Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Gambach
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Jugendkulturpreis-Verleihung 2005. Von links: Stefan Bauer (Geschäftsführer Distelhäuser Brauerei), Oberbürgermeisterin Pia Beckmann, drei Mitglieder der Gruppe MCF, Ralf Duggen (Umsonst & Draußen), Georg Weidauer und Peter Grethler (Distelhäuser Brauerei).
Foto: Weissbach

Kulturpreispolitik als Kulturpolitik?

von Berthold Kremmler

Der neue »Jugendkulturpreis«
Rechtzeitig mit dem hiesigen königlichen Gemüse, dem Spargel, hat sich ein neuer Preis aus der Erde ans Tageslicht gewagt, der »Preis für junge Kultur«. Erntehelfer sind diesmal nicht die Jungs aus dem Osten, sondern fast ganz bodenständige Gerstensaftbrauer, die Distelhäuser Brauerei. Nicht ganz bodenständig sind sie insofern, als die Brauerei nicht auf bayerischem, sondern auf baden-württembergischem Boden steht.
Das macht den Geschmack des Preises natürlich nur noch feiner und pikanter.
Wir wollen das Ereignis ganz ungebremst loben: Der Preis ist ausgelobt für Künstler unter 30 Jahren, also für Leute, die in der Regel noch kaum Zeit hatten, sich groß öffentlich hervorzutun. Und er wird in zwei Hälften geteilt, eine musikalische und eine für andere künstlerische Sparten. Wer, wenn nicht junge Künstler, könnte so angewiesen, aber auch so erpicht sein auf nicht nur rühmende, sondern auch finanziell unterfütterte Anerkennung?
Und daß die öffentliche Bekanntgabe und die Überreichung der Preise dann auch noch in einem so stimmungsvollen und angemessenen Rahmen im Jugendkulturhaus Cairo über die Bühne ging, mit so inspirierten und gutaufgelegten Laudatoren – der Oberbürgermeisterin Pia Beckmann höchstselbst und dem Distelhäuser Manager Peter Grethler –, das machte die Veranstaltung zu einer rundherum gelungenen Sache.
Bedenkt man zudem, daß gleichzeitig eine Sportpreisverleihung im Grombühler Stadtteilzentrum stattfand, muß man sich wundern und darf bewundern, daß sogar 10 hochkarätige Prozent Vertreter des Stadtrats den Weg zu dieser Preisverleihung gefunden haben. Denn die Öffentlichkeit wußte von diesem Geschehen wohl kaum etwas, und darunter dürfte die Außenwirkung der Veranstaltung doch gelitten haben. Speziell kulturell Engagierte und Informierte blieben bei diesem ersten Mal weitgehend unter sich.
Und doch: Eine wirklich rundum gelungene Neuerung? In Zeiten größter finanzieller Not hat die Stadt sich an einen umtriebigen Organsiator (Ralf Duggen), einen großzügigen Spender und einen neuen Preis angehängt, zu dem die Idee von Umsonst & Draußen, das Geld von der Distelhäuser Brauerei kommt. Gleichwohl hat sich die Stadt eine echt original durchformulierte Satzung und Findungskommission verordnet. Unbehagen an dieser neuen Einrichtung beschleicht deshalb den Beobachter, umso mehr, wenn er das Alter der potentiellen Preisträger (es heißt doch tatsächlich »Jugendkulturförderpreis«!) mit dem Mindestalter der Stadträte in Relation setzt. Wie kann man dafür eine informierte, sachkundige Kommission besetzen? Insbesondere unter stadträtlicher Beteiligung?

Kulturpreise in Würzburg
Wissen Sie, verehrte Leserinnen und Leser, wie viele Kulturpreise hier in Würzburg verliehen werden?
Man sieht heutigentags zur Klärung solcher Fragen am einfachsten ins Internet und ist schwer enttäuscht: Ein unübersichtliches Wirrwar mit über 100 Nennungen allein für unsere Stadt, aber ein komplettes Programm an Einträgen ergibt das nicht.
Machen wir es kurz – es gibt tatsächlich fast ein Dutzend Kulturpreise. Die wichtigsten finden Sie beigefügt mitsamt den Ausgezeichneten (natürlich ohne Gewähr), einige weitere Preise müssen unbedingt erwähnt werden, bevor wir in die Analyse treten.
Da gibt es also Preise des Bezirks Unterfranken und der Stadt, wobei einer in dieser Übersicht nicht steht, der »Tanzende Schäfer«. Er ist aus verschiedenen Gründen bemerkenswert: Einmal ist er finanziell nicht dotiert, er wird zum zweiten allein vom Stadtoberhaupt verliehen (allenfalls in Absprache mit dem Ältestenrat), er stützt sich also weder auf eine Satzung noch auf eine Findungskommission, und der glücklich Ausgezeichnete darf sich in einer Walhalla fühlen, die von Ministerpräsidentengattin Karin Stoiber über Finanzminister Faltlhauser bis zu Stadträten mit ausreichendem Beharrungsvermögen reicht (ca. 25-30 Jahre Zugehörigkeit zu diesem Gremium). Auserkorene Künstler sollen, einem Ondit zufolge, den Preis schon abgelehnt haben, weil er zwar als Anerkennung und Geschenk gedacht ist, aber wahrscheinlich erscheint der weiße Porzellanschäfer, einer Figur aus dem Veitshöchheimer Garten nachgebildet, eher als mächtiger Staubfänger denn als bewundernswertes Kleinod mit zwingender öffentlicher Bedeutung.
Ein Spezialpreis, der aber ebenfalls hierher gehört, ist der »Antonio-Petrini-Preis« für bemerkenswerte Beispiele moderner Architektur, eine rundherum zu lobende Einrichtung.
Außer von der öffentlichen Hand gibt es Preise von Sparten für die ihnen Angehörigen, also z. B. den »Förderpreis des Theaterfördervereins«, zuletzt ergänzt um einen zusätzlichen Förderpreis. Daneben haben sich mäzenatische Gesellschaften und Unternehmen zur Verleihung von Preisen aufgeschwungen, wie etwa der Rotary Club Würzburg, gelegentlich der Lions-Club und, leider nur mit kurzer Lebensdauer, die Dresdner Bank Würzburg.
Wenn wir jetzt noch die »Georg-Sittig-Medaille« der Würzburger SPD und ihre Träger heranzögen, würde das Durcheinander so vieler Auszuzeichnender vermutlich geradezu bestrickend, in jedem Fall verwirrend.
Wer mag da noch den Überblick behalten? Wer vermag, immer neue würdige und geeignete Preisträger zu finden, damit den kulturell Tätigen durch Anerkennung (immer) und finanzielle Unterstützung (leider nicht immer) geholfen werden kann? Ein Blick auf die Listen wird manchem Kopfzerbrechen machen, ihn nach einem Plan dahinter fragen und sich selbst kultureller Ahnungslosigkeit zeihen lassen. Wie viele, wie wenige können behaupten, mit den Namen in ihrer Gesamtheit verbinde sich ein Bild, eine Leistung? Und nicht nur bei denen von vor 40 Jahren! Und diese Übersicht umfaßt ja bei weitem nicht alle Namen.

Preise – müssen die sein?
Von des Lebens Gütern allen
Ist der Ruhm das höchste doch,
Wenn der Leib in Staub zerfallen
Lebt der große Name noch.
Schiller aus Das Siegesfest

Müßte man nicht doch einmal über Sinn und Zweck von Preisen und die Art, wie sie gekürt werden, grundsätzlicher nachdenken?
Früher bekamen die Künstler ihre Anerkennung durch die Aufträge adeliger Mäzene, die entweder selbst Kenner waren oder geschmackssichere Berater in ihren Diensten hatten. Später öffnete sich der Markt, auf dem die Künstler ihre Werke zum Verkauf boten. Erst jetzt konnten viele daran denken, von ihren Kunstwerken zu leben – wobei es natürlich innerhalb der Kunstarten riesige Unterschiede gab und gibt.
Im 20. Jahrhundert kam zum immer unübersichtlicheren Markt eine weitere Art der Öffentlichkeit, indem Preise als zusätzliches Stimulans für die Bekanntheit der Künstler und die Verbreitung der Werke genutzt wurden. Das dürfte eine Entwicklung gewesen sein, die sich parallel zur Demokratisierung der Gesellschaft entfaltet hat.
Anstelle der sammelnden, auftraggebenden Kenner traten Jurys, die eine Qualifizierung vornehmen sollten. Üblicherweise wurden in sie Leute berufen mit Sachverstand und Erfahrung. Erst die zunehmende Politisierung des gesellschaftlichen Lebens hat dazu geführt, daß immer mehr sachfremde Personen involviert wurden, die der grunddemokratischen Überzeugung huldigten, von der Kunst verstehe jeder ausreichend, um seinem Urteil aus tiefstem Herzen Nachdruck zu verleihen. Die schönste Blüte dieser Entwicklung war in Würzburg die Beseitigung des Baukunstbeirats durch den Stadtrat – wenn man schon eine auswärtige Kommission aus Mangel an Geld nicht berufen kann, braucht man auch keine hiesigen ehrenamtlich tätigen Kenner, so verdienstvoll sie gewesen sein mochten. Der Stadtrat ist schließlich Manns und Fraus genug, und über Geschmack kann man ja ohnedies nicht streiten, oder nur … Zur Verfeinerung des Urteils trägt bestimmt noch ein wunderbares Proporzgefühl bei – duldest du meinen Konservativen, bekommt dein Progressiver das nächste Mal wenigstens den Hauch einer Chance – von »sicheren Werten« einmal ganz abgesehen.
Quintessenz: Wäre es nicht wünschenswert, die Findungskommissionen zu verkleinern, sie nicht mehr nach einem irgendwie nahegelegten Proporz, sondern einfach nur nach Sachkenntnis zu besetzen und den Stadtrat nur aus dem begründeten Vorschlag der Kommissionen eine Wahl treffen zu lassen?

Bleibt freilich die Frage, was man mit einer Auszeichnung wie dem »Tanzenden Schäfer« anstellt. Es ist gut verständlich, daß ein Preis auch kraft eigener Autorität verliehen werden kann – trotzdem sollte vielleicht doch das leitende Interesse der Verleihung präziser gefaßt und bekanntgemacht werden.

Was interessiert am Preis – und wen und wann?
Und es herrscht der Erde Gott, das Geld.
Schiller aus An die Freunde

Erstrebenswert wäre gewiß, daß dotierte und nichtdotierte Preise mehr daraufhin bedacht würden, welches Ziel man jeweils mit ihnen anstrebt.
Ein Beispiel: Als Hans-Georg Noack 1998 den Kulturpreis erhielt, meinte er, der Preis komme eigentlich zu spät, jetzt habe er das Geld nicht mehr nötig, er werde es an seine eigene Jugendstiftung weitergeben. Nobel gedacht – aber dafür war die finanzielle Seite der Auszeichnung ja nicht gedacht.
Ähnliches dürfte für manch andere Laureaten der letzten Jahre gelten. Wäre da nicht gleich eine bessere Idee – übrigens auch von den verachteten Rateshows: Geldbeträge werden an eine vom Preisträger zu benennende Einrichtung gemeinnütziger Art vergeben?
Aber wir wollten ja der Kultur und den darin Engagierten einzelnen helfen, nicht wahr?
Die Preissumme nötig haben dagegen in der Regel die jungen Künstler und die Organisatoren und Vereine, die so viel für das Kulturleben tun und das Geld, das sie bekämen, für ihre tagtägliche selbstausbeuterische Arbeit wirkungsvoll und entlastend einsetzen.
In einem Satz: Der Stadtrat sollte darüber nachdenken, ob mit den Preisen nicht noch sehr viel Besseres bewirkt werden könnte, als das im Augenblick auf den eingefahrenen Wegen erreicht werden kann. Freilich müßten diese Preisträger von der Stadt ihrerseits stärker als Repräsentanten der hiesigen Kultur eingesetzt werden. Warum gibt sich niemand Mühe, ihr Potential an Phantasie, Energie und Erfahrung zu nutzen? Warum, statt es bei einer einzigen Ehrung sein Bewenden haben zu lassen, daraus nicht eine Quelle der Anregung – oder auch Beunruhigung – gewinnen und in die ganze Stadt wirken lassen? Das könnte ein Gewinn für die Stadt wie die Künstler sein.
Der neue Jugendförderpreis hat jetzt den Vorteil der größeren Lebendigkeit demonstriert, und den Nachteil, daß sein Verhältnis zu den Kulturförderpreisen so wenig definiert ist. Wäre es nicht viel wünschenswerter, den entsprechenden Stellen der Stadt Geld zur Verfügung zu stellen, damit sie wieder Handlungsspielraum bekommen, um kurzfristig neue Ideen zu unterstützen?

Woher das Moos nehmen?
Damit sind wir beim ewigen und ewig leidigen Problem der Finanzierung städtischer Kultur. Sie erinnern sich: »ohne Moos nix los«.
Das Stadtsäckel ist leer, für freiwillige Unterstützung kultureller Aktivitäten weder finanzieller noch juristischer Spielraum vorhanden. Zwar gibt es der Kultur gewidmete Stiftungen. Die sind aber völlig orientiert aufs Theater und den Kulturspeicher und reichen bei den derzeitigen Zinsmargen zu – gar nichts, nicht einmal für einen nennenswerten Anschaffungsetat.
Beim Theater scheint man da am findigsten: Die »Rosenkavaliere« ermöglichen manches, Bewundernswertes, wenn denn die öffentlichen Verlautbarungen stimmen, woran wir nicht zweifeln. (Wie erfolgreich war eigentlich die Aktion mit den verkauften Marken?! Tempi passati.) Das kann ja nicht nur daran liegen, daß ein Dreisparten-Theater das non plus ultra bürgerlichen kulturellen Selbstverständnisses und Repräsentierbedürfnisses ist – auch wenn der Spielplan diese Vermutung gelegentlich aufkeimen läßt.
Die Tatsache, daß sich für die Brücke-Sammlung vergleichbare Aktivitäten nicht entfaltet haben, stürzt freilich den Beobachter in tiefe Zweifel. Und wenn man dann noch das unternehmerische Engagement etwa beim Africa-Festival beobachtet, könnte einem schwindlig werden.
Das ist der Klotz am Bein der wirtschaftlichen Förderung der Kultur, daß dahinter fast immer die Erwartung der unmittelbaren Rentabilität steht, daher in Prestigeobjekte und -events leichter investiert wird als in kontinuierliche Arbeit, und bei kurzfristig ausbleibendem Erfolg die Frustration leicht zu schnellem Rückzug führt.
Sonst ließe sich viel leichter Geld in einen städtisch verwalteten Pool spenden, von vielen Firmen gemeinsam, das der Stadt wenigstens ein Minimum der Handlungsfreiheit wiedergäbe, das wenigstens einer nur zaghaft so zu nennenden Kulturpolitik ihren Namen wieder zu recht zubilligte.
Oder kommt es soweit, wie es in Schleswig-Holstein schon ist und für Nordrhein-Westfalen zur Zeit der Drucklegung sich andeutet, daß die Kultur auf Minister-ebene keine Heimstatt mehr hat – allen vollmundigen Ankündigungen zum Trotz. ¶