Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Berlin
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Die Rauchkultur liegt in den letzten Zügen.
Foto: Weissbach
Nichtrauchertag

Am 31. Mai ist Nichtrauchertag.
Er wurde 1987 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgerufen und wird seitdem jährlich an diesem Tag begangen.

Völlig denormalisiert

Hegel schnupfte Tabak während seiner Vorlesungen, Freud rauchte bis zu 20 Zigarren täglich, und Sartre ließ sich sogar mit einer brennenden Zigarette zwischen den Fingern für das »Time Magazine« portraitieren. Er qualmte bekanntlich wie ein Schlot – am liebsten angeblich »Bastos«, auch Pfeife – und hat wie kaum ein anderer das Rauchen mit dem Habitus des Intellektuellen verflochten.
Daß er auch aufzuhören versuchte, muß nicht erst enthüllt werden. Sartre berichtet davon schon in seinem Werk »Das Sein und das Nichts«, in dem er von der höchsten Abstraktion bis in das Kaffeehaus hinunterstieg und über das Gebaren von Kellnern und auch über jenes »kleine Brandopfer« philosophierte. Dabei erkannte er, daß ihm weniger der Geschmack des Tabaks als die Handlung des Rauchens abging. Sie hatte nahezu all seine Aktivitäten begleitet, jede neue Erfahrung umhüllt, so daß er sich sorgte, sein Leben werde verarmen, wenn er der Welt nicht mehr rauchend begegnen konnte. Er mußte deshalb eine »Entkristallisation« vornehmen, den Tabak darauf reduzieren, »nur noch er selbst zu sein«. Sartre: »Ich zerschnitt seine symbolischen Bindungen zur Welt.«
An solche Einsichten knüpfen allenfalls noch Entwöhnungsprogramme an. Sie lehren, das Rauchen aus dem alltäglichen Handeln herauszulösen und zu ersetzen – etwa durch Wasser trinken. Ansonsten zählt dieser Handlungs- und Bedeutungskomplex kaum noch. In der Politik gilt die Aufmerksamkeit den Kosten und der Erwartung, gleichzeitig die Ausgaben für die Gesundheit senken und die Einnahmen durch die Tabaksteuer erhöhen zu können. Dieses Kunststück zog jüngst sogar den Spott der Karnevalisten auf sich. Sie hatten bei einem der großen Umzüge einen Wagen mit zwei Parolen drapiert: »Rauchen gefährdet den Bundeshaushalt« – »Nichtrauchen gefährdet den Bundeshaushalt«.
Diese Paradoxie löst sich eindeutig zuungunsten der Raucher auf. Sie sehen sich zunehmend in die Illegalität getrieben. Rund 10 Prozent der konsumierten Zigaretten – in grenznahen Regionen bis 60 Prozent – sollen bereits unversteuert sein. Dazu kommen fortwährend Meldungen über die Ausweitung rauchfreier Räume. Das Ziel ist von der Weltgesundheitsorganisation fixiert worden: umfassender Nichtraucherschutz. Es wird von der Bundesregierung unterstützt, der Nichtraucher-Initiative Deutschland zufolge aber nur halbherzig. Sie deklariert das Rauchen auf Plakaten als »Kindesmißhandlung« und hat im Kampf für eine »rauchfreie Gesellschaft« am 13. Januar die Gewerbeaufsicht in Berlin aufgefordert, den Nichtraucherschutz nach § 5 der ArbStättV im Bundeskabinett durchzusetzen. Dort sind Raucher gesichtet und namentlich benannt worden.
Angesichts dieser Unduldsamkeit war es fast schon mutig, die Bühne des Theaters am Neuner Platz in Würzburg für einen Vortrag über das Rauchen freizumachen; als eher übermütig erwies sich dagegen der Versuch, gleichzeitig unterhalten, kulturgeschichtlich unterweisen und das Rauchen metaphysisch aus dem »Wesen des Menschen« ableiten zu wollen. Bereits die Einstimmung mit einer überlebensgroßen Projektion des Referenten Leonhard Richter, Privatdozent für Philosophie an der Universität Würzburg, mit sphärischer Musik und Bildern von elementaren Landschaften geriet etwas weihevoll; und auf den Vortrag reagierte das Publikum vornehmlich verhalten amüsiert darüber, daß man das Rauchen so hochjubeln kann. Nichtraucher haben sich nicht bemerkbar gemacht.
In der durchaus vertretbaren Absicht, die kulturellen Aspekte des Rauchens zumindest ahnen zu lassen, hatte Richter – ein bekennender Zigarrenraucher – seinen Auftritt wohl etwas überinszeniert und -instrumentiert. Er entwarf ein ziemlich atemberaubendes Szenario, nach dem die Bezähmung des Feuers und die Erfahrung der »Höhlengeborgenheit« zum Rauchen disponiert habe und die Raucher eine »Avantgarde« geworden seien. Dieser weit ausholende Gedankengang führte zum metaphysischen »Grund« des Rauchens und endete erstaunlich banal. Man rauche, resümierte Richter, »weil es eben Spaß macht«. Das Rauchen sei »Selbstgenuß des Ich«, »Genießen in Reinform«, habe »keinen Adressaten außer dem Raucher selbst«.
Vom Passivrauchen wußte diese Plauderei zwischen höherem Jux und Tiefsinn wenig. Sie zielte punktgenau auf die Parole »Ich rauche gern« und könnte allenfalls gut 3 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren ansprechen, die der Statistik zufolge »gelegentlich« und vielleicht mit Genuß rauchen. Fast 25 Prozent rauchen »regelmäßig«, oft seit vielen Jahren, meist mit schlechtem Gewissen, zwanghaft. Viele davon schätzen sich vermutlich als »Streßraucher« ein. Die meisten kennen auch die Risiken und haben oft schon mehrmals aufzuhören versucht, aber sie schaffen es nicht. 70 bis 80 Prozent der Raucher gelten als abhängig. Sie sind meist weit davon entfernt, das Rauchen noch genießen zu können.
Es scheint also weder der Genuß noch mangelnde Einsicht zu sein, was an das Rauchen fesselt, sondern doch das Nikotin. Dieser Wirkstoff macht angeblich schneller als Drogen abhängig und würde demzufolge ein Verbot rechtfertigen. Allerdings sind Drogen, Heilmittel und Genußmittel stets auch kulturell mit Bedeutung aufgeladen, sozial verankert und deshalb nicht beliebig umdefinierbar. Die Grenzen zwischen ihnen verschieben sich nur langsam wie etwa beim Zucker, der den Nimbus als Genußmittel inzwischen verlor. Alkohol wird noch hartnäckig dem Nahrungsmittelkomplex einzuverleiben versucht; und Tabak hat »eine kulturelle Praxis etabliert, deren Deutungen zunehmend komplexer und heterogener wurden«, sagt Thomas Hengartner, Kulturwissenschaftler an der Universität Hamburg.
Er hat das Rauchen als »Totalphänomen« in letzter Zeit am besten verständlich gemacht und mit dem Historiker Christoph Maria Merki in den Büchern »Tabakfragen« und »Genußmittel« auf Defizite in der Debatte verwiesen. Sie sei zu sehr von der Medizin geprägt, meint Hengartner. Das war auch schon so, als die Tabakpflanze um 1500 nach Europa kam. Damals wurde sie zunächst als Heilmittel wahrgenommen. Argwohn und Polemik gegen das »Tabak sauffen« – das Verb »rauchen« war noch nicht geläufig – zog sie erst im späten 17. Jahrhundert auf sich. Da kam es zu Verboten und einem echten Raucherkrieg, in dem Köpfe abgeschlagen, Lippen aufgeschnitten wurden und aus dem die Erfindung der Tabaksteuer herausführte. Damit war das »Teufelskraut« legalisiert, zivilisiert und als Genußmittel normalisiert.
Was als Genuß gilt, läßt sich aber gerade beim Rauchen nur schwer fassen. Es ist mehr als eine biochemische Reaktion, mehr als eine Empfindung, »geht über Gaumenfreuden hinaus«, schreiben Hengartner und Merki. Sie bezeichnen Genuß als »soziokulturelles Konstrukt«; das heißt, daß den Formen des Konsums Bedeutungen zugeschrieben und damit soziale Differenzen markiert werden. Das zeigt sich schon beim Rauchen von Zigarren deutlich. Es nahm zunächst demonstrativen und dann eher zeremoniellen Charakter an. Vor der bürgerlichen Revolution im 19. Jahrhundert wurde es als »liberale Dreistigkeit« empfunden, danach zunehmend als Inbild von Behaglich- und Behäbigkeit. In beiden Fällen wirkte die Zigarre integrativ und distinktiv – gemeinschaftsbildend und abgrenzend.
Anthropologisch oder gar metaphysisch dürfte bei den Genußmitteln also nicht viel zu holen sein. Sie haben – so Hengartner und Merki – »keine transhistorische Bedeutung«. Ihre Bewertung variiere historisch, geographisch und sozial, zwischen legal und illegal, legitim und illegitim, werde »permanent ausgehandelt«. An die Zigarette lagerten sich sogar ganz neue Deutungen an – etwa erwachsen und emanzipiert zu sein – und ein Verhaltenstypus, der sich in die moderne Welt gut einzupassen scheint. Das kürzer getaktete Rauchen kann nun auch unter Anspannung nahezu jede Handlung begleiten, verzögern, unterbrechen, aufschieben und Handlungspausen mit Scheinaktivität auffüllen. Es bietet in jeder Lebenslage eine zusätzliche Option, die von Rauchern offenbar als Bereicherung oder Genuß verbucht wird – seit Freud aber auch als Zwang und Ersatz für die »Ursucht«.
Goethe sah im Rauchen eher ein Ärgernis: »eine impertinente Ungeselligkeit«, die man durch zeitweilige Separation in Rauchzimmern und Raucherabteilen aber noch einzuhegen hoffte. Auch Mäßigung galt aus medizinischer Sicht lange als ausreichend. Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts hat die Krebsforschung zu einer Umwertung geführt, die in der Diskussion um das Passivrauchen noch einmal eine Richtungsänderung erfuhr. Dabei setzten sich die Mediziner gegen die Verharmlosungsstrategie der Tabakindustrie durch. Sie haben laut Hengartner und Merki »eine nahezu uneingeschränkte Deutungsmacht« gewonnen und den Blick so sehr auf Sucht und Risiko gelenkt, daß alle anderen Aspekte verstellt worden seien.
Der Tabakindustrie zufolge versuchten vor allem Pharmakonzerne, das Rauchen zur medikalisierbaren Krankheit zu machen. In dem Buch »Tabakfragen« warnt der Soziologe Peter Atteslander dagegen vor der Gefahr, daß Prioritäten von Kostenträgern im Gesundheitssystem definiert und Risiken dabei überbetont werden könnten. Vor allem im Hinblick auf das Passivrauchen registrieren die Kriminologen Michael Lindenberg und Henning Schmidt-Semisch eine »latente Überspanntheit des Risikoempfindens«. Das Ausmaß der Angst sei allein aus der Sorge um die Gesundheit nicht mehr zu erklären, schreiben sie in dem Buch; und auch Hengartner hält es für möglich, daß sich ein insgesamt gesteigertes Risikobewußtsein eher stellvertretend an den Rauchern festmacht – vielleicht weil sie so leicht greifbar sind.
Der Rat von Atteslander, Risiken nicht um jeden Preis vermeiden zu wollen, sondern vernünftig damit umzugehen, kommt vielleicht schon zu spät. Die »Denormalisierung« des Rauchens – so Hengartner – ist jedenfalls weit fortgeschritten und tendiert zur Stigmatisierung. Diesem Druck können sich wahrscheinlich nicht viele entziehen, denn am Horizont winkt bereits die Frage, ob Raucher überhaupt noch Arbeitsplätze erhalten und Wohnungen mieten können oder nur noch Bilder von ihnen überleben: etwa von Freud, Brecht und Sartre, dessen 100jähriger Geburtstag am 21. Juni ansteht, und nicht zuletzt von dem in Würzburg geborenen Schriftsteller Leonhard Frank.
An ihn erinnert eine Gedenktafel an der Einfriedung der Deutschhaus Kirche in der Zeller Straße – unweit von Franks Geburtshaus. Sie wurde von der Würzburger Malerin Renate Jung entworfen und hält das Rauchen als charakteristische Geste des Schriftstellers in Bronze fest – politisch zunehmend unkorrekt und deshalb tendenziell einzigartig.

Helmut Klemm


Eine kürzere Version des Textes ist am 14. April in der FAZ erschienen.