Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Euerhausen
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Foto: Achim Schollenberger

Das letzte Kapitel

von Achim Schollenberger

Mit ihm endet die Geschichte. Der Täter wird meistens gefaßt, die Auflösung des Rätsels wird offenkundig, die Liebenden bekommen sich nach langen Wirren. Happy-End. Zufrieden klappt man das Buch zu. Vielleicht streicht man noch einmal über den Einband, er fühlt sich gut an, und stellt das Buch, so es ein gutes war, dorthin, wo die anderen sammelwürdigen Exemplare im Bücherschrank stehen. Oder sortiert es aus, wenn es nicht mehr gebraucht wird. So manches Buch wird zugeklappt, um nie wieder geöffnet zu werden. Schluß damit. Deckel zu.

Leider gilt dies auch für diese Geschichte: Mit der Buchbinderei Sebald in der Zeller Straße muß, nach 40 Jahren, ein weiterer Handwerksbetrieb schließen. Wieder verschwindet ein Stück Kultur in Würzburg, denn schöne Bücher mit prächtigem Einband können wahre Kunstwerke sein.

Das Inventar wird verkauft, die Bilanzen abgeschlossen. Nichts geht mehr. Schweren Herzens mußte sich Erich Sebald jr. zu diesem Schritt entschließen, doch immer seltener wurde sein handwerkliches Können gebraucht. Leere Kassen, Sparzwang und Sparlust allerorten ließen die Auftragslage immer dünner und unrentabler werden. Einstmals gute Kunden wie die Universitätsinstitute, Kirchenämter oder das bischöfliche Ordinariat müssen mittlerweile knallhart mit ihrem Geld wirtschaften. Die private Kundschaft spart nicht minder: Kein schön gestaltetes Gästebuch, als Einzelstück ein Original, keine restaurierte, bibliophile Kostbarkeit, keine gebundenen Zeitschriften mehr im Regal.

1966 hatte Erich Sebald senior die kleine Werkstatt in der Zeller Straße gegründet. Wie schon der Urgroßvater, hatte auch er das Buchbinderhandwerk gelernt, und auf seiner Wanderschaft als Geselle führte ihn der Weg bis ins spanische Valencia. Dort lernte er seine Frau, eine studierte Juristin, kennen, die mit ihm nach Würzburg zog. Er wurde Obermeister der Buchbinderinnung, Mitglied der VKU, der Vereinigung Kunstschaffender Unterfrankens, und unterrichtete auch an der örtlichen Fachhochschule.

1993, nach seinem überraschenden Tod, mußte Erich Sebald junior die Werkstatt übernehmen – zunächst als Angestellter seiner Mutter, per »Witwenprivileg«, weil er zu diesem Zeitpunkt noch keine Meisterprüfung abgelegt hatte. Nach zwölf Jahren bleibt ihm nun die traurige Aufgabe der Geschäftsauflösung.

Die schönen Prägestempel, teilweise museale Kostbarkeiten aus den vergangenen vier Jahrhunderten sind verkauft. »Das tut schon weh«, gesteht er. Auch um die schönen, teilweise 70 bis 80 Jahre alten, marmorierten Papierbögen für schmucke Bucheinbände, die noch in den Fächern lagern, tut es ihm leid. Er hofft, daß sich vielleicht ein anderer Buchbinder dafür interessiert und diese übernimmt. Doch was passiert mit der alten, mechanischen Schneidemaschine? Gebaut wurde sie um 1880. Treu und brav hat sie bis heute ihren Dienst getan. Wo finden die vielen Schriften, die klassischen Bleisatztypen einen Platz im Zeitalter der Computertechnik?

Seine Kunden, so erzählt er, würden es bedauern. Jetzt, da die Schließung beschlossene Sache ist, bemerkt man den Verlust. Doch nun ist es zu spät – mit Bedauern alleine kann keiner ein Geschäft führen. Die Belastung war einfach zu groß, und auch sein angegriffener Gesundheitszustand ließ dem 38jährigen Buchbinder letztlich keine Wahl.

Die Zeiten, da das Handwerk noch goldenen Boden hatte, sind vorbei. So endet das letzte Kapitel dieser Geschichte für Erich Sebald vorerst ohne Happy-End. ¶