Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Euerhausen
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Abbildung: Akimo

Junge Kunst und alte Künstler

von Achim Schollenberger

In einer Gesellschaft, die offensichtlich immer älter wird und die Generation 50 plus, die »Best Ager« vermehrt in den Fokus rückt, fehlt in vielen Bereichen offenbar der Nachwuchs, der einmal in die Fußstapfen der Älteren treten soll. Blicken wir, aus gegebenem Anlaß, vorab in das in Kürze erscheinende Migliederverzeichnis des BBK, des Berufsverbandes Bildender Künstler Unterfrankens, und forschen doch mal nach, wie es bei den Würzburger Künstlerinnen und Künstlern in dieser Sache bestellt ist. Gibt es den künstlerischen Nachwuchs, sind die jungen Künstler aktiv organisiert, oder arbeiten sie bislang noch unerkannt? Auf Namen wollen wir bei unseren Zahlenspielereien verzichten. Als Gentleman redet man nicht über das Alter der Damen, und obwohl die Herren der Schöpfung da pflegeleichter sind, sollen sie hier gleich behandelt werden.

Wer und wie alt ist nun ein sogenannter junger Künstler? Wann gehört man zu den Etablierten, wann gar zu den Alten?
Blicken wir kurz auf den möglichen Werdegang eines Frischlings in Sachen bildender Kunst. Ganz im Gegensatz zu musikalischen Wunderkindern und solchen, die sich dafür halten, beginnt die Laufbahn eines Malers, Bildhauers oder Kunsthandwerkers nicht im zarten Kindesalter, sondern meistens recht spät. Nach dem Kunstunterricht geht es ins Studium, dann nach vier, fünf Jahren Ausbildung benötigt unser Kandidat noch einmal fünf bis zehn Jahre um das Erlernte umzuwandeln in einen eigenen Stil, eine eigene Formensprache. So ihm das gelingt, und falls er nicht gleich den sicheren Hafen des Lehrberufes ansteuert oder bewußt als »Schüler eines berühmten Lehrers« hausieren geht. Autodidakten in Sachen Kunst haben als Quereinsteiger in der Regel ebenfalls eine länger andauernde Odyssee durch andere Berufe hinter sich gebracht.

Danach ist unser »fertiger« Künstler meistens über 30 Jahre alt. Geben wir noch ein paar Jahre dazu, bis er begriffen hat, wie es sich auf dem freien Kunstmarkt überleben läßt, hat er sich der Grenze der 40 womöglich ziemlich angenähert. In manchen Berufen gilt er nun bereits als schwer vermittelbar, in Sachen Kunst ist er ein sogenannter junger Künstler. Das ist zwar tröstlich für ihn, macht sein Leben aber keineswegs einfacher.

Machen wir uns als auf die Suche nach dieser Spezies mit dem Alterslimit von 40 Jahren in unserem aufgeblätterten Mitgliedsverzeichnis des Würzburger BBK. Wir finden 15 »Jungspunde« unter den 180 Mitgliedern. Das macht satte acht Prozent. Mit einem solchen Prozentsatz schafft man es als Partei locker in den Bundestag. Die jüngste Künstlerin ist erfrischende 31 Jahre alt. Mit acht zu sieben behaupten sich die Männer knapp. Insgesamt besitzen die Männer mit 120 zu 60 Stimmen eine komfortable Zweidrittelmehrheit.

Schon naht die nächste Hürde – 45 Jahre –, Mann oder Frau sind mitten drin im besten Alter (normalerweise). Hier endet für unsere »jungen« Künstler die Förderzeit mit den lukrativen Stipendien. Immerhin, noch können 32 Künstlerinnen und Künstler, die »15 Jungen« sind hier mit eingerechnet, diese beantragen und auf einen Förderpreis hoffen. Für fünf Kandidaten dieser Gruppe kommt aber bereits in diesem Jahr der Wechsel ins alterlose Zeitalter. Für Förderungen zu alt, für Retrospektiven und bedeutende Ehrungen zu jung.

Dort tummeln sich schon 98 Künstler und Künstlerinnen. Zugehörig hier auch die Kandidaten zwischen 50 und 60 Jahren. Zählen wir alle zusammen, macht das 103 Kunstschaffende. Generös und mit nicht kleinlicher Meßlatte bewertet, sind dies die Jüngeren. Auf zwei, drei Jahre soll es uns da nicht ankommen. Der Altersdurchschnitt aller Mitglieder beträgt nämlich aufgerundet 57 Jahre.
Kommen wir nun zu den – nein, die Älteren wollen wir sie nicht nennen – gestandenen Vertretern ihrer Zunft. Weitere 35 nähern sich der 70, 23 gar der 80 Lebensjahre. Sieben Mitglieder haben auch diese Grenze überschritten und zwei weitere sind über 90 Jahre jung.

Ja, aber halt! Was ist eigentlich mit jenen unter 30? Habt ihr die vergessen? Nein, es sind nur keine aufzufinden. Ja, aber warum sind keine im BBK? Keine Lust? Oder keine Möglichkeit? Gibt’s da Stolpersteine?

Zwar soll es in der Vergangenheit vorgekommen sein, daß eine Aufnahmejury vereinzelt einem jungen Heißsporn mangelndes Können attestiert und so die Flausen des Künstlertums ausgetrieben hat, frei nach dem Motto »er möge sich doch erst mal beweisen«. Doch mittlerweile weht ein neuer Wind. In der aktuellen BBK-Jury befinden auch einige der Jüngeren über das Können ihrer potentiellen Kollegen. Zudem soll es dabei anonym zugehen, das heißt, man begutachtet nur die eingereichten Werke und nicht die Vita der Bewerber. Was Sinn macht im Sinne der Kunst. Den strengen Blicken der Juroren brauchen sich nur die Akademie-Absolventen nicht zu stellen. Sie können, ohne Vorlage ihrer Arbeitsproben, sofort Mitglied im Berufsverband werden, weil man davon ausgeht, daß sie ihr Metier kennen und beherrschen. Aber anscheinend sucht kaum einer von ihnen die Beschaulichkeit Unterfrankens, nachdem er das Kunstakademie-Flair in Großstädten genossen hat.

Die Kunstschaffenden hier sind offenbar generell älter, wenn sie sich für eine mögliche Mitgliedschaft im unterfränkischen Berufsverband entscheiden. Künstler unter 30 Jahre bleiben Mangelware, eine echte Rarität. So ist in den vergangenen fünf Jahren nur eine Neuaufnahme dieser Altersgruppe zu verzeichnen. Allerdings gab es auch nur vereinzelte Bewerbungen. Bliebe die Frage offen: Wie sind eigentlich die jetzt Älteren in den Verband gekommen? Waren sie auch schon »gereifte« Persönlichkeiten? Doch lassen wir das, wir haben ja schon genug mit dem Alter zu kämpfen.
Und was hat das jetzt mit junger Kunst zu tun? Eigentlich nichts! Denn die Kunst kennt kein Alter, das kennen nur die Künstler. Aber so ein Verzeichnis ist doch eine aufschlußreiche Lektüre – und spannend wie das Telefonbuch. ¶


P.S.: Der Autor gehört statistisch mit 51 Jahren zu den jüngeren Künstlern, fühlt sich aber an manchen Tagen uralt.