Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und in Odense
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Short Cuts & Kulturnotizen

Unlängst – Gerade soeben – Demnächst!
Was nicht dem Vergessen anheim fallen sollte – eine ganz subjektive Auswahl der Redaktion, nicht minder subjektiv kommentiert.


5./6. November, jeweils ab 19 Uhr – Felix-Fechenbach-Haus

Ein kürzeres, aber umso feineres Jazz-Ereignis war das diesjährige Festival der Würzburger Jazz-Initiative. Herausragend waren dabei, auch wenn sich über Geschmacksfragen gerade im weiten Ozean des Jazz trefflich streiten läßt, an beiden Tagen jeweils die Schluß-Acts sowie der fulminante Auftritt des Würzburg Jazz Orchestra, das mit der Komposition »Continental Call« von Ed Partyka eine gewaltige Suite von fast symphonischem Ausmaß in höchster Perfektion präsentierte. Beim Neujahrskonzert im Würzburger Bockshorn ist das WJO demnächst wieder live auf der Bühne.
Länger warten muß man da sicher auf erneute Auftritte von Manfred Leuchters die musikalische Bandbreite des Akkordeons neu vermessendem Projekt Nomade und Martin Klingebergs Baby Bonk, das mit seinem schrägen, abgefahrenen Witz, der unkonventionell-frechen Präsentation und immer wieder überraschenden musikalischen Ideen die innovativste Formation des Festivals war. Wenigstens nachhören läßt sich die Musik auf »Baby Bonk, … sagt die Wahrheit …« (erschienen bei Konnex-Rec). [maz]

www.konnex-records.de


23. November, 19.30 Uhr – Fischerzunft

Die alljährlichen Mitgliederversammlungen der Leonhard-Frank-Gesellschaft wären eine überwiegend trockene Angelegenheit, gäbe es nicht – genauso alljährlich – kurze Vorträge zu neuen Forschungsergebnissen zum Werk des Würzburger Schriftstellers (1882-1961). Auch im ersten Amtsjahr der neuen Vorsitzenden Christiane Koch wurde dieses bewährte Ritual beibehalten. Und wieder war es dem Lokalhistoriker Werner Dettelbacher vorbehalten, anhand der Aufzeichnungen des Schriftstellers Otto Flake neues Material über Leonhard Franks überstürzte Flucht aus dem Züricher Exil vorzustellen. Im Anschluß erläuterte der Germanist Hans Steidle die zentralen Thesen seiner Studie »Von ganzem Herzen links – Die politische Dimension im Werk von Leonhard Frank«, deren offizielle Präsentation in der lokalen Tageszeitung eine höchst zwiespältige Aufnahme gefunden hatte.
Eine ausführliche Besprechung des als Heft 15 der Schriftenreihe der Leonhard-Frank-Gesellschaft erschienenen Bandes folgt in einer der nächsten nummern. [maz]

www.leonhard-frank-gesellschaft.de


21. November, BR – Erfolg für Ars Musica

Herzlichen Glückwunsch! Für Ars Musica gab es ein erfolg-reiches Happy-End beim Kulturwettbewerb »Respekt! Kultur!« des Bayerischen Rundfunks (siehe nummer elf, November 2005). Gleich zwei Preise konnte der Verein aus Aub für sein langjähriges Engagement in Sachen Kultur einheimsen:
Ganz oben standen sie in der Gunst des Publikums. 4300 Stimmen gab es insgesamt für die fünf ausgewählten Endrundenteilnehmer, davon 1424 für die Auber. Das heißt: 1. Platz und 3000 Euro Preisgeld!
Dazu gelang der agilen Kulturinitiative noch der Sprung aufs Treppchen beim Jury-Preis. Unter 370 Bewerbern aus ganz Bayern mußten sie nur den Kunstverein Graz in Regensburg und den Kulturbahnhof Spalt an sich vorbeiziehen lassen. Der 3. Platz wurde mit weiteren 1000 Euro versüßt.
Respekt! Kultur! [bk]

www.ars-musica.de



4. Dezember, 17 Uhr – Wortraum, Winterhausen

Eine Bescherung der besonderen Art bereitet Petra Hochrein am 2. Advent ihrem treuen Publikum und allen anderen Neugierigen: Mit Ditha Brickwell ist die schwarzhumorige, melancholisch-heitere und hoffnungsfroh-traurige Seite der Wiener Literatur-Bohème zu Gast im Winterhäuser Wortraum.
Als Autorin entdeckt von Erich Fried, ermutigt von Franz Tumler und beraten von Helmut Eisendle schreibt Brickwell Erzählungen und Essays, veröffentlicht u. a. in ndl oder Literatur im technischen Zeitalter.
Passend zur Jahreszeit stellt sie am 4. Dezember in Winterhausen »Gemütliche und ungemütliche Weihnachtsgeschichten« aus dem Erzählungsband »Jede Stunde Stille Nacht« vor – und bietet damit nicht nur literarisch einen Kontrapunkt zum Adventsrummel auf dem gegenüberliegenden Mainufer. [maz]

www.wortraum-winterhausen.de


4. Dezember, 17 Uhr – Staatlicher Hofkeller

An einem weinseligen Ort präsentiert der Autorenkreis Würzburg seine erste gemeinsame Anthologie, die sinnigerweise den gleichermaßen uninspirierten wie verkaufsfördernden Titel »WürzBuch« trägt. Dabei ist in diesem lockeren Zusammenschluß die kreative Crème der Würzburger Autorenzunft versammelt und in der Anthologie mit Beiträgen vertreten.
Neben den lokalen Krimi-Stars Roman Rausch (Kommissar Kilian), Günther Huth (Schoppenfetzer) und Rainer Greubel (»Kunstbanausen«), der Theaterautorin Anna Cron (»Bella« und zuletzt »Der Schrei der Auster«) und den ebenfalls einem breiteren Publikum bekannten Cornelia Boese (zuletzt erschienen: »Boese Träume«), Gunter Schunk (Co-Autor von »Asterix uff meefränggissch«), Christian Kelle (»Fröhliche Weihnachten«) und Uwe Dolata wagen auch einige bisher nicht als Autoren hervorgetretene Wortkünstlerinnen und -künstler ihr literarisches Coming-Out: Sandra Maus, Barbara Wolf, Raimund Chitwood, Klaus Fischer und der unentdeckte Hans-Jürgen Beck.
»Literatur trifft Wein« ist das Motto der ersten gemeinsamen Lesung. In der Hoffnung, daß dabei die Literatur nicht hinter den Qualitätsmaßstab der Hofkellerei-Weine zurückfällt, wünscht die nummer der neuen Initiative zum Start alles Gute. [maz]

www.autorenkreis-wuerzburg.de


6. Dezember, 20 Uhr – Rudolf-Alexander-Schröder-Haus

Zu Ende geht an diesem Abend eine Veranstaltungsreihe der Regionalgruppe Würzburg/Unterfranken des Vereins Gegen Vergessen Für Demokratie.
Unter dem Titel »Gefangen im System – drei Professoren der Medizinischen Fakultät Würzburg 1933-1945« erinnerten bereits am 15. und 29. November die bestens besuchten Vorträge an Prof. Dr. Werner Heyde alias Dr. Sawade und Prof. Dr. Hans Rietschel sowie deren Methoden, in der NS-Zeit nicht nur zentrale Grundpositionen der medizinischen Ethik außer Kraft zu setzen, sondern sich darüber hinaus zu willfährigen Helfern, im Falle von Werner Heyde gar zum genau kalkulierenden, administrativen Organisator der Vernichtung zu entwickeln.
Beide waren genauso führende Mitglieder der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg wie der nach dem Krieg international anerkannte Neurologe Prof. Dr. Georges Schaltenbrand, dessen vor 1945 an Patienten des psychiatrischen Landeskrankenhauses Werneck durchgeführten Experimente erst Mitte der 1990er Jahre in der internationalen Fachwelt erneut – heftig umstritten – in Erinnerung gerufen wurden.
Der Würzburger Prof. Dr. Hartmut Collmann beleuchtet in seinem, die Reihe abschließenden Vortrag, neben den biographischen Lebensdaten nochmals kritisch die »wissenschaftliche Hinterlassenschaft« dieses Würzburger Mediziners. [maz]

www.gegen-vergessen.de


8. Dezember, 20.30 Uhr – Buchladen Neuer Weg

Der 10. Dezember ist der Tag der Menschenrechte. Auf Einladung der Würzburger Gruppe der Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtet zwei Tage vorher der Journalist und Schriftsteller Raul Zelik über die Verletzungen dieser elementaren Grundrechte in Kolumbien.
Der studierte Politologe und Lateinamerikanist hat in den letzten Jahren wiederholt Kolumbien und Venezuela bereist und vor Ort immer wieder mit politischen Aktivisten und Opfern von Repressalien gesprochen. Die Ergebnisse seiner Recherche veröffentlicht er in Zeitungen (u. a. Freitag und Junge Welt) und Zeitschriften sowie in Sachbüchern (»Kolumbien« , 2. Aufl., 2000 und »Made in Venezuela«, 2004).
Aber auch als politischer Schriftsteller, als »ein moderner Vertreter der engagierten Literatur« (taz) hat er mit den Kriminalromanen »Friss und stirb trotzdem«(1997), »La Negra« (2000, beide Edition Nautilus), der Reportage »Bastard« (2004) und dem Erzählband »Grenzgängerbeatz« (2001, beide Assoziation A) sowie dem allseits gelobten Unterschichtenroman »Berliner Verhältnisse« (2005, bei Blumenbar) frischen Wind und unkonventionelle Themen in die deutschsprachige Literaturszene gebracht. [maz]

www.amnesty-wuerzburg.de | www.edition-nautilus.de | www.blumenbar.de


Marktheidenfeld – Liebesgeschichte gewinnt Meefisch

Den Meefisch 2005 (siehe nummer elf, November 2005) für die beste unveröffentlichte Bilderbuchillustration gewinnt Suse Schweizer, Jahrgang 1973, aus Erfurt. Die aquarellierten Zeichnungen der studierten Diplom-Designerin zur »Geschichte von Frau Nasenweich und ihrem Mann Schneuzfest« (nach einem Gedicht von Ute Andresen) überzeugte die Jury einstimmig.
Jurymitglied Prof. Albrecht Rissler von der Fachhochschule Mainz für Illustration und Buchgestaltung begründete Entscheidung: »Die Illustratorin zeigt in ihrem Buchentwurf, wie man es machen muß: Sie begreift den Text wie ein Gerüst für die Illustrationen. Sie wiederholt ihn nicht einfach in Bildern, sondern fügt neue zwischen die Zeilen mit kongenialer Erzählfreude hinzu. Kinder registrieren diese Extras aufmerksam und verleihen ihrer Fantasie Flügel.«
Das mit dem »Meefisch« gekürte Bilderbuch wird im Kinder- und Jugendbuchprogramm des S. Fischer Verlags, der Fischer Schatzinsel, publiziert. Außerdem erhält die Illustratorin ein Preisgeld von 2000 Euro.





Wie so oft bei Kunstpreisen, bei denen eine Jury sowie das Publikum einen Preisträger bestimmen können, kam man auch in Marktheidenfeld zu zwei unterschiedlichen Siegern, besser gesagt Siegerinnen. Nach Auszählung der Stimmkarten der Ausstellungsbesucher wurde mit deutlichem Abstand das Bilderbuchprojekt »Zwei Kater auf einer Mauer«, illustriert von Fariba Gholizadeh, einer Studentin aus dem Iran, derzeit an der Fachhochschule Medien und Grafikdesign in Mainz studierend, honoriert.
Die Begegnung zweier Kater von Autor Reza Haidari Kahakesh war wohl auch einer der Lieblinge des jugendlichen Publikums. Unter den teilnehmenden Kindern der Publikums-abstimmung wurden drei Preise verlost: je ein Exemplar des Bilderbuches, das den »Meefisch 2005« gewonnen hat.
Die Bücher werden den Gewinnern zugeschickt, sobald die Geschichte herausgegeben und das Buch im Handel erhältlich ist. Kompliment für die nette Idee. [as]


Galerei Alte Reichsvogtei, Schweinfurt – noch bis 15. 1. 2006

Die Macherinnen und Macher der nummer wären froh gewesen, hätten sie ihn als Mitarbeiter gehabt: Hans Platschek (1923–2000), der als einer der wichtigsten und stimmgewaltigsten deutschen Kunstkritiker seit den 1950er Jahren gilt.
In seinen Briefen beschrieb sich Platschek, der mit seiner Familie – seine Mutter war Jüdin – 1939 nach Uruguay emigrierte und an der Kunsthochschule in Montevideo studierte, als deutschen Flüchtling, Antifaschisten, als Maler und Kunstschriftsteller: »Ich bin Maler und schreibe über Kunst, ein Maler also, der weiß, worüber er schreibt.« Solche Leute könnten wir gebrauchen …
Über Oskar Kokoschka (1949), Joan Miró (1993), über die moderne Malerei ( 1962) und die »Die Dummheit in der Malerei« (1984) schrieb er Bücher, über van Gogh, Klee, den Impressionismus, Kubismus und Expressionismus Aufsätze, er zeichnete politische Karikaturen für die spanische Zeitung »La Ligna Maginot« und die deutschsprachige »Zeit« und verfaßte zahlreiche Essays, Rezensionen und Kritiken in südamerikanischen und deutschen Zeitungen und Zeitschriften sowie Beiträge für Funk und Fernsehen.
Unter dem Titel »Hans Platschek: Ein Maler, der schreibt« rückt das Galerie-Studio der Alten Reichsvogtei in Schweinfurt bis 15. Januar 2006 zwar nicht sein schriftstellerisches, sondern mit vierzehn Gemälden und circa zwanzig Papier-arbeiten sein bildkünstlerisches Werk in den Mittelpunkt, jedoch nicht ohne dem Besucher zumindest per Aphorismen den Intellekt Platscheks zu verdeutlichen.
Als Künstler erfuhr Platschek in Südamerika schon früh Anerkennung, auch nach seiner Rückkehr 1953 nach Europa (ab 1955 lebte er in München) kannte man ihn als Maler des Informel und des Tachismus und er war wiederum mit vielen Künstlerkollegen der Gruppe SPUR oder CoBrA befreundet; 1958 nahm er an der Biennale in Venedig, 1959 an der zweiten documenta teil.
»Das Geistige in der Kunst wird mit der Hand gemacht« ist eines von vielen Zitaten, das darüber Auskunft gibt, daß Platschek, Künstler und gesellschaftskritischer Kunstschriftsteller, gegen Mystifizierungen vor allem in der Abstraktion protestierte. Der Doppeltbegabte sah sich weder als schreibenden Maler, noch als malenden Schriftsteller, sondern beide Bereiche als autonome Verfahren an, und er »betrieb den Dialog als subtile Form der Selbstvergewisserung, aber auch des Sich-in-Frage-Stellens«, wie Werner Hofmann in dem informativen Katalog zur Ausstellung schreibt. Die Formlosigkeit von Farbgerinnseln und -verwischungen waren nie allein die Ausrichtung des Künstlers, seine Bilder waren Ausdruck verschiedener Ebenen, ein Schwanken zwischen Informel und Realismus, weshalb ihre Einordnung auch schwerfällt. Schließlich wandte er sich – 1964 war Platschek nach London, 1970 nach Hamburg gezogen – der figürlichen Malerei zu.
Gegenständliche Themen, beim späten Platschek verbunden mit gestischem Duktus, sind der Schwerpunkt in der Schweinfurter Ausstellung. Die Bilder wirken spröde, der Farbakzent sparsam gesetzt, die Kompositionen sind vielschichtig durchgearbeitet und Beziehungen kontrastreich und hintergründig gestaltet. In surrealistisch anmutenden Werken wie »Flasche mit Gebiß«, »Fisch und Schuh« oder »Der Hafen von Montevideo und der Kürbis von Alfred Testoni« werden die Vergänglichkeit alles Irdischen angesprochen und mit spürbarer persönlicher Präsenz seine Ansicht formuliert, daß die Malerei kein Spiegel sei: »… sie rührt von Irritationen her«.
Neben Stilleben, Porträts und Selbstbildnissen wirken die weiblichen Akte, trotz karikaturhafter Züge, sinnlich (»Akt ohne Zubehör«, 1997). Auch hier macht der Künstler etwaigen Kennern weiblicher Schönheit klar, daß die Bewunderung – um im Bild zu bleiben – nicht aus dem Rahmen fallen sollte: »Maler haben es nun einmal mit nackten Frauen: die daraus gewonnenen Arbeiten heißen Akte und sollten in keiner Weise mit nackten Frauen verwechselt werden.« [sum]


St. Stepahnskirche – noch bis 11. Dezember

Das Triptychon versucht, die Hoffnung zu vermitteln: das, was am Kreuz zu sehen ist, ist nicht umsonst geschehen. Seit dem 23. Oktober zeigt der Künstler Henry A. Walinda in der Würzburger St. Stephanskirche seinen Versuch einer Antwort.
Die drei Gemälde, die er dazu geschaffen hat, als Dreieinigkeit gewissermaßen, sollen zu Dialog und Verständigung führen. Ganz so, wie es auch auf dem Vorplatz der Kirche geschehen könnte und zu sehen ist: Dort findet man in den Boden eingelassene Schriftzüge aus den verschiedensten Glaubens- und damit auch Sprachregionen der Welt. Toleranz des Andersgläubigen hat ja auch etwas mit Vergebung, des in der Vergangenheit Geschehenen zu tun.
Für die Arbeit in der Stephanskirche wählt Walinda die kraftvolle Form der Malerei. Farbintensiv, mit gestischem Pinselduktus abstrahierend, teilweise expressiv, dabei nie die Intention aus den Augen verlierend, eine angemessene, lesbare Bildsprache für den zu transportierenden Inhalt zu finden. Alles sollte klar verständlich sein; besonders so, daß auch Kinder und Jugendliche Zugang zu den drei Bildern finden können.
Der linke Flügel zeigt den Turmbau zu Babel und dessen Scheitern: Der Turm von Babylon – ein Irrtum. Nach links hin stürzt der Turm, zur anderen Seite flieht eine Figur aus dem Geschehen. Es ist bekannt, was dem Desaster folgte. Keiner konnte mehr den Anderen verstehen, eine Sprachverwirrung, die bis heute spürbar geblieben ist.
»Einer vergibt«, heißt es, und ist ein Versprechen. Es gibt kein Vorbeikommen, keine Flucht ins Leere. Wie vor einem übergroßen Spiegel oder Lichtkreis wird im Mittelteil der Fliehende aus seiner Flucht in eine Aufwärtsbewegung gezwungen. Ein neues Gottesbild entwickelt sich dadurch, daß da einer war, der das Verständnis verändert; bis zu seiner Kreuzigung, die bis heute prägt. Es entsteht eine neue Qualität der Beziehung zwischen Mensch und Gott, in der es dem Beladenen möglich gemacht wird, die Flucht zu beenden.
»Weitergehen« tituliert der Künstler den rechten Teil seines Triptychons, und geht dabei auch in seiner Malweise weiter: Während der linke und mittlere Teil noch figürlich expressiv ausgeführt wurden, erhöht sich hier der Grad zur Abstraktion. Die Figur wandelt sich zum Zeichen, verliert sich zusehends. Es gelingt, die Vergebung anzunehmen. Die Überwindung der vorhandenen Spannung scheint möglich. Was bleibt, ist nicht ein Kampf um das Überleben, kein Gegeneinander. Sondern es ist ein Klarwerden darüber, wie wir voneinander und von dem, was über unsere Existenz hinausweist, abhängig sind. [as]


Aldisierung der Kunst Teil2

Genau das hat es nun noch gebraucht vor Weihnachten: Auch Aldi will noch schnell den eh schon dünnen, mageren Rahm abschöpfen und sich mit Billig-Kunst schnell noch ein leckeres Sahnehäubchen zum Fest genehmigen. Seit Montag, dem 28. November gibt es, wahrscheinlich muß man sagen, gab es die allseits beliebten, schön gerahmten Kunstdrucke in limitierter Auflage – was immer das auch bedeuten möge. Bei der letzten Aktion dieser Art waren es pro Werk ein paar Tausend. Wieder lockt der Schnäppchenpreis von 12 Euro und 99 Cent zum Discounter.
Und daß namhafte Künstler dem Lockruf des Geldes nicht wiederstehen können, beweißt diesmal Thomas Virnich. Hatte beim letzten Mal Felix Droese für einen Kunsthype bei Aldi gesorgt und nach eigenen Angaben brav 10 000 mal seinen Namen unter jedes Blatt für einen Euro pro Stück geschrieben, darf diesmal der documenta 8-Teilnehmer Virnich zeigen, daß er ein Herz für alle hat, die sich Kunst nur schwer leisten können oder teure Kunst nicht leisten wollen, vor allem aber für seinen Discounter.
Glückwunsch, kann man da nur sagen. Daß unbekannte Vertreter der Kunst, davon gibt es ja mehr als genug, auf diese Weise ihre dekorativen Werke andienen, mag man ja gelten lassen, aber Künstler, die im vollen Saft des Kunstmarktes stehen?
Schon Droese hat sich lächerlich gemacht, und Virnich tut es auch. Nur Aldi freut’s diebisch – und die Schlaumeier, die früh zu Aldi rennen, das Virnich-Werk kaufen und postwendend im Internet bei ebay durch eine Versteigerung des »limitierten Kunstwerkes« ein sattes Sümmchen verdienen wollen. Man darf getrost annehmen, daß einige wieder nicht so recht bei Trost sind und die Werke ersteigern …
Ein kleiner Hinweis fachlicher Art dazu: Ab 300 Stück pro Auflage ist für den Kunsthandel eine Grafik bezüglich einer potentiellen Wertsteigerung völlig uninteressant; oftmals sogar schon bei einer geringeren Auflage. Man beachte spaßeshalber mal die Aldi-Edition dazu.
Wie auch immer, die kleinen gebeutelten, lokalen Künstler glotzen dank der Dumping-Preis-Kunst in die Röhre. Hoffentlich kaufen sie dann wenigstens nicht auch noch ihre Weihnachtsgans bei den beiden Albrecht-Brüdern. Schließlich sind sie doch schon prächtig gerupft geworden. [as]