Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und in Odense
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Die Grafik ist der Ausdruck »Bach am Main«, gesetzt in der Schrift Codes Normal des schwedischen Designers Andreas Carlsson. Info und freier Download unter www.nofont.com

Bach am Main

von Berthold Kremmler

Wie bietet Sony Bach in diesen schönen Wochen an? Suchen Sie sich etwas aus: Bach zum Brunch – Bach für Bücherleser – Bach fürs Büro – Bach zur Bescherung. Wäre das nicht dem Barock vorbehalten, paßte perfekt noch Bach zum Baden I und II, das Cover mit einem faszinierenden Wasserhahn an der Badewanne.

Fehlt Bach zum Kuscheln. Warum wohl ist das noch nicht vorgesehen? Sie haben es sofort bemerkt: weil das keinen Stabreim ergibt.

Bei den Würzburger Bachtagen 2005 wurde in den ersten Tagen das Bach’sche Oeuvre auf andere Weise ausgeleuchtet, in zwei Abenden mit Instrumentalmusik, die es in sich hatten und an Publikum wie Musiker um Welten andere Ansprüche stellten.

Der Sonntagabend bot eines der sperrigsten, schwierigsten Großwerke Bachs, das am Ende seines Lebens ihn fast bis in die Todesstunden beschäftigt hat: die »Kunst der Fuge«. Eine Aufführung in der vom Klang her strengsten Form: alle vier von Bach ausgeschriebenen Stimmen auf dem Klavier. Daß das ein Exercitium geben würde, konnte man schon dem ersten Eindruck des Pianisten entnehmen. Er trat rasch, mit einer Art schwarzen Pelerine bekleidet, an den Flügel und begann völlig unprätentiös und ohne virtuoses Gehabe zu spielen. Keine Bewegung drückte aufgeregte Emotionen aus, das äußerste, was in die Augen fiel, waren fast schon die Füße, die immer wieder zu den Pedalen zu drängen schienen, und man konnte oft nicht erkennen, ob sie sie betätigten. Die Hände ruhten auf den Tasten wie bei Glenn Gould, die Kraft kam aus den Fingern, aus den Händen, nicht aus den Armen.

Das Ganze ein Bild der Konzentration, der Versenkung, der Abwendung von der Welt. Diesen Eindruck verstärkte noch, daß der Pianist auch nicht ins Publikum sah, sondern in den Altarraum.

Die Musik, der er zum Erklingen verhalf, war entsprechend zurückgenommen, fast ungreifbar. Nichts vom sezierenden Blick auf die Fugenkomposition, auf die konsequente Anlage der musikalischen Linien. Zwar war die Entwicklung von Hauptsträngen oftmals pointiert herausgehoben, verlor sich dann aber leicht in einem eher flächigen Klangteppich.

Der Zuhörer konnte dabei das etwas beklemmende Gefühl haben, bei etwas Großem, ungeheuer Stringenten dabei zu sein – und ihm doch nicht wirklich folgen zu können.

Dieser Eindruck ist wohl diesem schwierigen Werk eingeschrieben, ein Eindruck, der sich auch Leuten aufdrängt, die sich lange mit ihm beschäftigt haben. H. H. Eggebrecht schreibt in seinem Buch über die Kunst der Fuge, daß man sie hörend wohl kaum werde angemessen verstehen können, und Monographien, die die Wurzeln bis zur vorsokratischen Philosophie des Pythagoras zurückverfolgt haben, können die bewundernde Ferne kaum verringern. Man fühlt sich fast an Adornos Vorstellung erinnert, daß man solche Musik müsse lesen können und sie von der Partitur her sich entfalten lassen. Aber wer wird ihr da noch folgen können? Jedenfalls ist es gewiß eine Crux, daß dieser Häufung von Fugen nur ziemlich selten jene verführerische Schönheit zu eigen ist, die in Suiten und Variationen immer wieder so wunderbar hervorbricht und manchen Satz geradezu zum Ohrwurm werden läßt. Nirgendwo sonst hat man bei Bach den Eindruck, daß diese Musik für Denkhörer geschrieben sei und jedenfalls vielfältiges Ringen voraussetze. (Das sagt einer, der sich in seiner Jugend jahrelang im Orchester an einigen dieser Fugen abgearbeitet hat.) Bei Eggebrecht heißt es: »Ich spreche nur über mich, wenn ich gestehe, daß ich mich als Zuhörer einer Gesamtaufführung dieses Werks überfordert fühle.«

Unterbrochen wurde die Präsentation der Fugen durch drei »Biblische Sonaten« von Kuhnau. Die Entscheidung für diese Erweiterung überrascht. Denn diese Stücke unterscheiden sich extrem von der Bach’schen Musik: Sie sind, würde man heute sagen, Programm-Musik, schon einige Jahre vor Bach. Folgerichtig las Lifschitz die von Kuhnau literarisch vorgestellten Szenen aus dem Alten Testament aus der Partitur vor, die die Musik evozieren soll. Leider gewann der Zuhörer auch aus der Lesung den Eindruck der Weltabgeschiedenheit: Die Stimme war so zurückgenommen, daß man sie kaum verstehen konnte. Während Bach »absolute Musik« in ihrer reinsten und manchmal auch schwer zu goutierenden Form geschrieben hat, versucht Kuhnau zu malen. Das gelingt ihm in manchen Passagen durchaus zwingend, wenn auch gewiß nicht im Sinne späterer Programm-Musik. Freilich ist die Kombination der Musikformen Bachs und Kuhnaus schon sehr kühn, gerade solche Extreme an einem Konzertabend verbinden zu wollen. Aus diesem Kontrast sollte sich wohl auch der Abschluß des Konzerts entwickeln. Die letzte Fuge ist von Bach nicht mehr zu Ende komponiert worden. Man läßt die Aufführung gerne ausklingen mit Bachs letztem Choral, »Vor Deinen Thron tret’ ich hiermit«.

Den spielte Lifschitz dann ganz und gar vom Publikum abgewendet, mit Blick in den Chor oder auf das Auferstehungsrelief im Chorraum. Konsequent hielt er dann ruhig sitzend inne und enteilte rasch, sich jeden Applaus verbittend.

Ein bei aller Irritation durch das komplexe Werk faszinierender Abend. Man darf aber sicher fragen, ob diese religiöse Wendung den Bach’schen Fugen angemessen ist.

Die anspruchsvolle Veranstaltung verfolgte eine erfreulich große Schar, von denen sicher viele darauf gespannt sind, eine Woche später in einer zweiten Aufführung dasselbe Werk zu hören, und zu sehen – zu hören sind vier Synthesizer, zu sehen sind Tänzer und Licht, ein »Multimediakonzert«; es findet leider erst nach Redaktionsschluß statt.

Das genaue Kontrastprogramm bot der Montagabend: die Bach’schen Violinkonzerte mit Arabella Steinbacher und den Münchner Bachsolisten unter Christian Kabitz sowie Bläsersolisten. Star war, Kabitz sprach es aus und jede seiner Gesten bezeugte es, die junge, strahlende Geigerin. Der Abend bot, was der vorhergehende verweigerte, akustischen Glamour, vertraute, oft gehörte Töne, temperamentvolles Musizieren, begeisterungsfähige Musiker. Was soll man sagen, wenn das Orchester, der Dirigent, das Publikum der so jungen, so ungeheuer eleganten, so schönen, jungen Solistin sichtbar zu Füßen liegen? Es ist gewiß ein Sakrileg, dann doch noch einzuwenden, daß die Konzerte einen Hang zum Sportiven hatten, manches Detail der Geschwindigkeit zum Opfer fiel, eine Spur von Hetze aufkam. Und vielleicht war doch die akustische Balance immer wieder gefährdet, wenn der Dirigent gleichzeitig selbst spielte und dabei die hellen Streicher links und die dunklen rechts sich nicht immer im Gleichgewicht befanden. Ausgeglichen wird das durch den optischen Eindruck eines musikantischen Dirigenten, der gerne geradezu tänzerische Schritte wagt, dessen verehrende Haltung gegenüber der Geigerin leicht an Tizians Orgelspieler erinnert. Gewiß verfügt Frau Steinbacher über einen intensiven, zu großer Wärme fähigen Ton, und in den langsamen Sätzen entfaltet der seine ganze Verführungs- und Strahlkraft. Den schnellen Sätzen schien mir diese Intensität nicht gleichermaßen zur Verfügung zu stehen.

Zwischen den Violinkonzerten wurden kurze ›Sinfonien‹ mit zusätzlichen Bläsern gespielt. Dabei brillierte auf unvergleichliche Weise der Oboist Josef Müller-Brinken, der seinem Instrument Töne, eine Musik von berückender Schönheit entlockte. Das sollte man über der Begeisterung für die Geigerin nicht vergessen. Ein Abend des Wohlklangs und der Verehrung. ¶


Die 37. Würzburger Bachtage 2005 fanden
vom 19. bis 29. November 2005 statt.
Mehr Informationen unter

www.bachtage-wuerzburg.de