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Foto: Wolf-Dietrich Weissbach

Schale Kost

WürzBucher Autoren präsentieren Deko-Literatur

von Wolf-Dietrich Weissbach

Was um Himmels willen ist ein WürzBuch? Obwohl: Am besten, man fragt nicht. Unter den dreizehn WürzBucher Autoren findet sich bestimmt einer, der es haarklein ausdeutet, und aus humanitären Gründen gilt es: abzunicken. Nehmen wir es einfach kulinarisch. Überhaupt: Wortschöpfungen – im weitesten Sinne – haben Konjunktur. Allenthalben verdanken sie sich freilich einer anmaßenden Verkehrung von Ursache und Wirkung: Man hat nichts zu sagen und hält dies für einen Mangel der Worte. Selbst dieser Befund böte zwar noch die Chance, zu verstummen. Einmal vertan jedoch bläht sich Geschwätzigkeit leicht zum gesellschaftlichen Auftrag. Auditiv ist das bisweilen nur lästig, aber gedruckt …?

Gedruckt gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder nicht einmal ignorieren oder tierisch ernst nehmen – ohne Sympathiepunkte und Provinzbonus – und die Autoren an ihren eigenen Ansprüchen messen. So ist das WürzBuch eben ein Gemenge von Texten, Gedichten, Erzählungen, Romanausschnitten, lyrischer Prosa, Reiseberichten jener Autoren, die sich »zu einem gemeinsamen Forum (Würzburger Autorenkreis) zusammengefunden haben, das in Eigeninitiative die Kulturlandschaft der Region mit neuen Impulsen auffrischen möchte« (wie der Beizettel verrät) und die nach dem pfiffigen Konzept strenger Konzeptionslosigkeit aufgefädelt tatsächlich gemein haben (von zwei, drei Ausnahmen abgesehen), daß sie der Meinung anhängen, Inhalt oder Bedeutung ergäben sich schon aus der Form. Okaaay! Grundsätzlich soll diese Möglichkeit gar nicht völlig in Abrede gestellt werden (aller Manierismus hat Lesbares zu bieten), im WürzBuch aber ist es wohl nicht gelungen, hier ist Literatur allenfalls dekorativ.
Unterstellt: Anna Cron ist sich dieses Umstands leidlich bewußt. Entsprechend drechselt sie (z. B. in dem Text »Fano«) banales Geschehen (vermutlich einen Strandgang während eines Italienurlaubs) in aberwitzige, teils platte (»In blecherner Tarnung flog mancher tief; …«), teils gänzlich leere (»Türkise Gefühle brachen ans Ufer. Bis auf den Grund bläute es bleiern.«), teils wohl bewußt in sich widersprüchliche oder gar fragwürdige (»wenig Gerümpel; nur zweibeiniges«) und bevorzugt einfach unverständliche Bilder (»Da stand er, im Kraftstrom ein Windei und stemmte sich eifrig dagegen.«); suggeriert eine Art »stream of consciousness«, was sie in weiteren Texten (z. B. »Weihnachten«) aber, wo sie vermeint, doch etwas zu sagen zu haben, selbst als wenig authentisch offenbart.

Die Tutorin in Roman Rauschs Literatenschmiede »storials« (Motto: »Das Leben ist voller Geschichten. Jeder von uns hat zumindest eine, die es zu erzählen gilt.« Roman Rausch) sollte wissen, daß die Sprache ihres Textes »Fano« nur halbwegs glaubhaft ist oder zumindest verblüfft, wenn die Autorin nicht anders kann, nur diese Sprache zur Verfügung hat, so und nur so denkt und nicht nur bastelt, bis das Werk geheimnisvoll-wichtig klingt. Und so werden auch ihre Gedichte – mitunter lyrische Prosa genannt – manisch-depressiv, weil es die Dichterin vereinzelt blutrünstig gar mit dem Reality-TV aufnehmen will. Existenzielle Tiefe wie aus dem Psychiatrie-Lehrbuch, und sobald ein Gedanke nachvollziehbar ist, ist es eine Platitüde.

In dieser Hinsicht stehen einige Mitwürzer aus dem Autorenkreis einer Anna Cron kaum nach – sie leiden dabei nur weniger. Einem geht stattdessen die Idee durch – sie war eines Tages in ihm erwacht, ist gewachsen und gediehen, bis es eine fixe war usw. –, seine mißratene Bergtour zum Sitz der Götter essayistisch zu veredeln, um vor dem Leser die wahrhaft grundlegende Frage auszubreiten, woher die alten Griechen wohl gewußt haben mögen, daß gerade der Berg Olympos »der höchste im ganzen Land ist«.

Gunther Schunk meint es sicher ernst, auch wenn er im Vorspann von einer »augenzwinkernden, genreübergreifenden Hommage an die Philosophie, Religion, Griechenlandbegeisterung und Reiseberichterstattung« spricht (die »Kammermusik« fehlt). Die Geschichte »Ein Fußmarsch zu den Göttern« ist dabei streckenweise nicht übel, nur macht der Schunk’sche Tiefgang (oder soll das die Ironie sein?) alles zunichte.

Noch dicker kommt es, wendet man sich dem Text des Fachjuristen Günther Huth zu, der als Krimiautor (Schoppenfetzer) in Würzburg inzwischen einige Sympathie genießt. Er erklärt uns nun die Welt. In »Der Atem des Waldes« wird im Zeitraffer und extramundan ein Stück Grün beobachtet, ein Idyll, dessen Friede nur bisweilen von einem Habicht gestört wird, wenn dieser einen alterschwachen Waldhasen vor Siechtum und Wintertod bewahrt. Dann, unvermutet, kommt der Mensch. Ist laut, vertreibt die Tiere, betoniert und baut, kämpft mit dem Gras und zieht sich nach Jahren wider Erwarten zurück. Der Bau bricht zusammen. Die Wurzeln der großen, starken Eiche sprengen den Beton. Eine dünne Humusschicht breitet sich über die Brocken. Der Hirschfarn wächst. Insekten …, Reptilien …, Rehlein …, – nur aus dem Habicht ist inzwischen ein Fuchs geworden. Dazu soll einem jetzt noch etwas einfallen …

Braucht es aber nicht, man kann sich auch direkt mit Uwe Dolata befassen, besser noch mit einem Lehrbuch zur Geschichte der Philosophie. Daraus wahllos einige Seiten angelesen, und man weiß zumindest, wie man sich mit Stil verwirrt. Was den bundesweit beachteten Sachbuchautor Dolata umtreibt, sich als Dichter zu outen, kann nur ein Rätsel bleiben.

Hoffentlich kein Rausch-Zustand, der ist nämlich – nach eigenem Bekenntnis – »aus Verzweiflung« Autor geworden. Roman Rausch gereicht es jedoch zur Ehre, daß er selbst den Verlockungen seiner Schreibstube erliegt. Danach kann jeder schreiben, kann Buchautor werden – seit Books on Demand (BoD) allemal. Es bedarf nur der einfühlsamen Anleitung.

In der Tat kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, das WürzBuch verdankt sich zumindest in einigen Teilen der Rausch’schen Alphabetisierungskampagne. Bei Sandra Maus etwa (ich leiste Abbitte, sollte ich mich irren; wdw), die wie Schunk und Dolata streng auf eine wohlüberlegte Pointe hinarbeitet. Wobei ihre Erzählung »Der Zettel« immerhin als Drehbuchvorlage für eine Akte-X-Sequenz taugte und vor allem nicht auf irgendeine bahnbrechende Weisheit hinausläuft.

In dieser Hinsicht läßt sich Roman Rausch ohnehin nicht überbieten. »No surrender« betitelt, mixt er ein wahrlich schwer verdauliches Gebräu aus allen Klischees, derer er just habhaft wurde, und das in einer bemüht modernen, »wie-gesprochenen« Sprache: Ein Wortführer (Rob), dem seine Arbeitslosigkeit eine zarte Bekanntschaft zu einer arthritischen Schönheit verhunzt, die mindestens drei Stunden auf einer Parkbank im Regen auf ihn gewartet hat, ewig nett mit ihm plaudert, um dann wie geölt zum Bus zu enteilen. Den der einstige beste Freund meidet, obwohl man doch so viel Scheiße gemeinsam durchgestanden hat, in Frankreich über einen Acker der Autobahnpolizei entkam, in Belfast von britischen Soldaten beschossen wurde, und gar ganz in der Nähe ein deutsches Polizeiauto in einem Baggersee versenkt hatte. Selbst wenn all dies erlebt wäre, wäre es schlecht erfunden. Schließlich das Finale: »Ich weiß nicht. Ich hatte ne verdammt gute Zeit mit ihm. Egal, was passiert ist. No surrender.« Bei soviel Besinnlichkeit in Weltschmerz und sozialem Elend möchte man endgültig zum ernsthaften Trinker werden.

Danach entpuppen sich selbst die Reime von Cornelia Boese als Sternstunde der deutschen Dichtkunst – eine nette Strophe zu jedem Anlaß, wenn das keine Marktlücke ist! Auf Ringelnatz oder Kurt Tucholsky sollte sie sich freilich nicht berufen. Dem Vernehmen nach tut sie das. Aber lassen wir es.
Akzeptabel ist in dem WürzBuch Barbara Wolf mit ihrer Weihnachtserinnerung aus der Kindheit. Das ist einfach nur ehrlich erzählt.

Auf die Beiträge von Christian Kelle (hatten wir schon) und Rainer Greubel (ein Reisebericht aus dem Jahre 1979) wird hier nicht eingegangen, insofern sie nach eigenen Worten keine hohen literarischen Ansprüche verfolgen. Raimund Chitwood bleibt unberücksichtigt, weil er – ebenfalls nach eigenen Angaben – nur aus therapeutischen Gründen schreibt. Allerdings könnte man fragen, warum er das dann veröffentlicht. Hans-Jürgen Beck und Klaus Fischer schließlich bleiben außen vor, weil ihre Beiträge Auszüge aus ehrgeizig angelegten Romanprojekten sein sollen, die noch in Arbeit sind. ¶


WürzBuch. Der Würzburger Autorenkreis stellt sich vor. Herausgegeben von Uwe Dolata.
R. Mankau-Verlag, Murnau a. Staffelsee, 2005.
ISBN 3-938396-00-8, € 9,95