Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und der Halbwelt
< zur nummer 4

Heiner Dikreiter
Bildnis Wolfgang Lenz

1952, Öl auf Leinwand, 100 x 70 cm
Signiert und datiert u. l.: »H. Dikreiter 52«, Inv.Nr. S 11026, Schenkung Olga Lindner
Repro: Akimo
Depotgeschichten

»Bildnis Wolfgang Lenz«

von Heiner Dikreiter, 1952


Ausgeschlossen von diesem Raster kunstgeschichtlicher Einordnungen und Auswahlkriterien sind Künstlerinnen und Künstler, die, obgleich akademisch ausgebildet, nur regional bekannt waren, Entwicklungen nicht nachvollziehen konnten und an überholt geltenden Traditionen und Kunstauffassungen festhielten. Wer kennt heute noch »den heimlichen Kaiser der deutschen Kunst«, den Maler und Graphiker Fritz Boehle, oder die Bilder von Ferdinand Spiegel, Alida Kisskalt, Fritz Erler, Konstantin Gerhardinger, um nur einige zu nennen. Ihre Namen finden sich – wenn überhaupt – nur noch in Künstlerlexika. Ihre Werke hängen u.a. auch im Depot des Museums im Kulturspeicher.

Anziehend wie kaum ein anderer Bereich im Museum ist das Depot für den Besucher. Vielleicht, weil es unzugänglich ist, gibt es immer wieder Anlaß zu Fragen und Spekulationen: Welche Werke werden dem Blick der Öffentlichkeit vorenthalten, was wird da »weggeschlossen«? Sind es »Fehlkäufe« der Museumsdirektoren, nicht bearbeitete Nachlässe, Werke der NS-Zeit oder gar ungehobene Schätze?
Ungeachtet dieser Mystifizierungen ist ein Depot zunächst einmal ein Magazin, in dem Werke fachgerecht aufbewahrt und betreut werden. Obgleich nicht ausgestellt, sind sie Teil der Sammlungsgeschichte eines Museums. Sie erzählen von überholten und nicht vollendeten Sammlungskonzepten, aber auch von Geschmacks- und Kunsturteilen vorangegangener Generationen und von Normen, die sich mit der Zeit geändert haben, ebenso wie der Kunstbegriff selber.
Um einen Einblick in diesen Bereich zu geben, werden hier in loser Folge Werke vorgestellt, die im Depot lagern oder seit längerer Zeit wieder in den Schausammlungen zu sehen sind.

Anläßlich des 80. Geburtstages von Wolfgang Lenz zeigt das Museum im Kulturspeicher das Bildnis, das Heiner Dikreiter 1952 von dem damals 27-jährigen Maler schuf.
Dieses Gemälde, in Öl auf Leinwand gemalt, schenkte Olga Lindner, die Schwägerin Heiner Dikreiters, der Städtischen Galerie. Nach dem Tod von Heiner und Friedl Dikreiter betreute sie den Nachlaß des Künstlers. Das Bildnis ist repräsentativ als Kniestück angelegt und zeigt den Maler – nah an den vorderen Bildrand gerückt – sitzend in einem Innenraum. Ernst, aber mit wachem Blick schaut er durch seine Brillengläser auf den Betrachter. Bis auf die Bilder im Hintergrund fehlen die Attribute des künstlerischen Berufs.
Das Gemälde ist ein Künstlerportrait, aber auch das Bildnis eines geschätzten Schülers. Heiner Dikreiter war nach dem 2. Weltkrieg der erste Lehrer von Wolfgang Lenz. An der Würzburger Kunst- und Handwerkerschule schulte er ihn in Freihand-, Kopf- und Aktzeichnen und förderte ihn auch später, als Lenz seine Studien an der Akademie der Bildenden Künste in München fortsetzte.
Zur Entstehungszeit des Bildnisses, 1952, hatte Wolfgang Lenz bereits drei Studienjahre hinter sich. 1954 ermöglichte ihm sein im Würzburger Kunstleben äußerst einflußreicher und umtriebiger Mentor eine erste Ausstellung in Würzburg. Eine zweite fand 1958 statt, ein Jahr vor dem Abschluß seiner Studien als Meisterschüler.

Dieses Portrait gehört zu einer Reihe von Künstlerbildnissen, mit denen der Maler, Sammler und Galerie-gründer Heiner Dikreiter während des 2. Weltkriegs begann. Während seiner Amtszeit als erster Direktor der Städtischen Galerie in den 1950er Jahren setzte er sie fort. Auf das Bildnis von Wolfgang Lenz folgten u.a. das Bildnis des im Nationalsozialismus hoch geschätzten Oskar Martin Amorbach (1953), die Portraits von Karl Hachez (1953), Albert Banska (1954), Willi Wolf (1956), Richard Rother (1957) und auch Selbstbildnisse. Dargestellt sind Künstler, die mit Dikreiter und Würzburg in enger Verbindung standen, Weggefährten und Lehrerkollegen waren.
Bis auf den damals noch zu jungen Wolfgang Lenz fanden alle Eingang in seine Schrift »Kunst und Künstler in Mainfranken«. Prägend für Dikreiters Auswahl war seine Kunstauffassung und die Intention, die Kunst Mainfrankens zu dokumentieren.
Doch auch Dikreiter hatte künstlerische Vorlieben. Keine Aufnahme in seine gemalte Galerie von Künstlerpersönlichkeiten fanden beispielsweise Carl Grossberg, Gertraud Rostosky, Joseph Versl oder Dieter Stein.

Das Bildnis von Wolfgang Lenz ist wie alle diese Bildnisse naturalistisch gemalt. Gegenstandsgetreu ist der junge Künstler dargestellt und in seiner körperlichen Erscheinung nachgebildet. Der Umraum ist malerisch nur angedeutet, doch dient er ebenso wie die Farbe der Beschreibung des Gegenstandes. Nach 1945 galt diese am Abbild orientierte Malweise vollends als überholt. Das Ende des NS-Systems und des Zweiten Weltkriegs hatten auch in der Kunst ihre Spuren hinterlassen und zu einer Neubesinnung geführt. Dieter Stein, zur gleichen Generation gehörig wie Curd Lessig, Joachim Schlotterbeck und Wolfgang Lenz, fand Ende der 1940er Jahre zu einer abstrahierenden Malweise. Auch der Nürnberger Oskar Koller, wie Lenz und Lessig 1925 geboren und in seiner Ausbildung ebenso wie diese zurückgeworfen durch Faschismus und Krieg, holte sich Anregungen in Paris. Sein zur Zeit ebenfalls ausgestelltes Gemälde »Vorstadt mit Gaswerk« von 1956 überführt das gegenständlich Gesehene in klare, geometrische Formen. Dagegen blieb Dikreiter – ungebrochen von den Zeitumständen – einer Malweise treu, die sich im wesentlichen auf zeichnerisches und handwerkliches Können stützte und von Naturalismus und deutschem Spätimpressionismus geprägt war. Kunstrichtungen wie der vom NS-System als »entartet« diskreditierte Expressionismus oder die Neue Sachlichkeit und auch die abstrakte Kunst blieben ihm auch nach 1945 fremd und letztlich suspekt.

Beate Reese


Neupräsentation der Städtischen Sammlung im Museum im Kulturspeicher bis Oktober 2005.