Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und anderswo
< zur nummer 10

Arbeit von Ruth Shomroni
Foto: Jochen Kleinhenz

Arbeit von Zipi Geva
Foto: Jochen Kleinhenz

Arbeit von Noa Bar-Lev Davidor
Foto: Achim Schollenberger

Wenn achte
eine Reise tun …

… und viere dazukommen:
»Die Reise« in der Papiermühle Homburg (1)

von Jochen Kleinhenz
(hier geht’s zu den Karikaturen von Valentina Harth)

»Reisen bildet« – was einerseits nicht bedeutet, daß nicht auch Gebildete auf Reisen anzutreffen wären, und was andererseits nicht ausschließt, daß Ungebildete von ihrer Reise ungebildet zurückkehren (die Bildung eines dunkleren Teints oder eines Freßbauchs gelten hier nicht als Bildung im klassischen Sinne).

Reisen aber bildende Künstlerinnen und Künstler, dann versagen flapsige Wortspiele, und man muß sich dem Phänomen auf andere Weise nähern. Von Würzburg aus gesehen – natürlich – zuerst mit einer kleinen Reise nach Homburg, zur Papiermühle von Johannes Follmer. Dort gastierten acht Künstlerinnen und Künstler aus Israel zwei Wochen lang, vom 29. August bis zum 11. September, um vor Ort Kunst zu schaffen.

Einer der spannendsten Aspekte hierbei, vor allem für die Beteiligten, dürfte das Zurücklassen des heimischen Ateliers sein – und damit der Verzicht auf die gewohnte Arbeitsumgebung samt Werkzeugen und Utensilien, die den kreativen Prozeß unterstützen oder erleichtern. Wer Künstlerateliers schon von innen gesehen hat, weiß, daß – unabhängig von je eigenen Auffassungen von »Ordnung« – die Ateliers als ganzes das Werkzeug bilden, in dem und mit dem sich die Kreativität entfaltet.

Um so erstaunlicher, wenn all das zurückgelassen wird zugunsten von Mobilität. Diese ist aber zentrales Motiv in Selbstverständnis und Arbeitsweise der Künstlergruppe »Die Reise«, der Joan Bennun, Tali Blumenau, Noa Bar-Lev Davidor, Zipi Geva, Lee Milo, Chen Peiper sowie Dan und Ruth Shomroni angehören.

In Homburg haben sie zwei Wochen lang gelebt, gearbeitet und geschaffen – nicht in Klausur, sondern in einer offenen, dialogischen Arbeitsweise, zu der noch vier weitere Künstlerinnen aus Deutschland hinzugestoßen sind: Birgit Finke (Woltersdorf), Valentina Harth (Marktheidenfeld), Jutta Immelmann (Guestrow) und Sibylle Reichel (Kirchhasel).

Auch für letztgenannte galt es, Ideen nicht mit den gewohnten Mitteln, sondern mit den vorgefundenen Möglichkeiten umzusetzen. So sind – naturgemäß – viele Arbeiten mit und aus Papier entstanden, einem Material, das sicherlich zu einem der gebräuchlichsten in der bildenden Kunst zählt. Leichte Übung also? Wenn Sie wissen, wie man z. B. mit Papier töpfert, dann ja … Und wenn alle Stricke reißen, dann bleibt am Ende nur die Fahrt zum nächstgelegenen Baumarkt.

Die Papiermühle bietet allerdings mehr als nur Papier. Als Industriemuseum dokumentiert sie gut 120 Jahre Handwerkstradition, und so gibt es neben den historischen Werkzeugen, die als Exponate museal aufbereitet sind, natürlich jede Menge anderer Werkzeuge und Materialien, auf die zurückgegriffen wurde und die in die Kunstwerke miteinfloßen. So erhielten etliche Arbeiten eine Art »historische« Aura, obwohl sie doch eben erst entstanden waren. Verteilt auf die unterschiedlichen Räume des recht weitläufigen Gebäudekomplexes, bedurfte es teilweise auch des zweiten Blicks, um die künstlerischen Objekte neben den historischen Exponaten zu entdecken. Bis hoch in den ehemaligen Trockenboden konnte man der Spur der Arbeiten folgen – um beim zweiten Durchgang dann doch noch die eine oder andere Arbeit zu entdecken.

Thematisch beschäftigten sich alle Arbeiten mehr oder weniger mit dem »Reisen« – dem Loslassen, dem Verlassen, dem Zurücklassen, aber auch dem Prozeßhaften, dem Vorübergehenden.

Die Begriffe »Deutschland«, »Reise« und »Israel« konnotieren natürlich eines der finstersten Kapitel einheimischer wie globaler Geschichte, der systematischen Vernichtung der Juden in Europa während der Naziherrschaft in Deutschland. Am explizitesten ging Ruth Shomroni darauf ein mit ihren Arbeiten, z. B. einer handgenähten Tasche voller Utensilien und Erinnerungsstücken, die sie mitgebracht und zu einem merkwürdig beklemmenden Patchwork zusammengesetzt hat. So war auch in der Eröffnungsrede ein Rekurs auf die besondere Beziehung von Israel zu Deutschland unumgänglich.

Trotz, vielleicht aber auch gerade wegen dieser besonderen Beziehung verströmten viele der Kunstwerke einen inspirierenden, freundschaftlich geprägten Geist – jenseits von Erinnerung und Anklage. ¶


Die Ausstellung »Die Reise«, ursprünglich vom 10. bis 25. September geplant, wurde bis zum Sonntag, 9. Oktober verlängert und ist im Kulturforum Papiermühle Homburg zu sehen.

www.papiermuehle-homburg.de