Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Berlin
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Fotos: Weissbach

»Kabale und Liebe«-Inszenierung in der Würzburger Werkstattbühne

Friedrich Schiller thrillt

Schillertexte und Schillersprache für die moderne Theaterbühne aktualisieren – Hermann Drexler ist dieses Wagnis in seiner Inszenierung von »Kabale und Liebe« in der Würzburger Werkstattbühne bravourös gelungen. Drexlers Schiller packt und bewegt. Drexler läßt Schiller »thrillen«.
Der Wahnsinn einer zerstörten Liebe, entlang dieser gedanklichen Hauptschlagader inszeniert Drexler das mit Drastik und Dramatik nicht geizende »Trauerspiel« um die Bürgerliche Luise Miller und den Präsidentensohn Ferdinand von Walter auf der von Markus Czygan eingerichteten Schachbrett-Bühne. Was das Ensemble um Drexler bietet, kann mit jedem TV-Thriller mithalten. Eine Prise Kitsch, eine Spur unvermeidlichen Pathos’ eingeschlossen.
Packend bis zur letzten Minute ist »Kabale und Liebe« à la Drexler aber nicht nur wegen der »Action«, die das Liebespaar Luise und Ferdinand auslöst; Schillers 1783 – damit ein Jahr nach den »Räubern« – verfaßtes Sozialdrama, das der Dichter im Arrest entwarf, bleibt nicht zuletzt durch den Fingerzeig darauf aktuell, daß sich die politischen Postulate über die Jahrhunderte hinweg nicht gravierend geändert haben. Es geht zu allen Zeiten und bis heute um Macht und Machterhalt, und jedes Opfer ist den Mächtigen Recht, wenn nur ihr Einfluß nicht schwindet. Die Liebe zwischen Luise und Ferdinand würde niemanden kratzen, käme sie nicht unglücklicherweise den Plänen der Tyrannen ins Gehege; weil sie die Pläne der Mächtigen durchkreuzen, werden die Verliebten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Gewalt bekämpft.
Was in Schillers Stück am herzoglichen Hofe und zu Schillers Lebzeiten am Württembergischen Hof unter Herzog Karl Eugen vor sich geht – ebenso funktioniert moderne Staatsgewalt, genauso funktioniert Weltmacht. Menschen bleiben auf der Strecke, wenn die Mächtigen ihre Intrigen spinnen. Menschen, das sind: Väter, Freunde, Verliebte. Und auch wenn Heiratspolitik heute hierzulande keine Rolle mehr spielt, auch wenn Mätressen nicht mehr Mätressen heißen, die Prinzipien der Macht stimmen noch immer.
Am aktuellsten freilich ist das Thema des Schmerzes über die Unmöglichkeit der Sehnsuchtserfüllung. Wobei sich Drexler nicht mit dem Heraufbeschwören einer wahren, großen Liebe begnügt, sein subtiler Blick richtet sich gerade auch auf die Ambivalenzen, die Fragwürdigkeiten der Liebe zwischen Luise und Ferdinand. Geht es den beiden wirklich einzig um die unsterbliche Liebe – oder ist Ferdinands Liebesleidenschaft nicht auch zu einem großen Teil von grundsätzlicher Opposition gegen den Vater, ist Luises Liebe nicht von naiven Jungmädchenfantasien gespeist?
Mehr oder weniger ambivalent ist jede Figur in Drexlers hervorragend besetzter Inszenierung, vom tragischen Liebespaar Luise und Ferdinand angefangen bis hin zu Hofmarschall von Kalb (Bodo Koch), einem windigen Burschen, der es als eine Art extravaganter Hofnarr versteht, aus Unregelmäßigkeiten rund um des Herzogs Nachttopf daseinslegitimierende Haupt- und Staatsaktionen zu machen. Oskar Vogel, Präsident von Walter in schwarzer Lederjacke, gefällt vor allem in den Brutalo-Szenen, während ihm die verlogene Weichheit, mit der er seinem Sohn scheinbar bei seiner Liebeswahl entgegenkommt, nicht mit dem notwendigen Zynismus gelingt. Britta Schramm schillert als alkoholabhängige Lady Milford, die sich einerseits anrühren läßt von der Menschenverachtung am Hofe des Herzogs, andererseits Luise brutal bedroht; Stephan Ladnar gibt einen Haussekretär Wurm, wie er zwar fieser nicht sein könnte, dessen Machtgeilheit sich jedoch unzweifelhaft auf Minderwertigkeitsgefühle gründet.
Brillant auch Norbert Straubs Stadtmusikant Miller, der in merkwürdig ambivalenter Haltung (ist er Vater oder Verliebter?) zu Luise steht und sich von seinen Zornesaufwallungen so weit treiben läßt, dem Potentaten von Walter die Türe zu weisen. Julia Henning kommt als Millers frustrierte, ewig Kaffee trinkende Frau scheinbar eine Nebenrolle zu, wobei sie, lieblos behandelt von ihrem Mann, von der Tochter so gut wie ignoriert, erst deutlich macht, daß keineswegs alles glänzt in Millers frommen Hause. Carolyn Baczyk schließlich zieht als Luise vom ersten bis zum letzten Bühnenmoment in Bann, Christian Volls Ferdinand, im Spiel ungleich älter als sie, erscheint vor ihrer Kulisse als leichtfertiger, noch reichlich unreifer Junge voller kühner Pläne, voller Trotz und Temperament – aber der ernsten Lage nicht wirklich gewachsen.
Der Einbruch der großen Politik ins Private, das ist Drexlers Thema, das sich damals auf den Machterhalt am Hofe, das sich vor 90 Jahren auf den Ersten, vor 65 Jahren auf den Zweiten Weltkrieg und heute auf die Brutalität der – unter dem Harmlosbegriff »Globalisierung« gepackten – Okkupation des Weltmarktes beziehen läßt. Der Mensch ist so lange frei, so lange er denen, die an der Macht sind, nicht in die Quere kommt. Der Mensch muß so lange leiden, so lange die Strukturen der Macht nicht prinzipiell in Frage gestellt werden.
Im Schillerjahr werden die Themen Schillers wieder akut. Das Leid der Menschen steigt durch die Pervertierung der Macht – diesmal nicht die der unersättlichen Politik, sondern die der unersättlichen Wirtschaft. Heute sind es keine herzoglichen Heiratspläne, die Liebe zerstören, heute heißen die Prozesse, die Menschen auseinanderreißen, zum Beispiel »Freisetzung« oder »Flexibilität«. 

Pat Christ


Weitere Vorstellungen von »Kabale und Liebe«: 
6.–8., 11. & 13.–15. Mai. Karten unter Tel.:  09 31 / 5 94 00

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