Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Gambach
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Mascha Kurtz.

Individualreisen zu zweit

Das Debüt einer Schweizer Autorin aus Würzburg

von Alexander Frank

»Das Auto ist zu eng für uns beide. Nur die Mittelkonsole trennt unsere Körper, die Schultern berühren sich fast. Von hinten drängt sich das Gepäck in die Lücke zwischen den Vordersitzen.« Zwei Personen unterwegs – in diesen ersten Sätzen der Erzählung Räuber und Gendarm aus dem gleichnamigen Buch von Mascha Kurtz wird eine Situation skizziert, die in vielen ihrer Geschichten wiederkehrt, mit anderen Personen, an anderen Orten, mit anderen Zielen. In diesem Fall sind es zwei Freundinnen im Urlaub. »Daniela ist meine beste Freundin. Wir fahren seit zwei Wochen nach Norden, ohne zu wissen, wo wir ankommen wollen. Daniela lenkt, ich habe die Karte auf dem Schoß und verfolge unseren Weg an der Küste entlang.« Zwei Personen unterwegs – eine existentielle Grundsituation, in der grundsätzliche Fragen anklingen: Wo bin ich? Wo will ich hin? Und mit wem? Die Faszinationskraft der Geschichten von Mascha Kurtz entsteht aus einem forschenden Blick, der auf das Wesentliche und Allgemeine gerichtet ist, dieses aber im Einzelnen und Besonderen entdeckt, das sie in präzise geschilderten Miniaturen facettenreich funkeln lässt.

Die beiden Freundinnen ergänzen sich, sind aufeinander angewiesen. Nach Wochen im Auto und Zelt bei Dauerregen haben sich Rituale eingespielt. Aber die Stellen, an denen es Reibungen gibt, sind mittlerweile wundgescheuert und auf engem Raum ist die Berührungen bloßliegender Nervenenden kaum zu vermeiden. Als die beiden sich nach der Besichtigung einer Ruine verlaufen, entdeckt die bisher passivere, duldsamere eine Möglichkeit, aus ihrer Rolle auszubrechen.

Räuber und Gendarm, eine Sammlung von elf kurzen Erzählungen, ist das Debüt der 1970 geborenen Mascha Kurtz, bei der angesehenen Münchner Verlagsbuchhandlung Liebeskind erschienen und laut Welt »so gut wie kaum etwas aus ihrer Generation in diesem Frühjahr.« Die Autorin, die mittlerweile im Tessin lebt, ist in Würzburg aufgewachsen und hat hier ihre ersten literarischen Schritte getan. Sie war Mitherausgeberin, Autorin und zeitweise Gestalterin der auch über Würzburg hinaus beachteten Literaturzeitschrift Fisch, die von 1996 bis 2000 erschienen ist und aus deren Umfeld die Würzburger Poetry Slams initiiert wurden.
Zur Fisch-Redaktion, die fast ausschließlich aus Germanistik-Studenten bestand, kam sie quasi als Quereinsteigerin: Nach ihrem Abschluß als Kommunikations-Designerin arbeitete sie als Redakteurin bei der legendären, aber damals bereits in den letzten Atemzügen liegenden Stadtzeitung Schmidt. In dieser Funktion führte sie ein längeres Interview mit drei Fisch-Herausgebern, denen sie anschließend gesteht, daß sie auch einige Erzählungen in der Schublade hat. Drei davon sind in den nächsten Ausgaben des Fischerschienen, alle handeln von Reisen – ihr vielleicht wichtigstes Thema hatte sie also von Anfang an gefunden.

Nach dem Ende des Schmidt verdiente sie ihre Brötchen kurzzeitig in ihrem erlernten Beruf als Designerin in der Würzburger Textilindustrie, beschloß dann aber, daß sie lieber schreiben will und ging nach Hamburg, wo sie einige Jahre als freie Journalistin unter anderem für Allegra arbeitete. Sie wurde mit dem Hamburger Förderpreis für Literatur ausgezeichnet und erhielt ein Stipendium für Schloß Solitude bei Stuttgart. Dort lernte sie den Schweizer Komponisten Nadir Vassena kennen, den sie später heiratete und mit dem gemeinsam sie bereits zwei Opern verfaßt hat, »schlaflos« und »leib.wache«, die im Luzerner Theater uraufgeführt wurde.

Ihre Geschichten sind etwas anders als das meiste, was man sonst von jüngeren Autoren zu lesen bekommt. Dies liegt weniger an ihrer Art zu erzählen, als an einer besonderen Welthaltigkeit, einer großen Offenheit für die unterschiedlichsten Erfahrungen. In den Geschichten aus Räuber und Gendarm begegnen dem Leser unter anderem: Eine illegal aus Osteuropa eingereiste Putzfrau, einige Schickimicki-Discoqueens, ein Paar mit einem behinderten Kind, die Angestellte eines Labors für Tierversuche, spätpubertierende Zivildienstleistende und ein alterndes Ehepaar auf den Spuren ihrer Jugend. Während man anderen Jungautoren gelegentlich nicht zu Unrecht vorwirft, den Blick nicht von ihrem eigenen Bauchnabel lösen zu können, gelingt es Mascha Kurtz, in weit voneinander entfernte Bereiche der gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Wirklichkeit vorzudringen. Dabei schafft sie es, ihre Protagonisten als glaubwürdige und vielschichtige Charaktere zu gestalten.

Der Blick auf die Figuren ist distanziert, man könnte ihn als kühl empfinden, aber das wäre ein Mißverständnis. Der Erzählstil ist an der klassischen amerikanischen Short Story geschult – das meiste bleibt unter der Oberfläche und muß erschlossen werden. Die Handlung wird nicht erläutert oder kommentiert, und es gibt kaum einen direkten Einblick in das Innenleben der Personen. Der Leser muß sein eigenes Verständnis für die Figuren und ihre Handlungen entwickeln, und die Geschichten fordern ihn dazu auf, indem sie ihm vieles verschweigen, aber ihn auch überraschen. Die präzise Komposition des Plots, der häufig zwischen verschiedenen Orten und Zeitebenen springt, dient nicht nur dem Spannungsaufbau, sondern ermöglicht auch eine langsame Annäherung an die Charaktere. So werden diese nicht bloßgestellt oder vorgeführt, vielmehr scheint sowohl in ihren kleinen, unscheinbaren Gesten wie in befremdlichen, abstoßenden Taten etwas von unserer eigenen Sehnsucht, Angst, Hoffnung, Verzweiflung, Ratlosigkeit auf. ¶


Mascha Kurtz: Räuber und Gendarm. Erzählungen.
127 Seiten, Liebeskind Verlag, München 2005, € 14.90

Die Autorin liest am Donnerstag, 23. Juni, um 20 Uhr in der Buchhandlung Dreizehneinhalb (Eichhornstr. 13½ , Würzburg).

Siehe auch die Webseite von Mascha Kurtz