Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Euerhausen
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Foto: Wolf-Dietrich Weissbach

Raimer Jochims
Foto: Wolf-Dietrich Weissbach

Die Form der Farbe

von Berthold Kremmler

Rätselhaftes weckt, natürlich, unsere Neugier. Wenn ein Gebilde aus drei Elementen – einer blauen, gedrückten Kreisfläche, einer grünen, kelchartigen und, als Verbindung, einem grauen Mittelstück – eine gedruckte Einladung schmückt, so sucht der ordnende Geist nach Orientierung und folgt dem Lockruf in das Kunstschiff Arte Noah, um zu ergründen, was des Rätsels Lösung sei.

Steigt er in den Schiffsrumpf hinab, leuchtet ihm von der gegenüberliegenden schmalen Wand dieses farbige Gebilde in natura entgegen. Es hat in der Ausstellung des Künstlers Raimer Jochims eine Sonderstellung, da es keine Papierarbeit ist wie die übrigen Werke, sondern eine bemalte Spanplatte, wo sich die Farben entsprechend geringfügig von der weißen Wand abheben: also Bild und Objekt in einem. Der Objektcharakter wird verstärkt dadurch, daß die Begrenzung der Farbe dem bemalten Material Holz quasi entspricht: Es sind keine glattgeschliffenen Randflächen, sondern solche, die leicht ausfasern. Das sieht man freilich nur auf der Abbildung – oder aus der Nähe.

Wie sich das für ein ordentliches Objekt gehört, ist die Art der Hängung gleichzeitig eine Inszenierung: Dieses kelchartige Gebilde – zugegeben, bereits eine Interpretation, mithin eine Verkürzung – hängt an der Stirnseite des Raumes; die Papierarbeiten an den beiden Längsseiten sind nicht auf einer einheitlichen Höhe angebracht, sondern schwingen geradezu wie Girlanden, und stehen in reizvollem Kontrast zu dem Wasser des Mains, das durch die Bullaugen zugleich bewegt wie ruhend hereinleuchtet.

Man muß sich diesen Raum mit nur wenigen, fast schweigsamen, nachdenklich sich bewegenden Betrachtern vorstellen, um das Arrangement angemessen würdigen zu können: Es ergibt eine fast sakrale Wirkung.
Fast nur mit Farbe.

Aber eben nur fast – und das macht dem Betrachter ein so mulmiges Gefühl, bei aller vordergründigen Eleganz der Gesamtwirkung.

Sehen wir uns nochmals das zentrale Bild an, eine blaue Fläche, eine grünliche Fläche und ein graues schmales Scharnier dazwischen. Eine mögliche Assoziation ist ein Kelch aus mundgeblasenem, farbigen Glas, in der Einfachheit der Formen dafür freilich fast zu kunstlos. Und gewiß stimmen der Farbauftrag, die Farbnuancen des Hell-Dunkel nicht zu einem realen Gegenstand – man kann aber dazu so manches phantasieren.
Und dazu reizen offenkundig solche Farbflächen außerordentlich, so simpel die begrenzenden Formen auch sein mögen. Allerdings verführen Farbfragen ohnedies leicht zu einer raunenden Stimmlage, wie man den ausgelegten Katalogen entnehmen kann. Wunderbar mischen lassen sich dann Farbpsychologie (Rot für Leidenschaft, Wärme und Bewegung, Blau für Verstand und Kälte etc.) und Farbmetaphysik, wie sie dem Sakralen eigen ist. Dazu passen Formulierungen des Künstlers wie »die bewegungswerte der farben bestimmen die form so, daß sie zusammenklingen wie saite und bogen« (26.8.89), ein glänzendes Beispiel für einen, wenn der Ausdruck erlaubt ist, nach allen Seiten hinkenden Vergleich.

Gewiß haben die Papierarbeiten eine etwas andere Gestalt als das Bild, sind ihre Ränder abgerissen – aber doch nicht so, daß daraus etwas einschneidend anderes würde. Vermutlich entfalten Bögen von Büttenpapier eine ähnliche Wirkung. Und wenn unter die obere Papierfläche noch eine zweite gelegt wird, die darunter hervorschaut und anders bemalt ist, so ist die Wirkung doch gelegentlich (nur) die von angenähten Spitzen bei edler oder halbseidener Wäsche.

Das kann, wie gesagt, elegant und gefällig wirken und hat verständlicherweise gleich in der ersten Stunde auch Käufer verführt, denn es ist unzweifelhaft dekorativ. Von eingreifender Wirkung noch etwas zu spüren, wozu Raimer Jochims sich bekannte, als er sich noch Reimer nannte, fällt schwer; eher von Beliebigkeit. Daß die Katalogtexte, seien sie vom Leiter des Bonner Kunstmuseums oder vom renommierten Kunstprofessor Boehm, in ein Raunen und vielsagende, aber äußerst vage Andeutungen verfallen, kommt nicht von ungefähr. Der Tiefsinn schlägt gar zu leicht Kapriolen, wenn der Gegenstand so wenig faßbar ist und selbst halbwegs bestimmte Beschreibungen sich der Formulierbarkeit entziehen.

Von Heiterkeit war bei der Vernissage die Rede, in Gedrucktem wurde für etwas Entsprechendes gar Brechts Freundlichkeit bemüht, und man freute sich, daß in Jochims Keller keine Leichen zu befürchten seien.

Aber hinterläßt so Einverständiges und Einverständnis nicht doch eher einen schalen Geschmack? In den Texten werden Andenken, Eingedenken und manch anderes Wort dieses Umfelds zur Sprache gebracht, gar auf Novalis und Hölderlin verwiesen, um die Weihen noch intensiver zu machen und Widerspruck zu ersticken. Leider kam das Gespräch anläßlich der Vernissage über Stichworte der Verehrung nicht hinaus und bestärkte das Gefühl, man sehe Andachtsbilder, die sich einer ernsthaften Auseinandersetzung entziehen sollen, ihr auch entzogen werden.

So paßte zum Abschluß die schöne, oft erzählte Geschichte vom großen legendären chinesischen Maler und seinem rätselhaften Glanz. Es gibt sie offenkundig in vielen Variationen, eine Kurzversion steht schon in Gottfried Boehms Nachwort zu Jochims Buch über »Visuelle Identität« von 1975, und auch die Mainzelmännchen haben sich schon öfters ihrer bedient – selbstredend mit anderem Hintergrund. Sie läuft darauf hinaus, daß der Maler oder der Betrachter die gemalte Straße des Bildes betreten und darin verschwinden.
Nur: Wo kann man bei Jochims eine solche Straße finden, in all den unwegsamen Farbflächen? Welches Jenseits im Diesseits eröffnet er uns? ¶


Raimer Jochims: Bildobjekte
Arte Noah, Willy-Brandt-Kai, Würzburg

noch bis 18. September 2005
nächste Führung: Dienstag, 6. September, 19 Uhr

www.kunstverein-wuerzburg.de/artenoah