und ohrenfällig. Das nur als Kompliment am Rande.

Der Niederländer Paul Panhuysen führte anschließend die hohe Kunst des gepflegten Playbacks vor: fünf identische Mini-Stereoanlagen verteilten seine Komposition »AiDA and the Mistakes« aus dem Jahr 1981 auf 10 Lautsprecher. Die Aufnahmen der auf dem Flügel gespielten drei Noten A, D, A werden dabei zufällig wiedergegeben, der ganze Witz erschloß sich erst beim Umwandern des »Sound Circle’s«, wenn man den kreisenden, sich überlagernden Klängen folgte oder ihnen entgegenlief.

Um 22 Uhr folgte ein weiterer gesprochener Beitrag, in absentia vom Band, in dem der Berliner Heinz-Klaus Metzger »über die ubiquitäre Diktatur des Beschallungswesens« sprach und in charmant-larmoyantem Tonfall nicht wenige große Wahrheiten verkündete oder seiner Verwunderung Ausdruck verlieh, daß in unserem Kulturkreis selbst Toiletten mit Musik berieselt werden. Der Begriff »Toilettenmusik« verdient möglicherweise – nach der »Fahrstuhlmusik« – eine genauere Durchleuchtung.

Hans Rudolf Zellers »Tesa Klänge« (man hörte und sah nichts anderes als abgerolltes, aufgeklebtes und wieder abgerissenes Tesaband) und Esther Roths Komposition »Quijotes Enkelinnen (für Kontrabaß und Zuspiel-Klänge)« demonstrierten im Anschluß fast lehrbuchmäßig die Extreme, zwischen denen die im Rahmen dieses Festivals gebotene experimentelle Musik generell pendelt – zwischen sprödem Aktionstheater mit kaum wahrnehmbarer akustischer Note einerseits, virtuoser Instrumentenbeherrschung und komplexer musikalischer Komposition andererseits.

Albert Dambecks Stücke für Dobro und Midi-File waren vor Mitternacht der letzte Programmpunkt – nicht für das Festival, das noch von Aleksander Kolkowski, Sebastian Preller und der Or-Ton-Film-Corporation zu Ende geführt wurde, sondern für den Autor, der mit dem bis dahin Gehörten glücklich war und erschöpft von dannen zog.
Er gelobt allerdings, wiederzukommen – pünktlich und mit mehr Kondition für die Zeit nach Mitternacht. ¶


Mehr Informationen, auch zu den vergangenen Festivals, unter www.experimentellemusik.de