Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und in Odense
< zur nummer 12

Alle Abbildungen aus
Jürgen Holstein: Blickfang. Bucheinbände und Schutzumschläge Berliner Verlage 1919-1933.
Eigenverlag, 2005.

Von der schönen Kunst
des Einwickelns

von Berthold Kremmler

Weihnachten – nie wird mehr verpackt als in diesen Wochen. Selbst Leute wie ich, die dem möglichst aus dem Weg gehen und die Bücher normalerweise schnörkellos dem zu Beschenkenden in die Hand drücken, suchen in den Buchhandlungen mit den Blicken die Geschenkpapierständer und kommen nicht ohne kurzes Zögern an diesem Naschwerk der Buchhändler, die das ganze übrige Jahr keines schrägen Blicks für wert befunden werden, vorbei. Längst ist man um diese Zeit nicht allein auf einfallsloses Weihnachtspapier mehr angewiesen, das man nur diese kurze Zeit benutzen kann. Jetzt gibt es wunderbar phantasievolle – aber natürlich auch kitschige – Einwickelpapiere, die sogar auf reizende Weise die heimischen Gewürze und solche, die die Toscana-Fraktion eingeschleppt hat, übersichtlich in Wort und Bild präsentieren.

Das sind inzwischen rechte Luxusartikel, und sie haben ihren Preis. Hat man früher manche Hausfrau schon nicht verstanden, wenn sie mit dem Bügeleisen anrückte, um das Geschenkpapier einer neuen Verwendung zuzuführen – dank sei Tesa, das das Recyclen im Papierkorb fast schon unumgänglich gemacht hat und Hausfrauenorgien dieser Art zunehmend den Garaus androht.

Der Verführung zum Einpacken werden freilich immer neue Horizonte der Übersteigerung eröffnet, durch handgeschöpfte Büttenpapiere, deren besondere Strahlkraft den eingesprengten Blütenblättern sich verdankt. Wer das graphische Œuvre von Max Ernst ein bißchen kennt, muß fürchten, daß uns nächstens diese Papiere gerahmt und signiert und mit Auflagenzahl versehen – stellen Sie sich vor: Epreuve d’artiste! – von der Wand besserer Leute entgegenleuchten.

Was den Geschenken im allgemeinen recht ist, war Büchern schon immer billig. Seit der potentielle Käufer die Handschuhe, die er ins Antiquariat und die Handschriftenabteilung der Unibibliothek selbstverständlich immer mitführte, gar nicht mehr besitzt, sind die Bücher gefährdet.

Dem haben die schlauen Buchhändler längst vor der Erfindung der Einschweißfolie einen Schutz vorgeschaltet, den nur eine Menschenart überhaupt nicht zu schätzen scheint: der professionelle Bibliothekar. Der entfernt den Schutzumschlag, bevor er sich mit dem neuen Buch ernsthaft auseinandersetzt.

Und leider leider müssen wir ja bekennen, daß seit dem Erfolg der billig gebundenen und hergestellten Taschenbücher der Schutzumschlag immer weniger Aufmerksamkeit erfährt. Der letzte Bucheinbandgestalter, den der halbwegs Interessierte noch mit Namen kennt, ist Willy Fleckhaus, der vor 50 Jahren den Regenbogenumschlägen der edition suhrkamp zum einprägsamen Erkennungsmerkmal verholfen hat. Man kann sich fragen, ob die lieblos aufgestapelten Bücherberge der Großbuchhandlungen und Kaufhausabteilungen einen künstlerisch gestalteten Schutzumschlag als Verkaufshilfe überhaupt noch brauchen.

Um der Sensibilität dafür auf die Beine zu helfen, hat sich ein Berliner Antiquar und Buchverleger ein wunderbares Hobby zugelegt. Jürgen Holstein hat früher vom Starnberger See aus verführerische Antiquariatskataloge mit Angeboten für den kennerischen und finanzstarken Sammler verschickt. Seit er sich aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen hat, wuchert offenbar eine gigantische Sammlung von Büchern mit Schutzumschlägen aus den zwanziger Jahren. Vor einigen Jahren ist daraus ein erstes Ergebnis ans Licht getreten, mit aller bibliophilen Sorgfalt gemacht, eine wunderschöne schmale Broschur, in der er einen der großen Gebrauchsgraphiker und Umschlaggestalter dem Vergessen entrissen hat, Georg Salter. Der begann 1922 mit Verlagen zusammenzuarbeiten und hat seine unglaubliche Vielfalt an Ideen den damals bedeutenden Verlagen wie Kiepenheuer und S. Fischer zukommen lassen, aber auch literarisch ambitionierten wie der Schmiede, in der Walter Benjamins und Franz Hessels erste Übersetzungen von Prousts »A la recherche du temps perdu« erschienen sind.

Ist dieser Band schon ein Schmuckstück für jede am schönen Buch interessierte Privatbibliothek, kann man sein neues Meisterstück nur in den allerhöchsten Tönen loben. Gewiß, ein Vierpfünder im Folio-Format – aber was für ein Prachtstück! Ein Buch zum Lesen, zum Schmökern, zum Schauen. Ein Buch, das uns belehrt, unterhält, informiert und vor allem – schön ist. Es holt all die Schätze aus den Fängen der Familie Holstein und breitet die Vielfalt des buchkünsterlischen Engagements der Verleger der Goldenen Zwanziger aus. Und es erzählt mit lockerer Hand die Details der damaligen Geschichte: Man erfährt von den Schwierigkeiten, zu Zeiten der Inflation Buchpreise festzulegen, von der Begeisterung berühmter Künstler wie Slevogt und Corinth, schöne, kostbare Bücher zu machen, Sonderausgaben mit handsignierten Beilagen und was der Verzückungen für Bücherliebhaber mehr sind. Jeder Buchumschlag, von vielen auch der Buchrücken, das Äußere, ist abgebildet, wird mit einer Begleitnotiz über Verleger, Buchkünstler und mit sonstigen notwendigen Informationen versehen. Dazwischen sind Sammelartikel, die über Buchgemeinschaften, über die Wettbewerbe der schönsten Bücher, über Propaganda für die Republik unterrichten, um nur einige wenige Themen zu nennen. Allein das dreiseitige, minuziöse Inhaltsverzeichnis läßt dem Leser die Augen übergehen.

Was für eine Sorgfalt, was für eine Liebe zur Buchgestaltung zittert in diesem Prachtwerk nach. Das Werk eines Einzelnen, keines Verlags, ein Buch im Selbstverlag – umwerfend!

Um noch eine weitere Art der opulenten Verpackung anzufügen, sei auf das Buch von Martin Stritt, »Die schöne Helena in den Romruinen«, hingewiesen. Der Kunsthistoriker widmet sich in einem ebenfalls wunderbar gedruckten Textband dem Gemälde von Maarten van Heemskercks. Der nicht minder beeindruckend angelegte Bildband breitet dieses Prachtgemälde von 1535 in der Tradition von Patiniers Weltlandschaften in bewunderungswürdiger Fülle aus, mit Querverbindungen nach allen kunsthistorisch einschlägigen Richtungen. Zwei in schönstes, hellblaues Leinen gebundene Bände, die geschützt werden durch einen nicht minder schön bezogenen, gleichfarbigen Schuber. Es kribbelt in den Fingern, wenn man dieses Opus in Händen hält. ¶


Jürgen Holstein: Georg Salter. Bucheinbände und Schutzumschläge aus Berliner Zeit 1922-1934. Berlin, Jürgen Holstein (Eigenverlag), 2003.

Ders.: Blickfang. Bucheinbände und Schutzumschläge Berliner Verlage 1919-1933. 1000 Beispiele, illustriert und dokumentiert. Berlin, Jürgen Holstein (Eigenverlag), 2005.

siehe dazu auch www.holsteinbuch.info

Martin Stritt: Die schöne Helena in den Romruinen. Überlegungen zu einem Gemälde Maarten van Heemskercks.
Frankfurt a.M./Basel, Stroemfeld/Roter Stern, 2004.