Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und der Halbwelt
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Farbempfindungen bieten keinen sicheren Halt in einem System. Sie lassen sich bis zur Wahrnehmungsgrenze nahezu beliebig unterscheiden und in mehr oder minder idealisierten Formen auffächern: etwa zweidimensional in Farbkreisen oder dreidimensional in Kugeln, Kegeln, Doppelkegeln, Pyramiden, Würfeln oder dem abgebildeten Farbkörper, der als Referenz für die Vermessung von Farben entwickelt wurde.
Er ist so verzerrt, weil die empfindungsmäßig ungleichen Farbabstände berücksichtigt wurden.

Bild: RWTH Aachen

Seit jeher nicht ganz grün

Der Philosoph, hatte Goethe geklagt, »fängt an zu rasen, wenn man nur von Farbe spricht«. Sie war schon damals ein Reizthema, in das sich bekanntlich auch der Dichter verbissen hatte. Sein Feldzug gegen Newtons Farbtheorie war aber nur der Auftakt. Darauf folgte ein langwieriger Krieg: Der Bauhaus-Lehrer Johannes Itten weigerte sich noch, die Farblehre des Chemikers Wilhelm Ostwald zur Kenntnis zu nehmen, weil er darin Abkürzungen wie »Ublau« vorfand; und Josef Albers wandte sich wiederum von seinem Lehrer Itten ab, weil der Bauhaus-Meister die Farben als »metaphysische Kräfte« überhöht hatte.

Seitdem sind die Farben zunehmend banalisiert und zu Verkaufsanreizen degradiert worden, aber die alten Frontlinien stehen noch. Sie machen sich auch bei einer Initiative von Kunsterziehern in Nordrhein-Westfalen bemerkbar, die derzeit »Ansätze zum Umgang mit Farbe« diskutieren und sich dabei deutlich von Itten distanzieren. Am meisten mißfällt ihnen seine Kontrastlehre, nach der »harmonische Farbakkorde« vor allem mit Komplementärfarben zu erzielen sind. Das sind die Farben, die im Auge als Nachbild entstehen. Wenn man etwa Gelb fixiert und dann auf eine weiße Fläche schaut, sieht man dort unwillkürlich einen violettblauen Ton – die Komplementärfarbe.
Goethe hatte aus diesem physiologischen Phänomen geschlossen, daß eine Farbe stets die Totalität der Farben fordere, und Harmonievorstellungen daran geknüpft. Im 19. Jahrhundert ist die Kontrastlehre auch auf Pigmentfarben übertragen worden. Sie war nun ein zentrales Thema für Künstler und Farbtheoretiker und wurde von Itten in seinem Buch »Kunst der Farbe« in einer rezeptartigen Version überliefert. Es ist 1961 publiziert, weltweit über 500 000 Mal verkauft worden und hat den Kunstunterricht bis heute geprägt – oft als »alleinige Grundlage«, schreiben die Kunsterzieher.
Von den normativen Ansprüchen der Kontrastlehre wollen sie sich nun lösen. Sie halten es für erwiesen, daß sich »keine allgemein verbindlichen Aussagen über harmonische Farbzusammenstellungen machen lassen«. Ittens Lehre sei aber nicht nur sachlich überholt, heißt es in einem internen Paper; sie habe auch zu einem uninspirierten Umgang mit Farbe geführt und sei deshalb für den Kunstunterricht »nicht mehr geeignet«. Der Reiz von Ton-in-Ton-Verläufen und dynamischen Farbreihen könne damit nicht erfaßt werden.

Die Alternative soll ein freierer Umgang mit Farben sein – ein »offener Blick«, wie ihn Josef Albers gelehrt hatte. Der Nachfolger Ittens am Bauhaus war überzeugt davon, daß »jede Farbe mit jeder anderen geht« und trat mit seinem Werk »Interaction of Color« allen Harmonielehren entgegen. Daran erinnerten Kunsthistoriker zuletzt auf dem Symposium »Johannes Itten und die Moderne«, das 2002 in Saarbrücken stattgefunden hat. In den Beiträgen, die unter dem gleichen Titel als Buch erschienen sind, machen sie jedoch auch auf die verkürzte Rezeption von Ittens Lehre aufmerksam und korrigieren das »einseitige Itten-Bild«.
Die Kunsterzieher berufen sich auf das Symposium, aber sie wollen keinen anderen Itten, sondern gar keinen mehr. Sie haben sogar einen Farbkörper als didaktische Hilfe für den Unterricht entwickelt: einen Doppelkegel. Er soll Ittens Farbstern ersetzen, den er als die aufgefaltete Farbkugel des Malers Philipp Otto Runge verstanden hatte. Der Doppelkegel hat eine schiefe Taille – weil Gelb näher an der weißen und Blau näher an der schwarzen Spitze liegt – und kollidiert heftig mit dem Rhomboeder, den der Farblehrer Harald Küppers seit den 1970er Jahren proklamiert und schon in den Schulunterricht in Baden-Württemberg und Hessen eingebracht hat. Das kristallförmige Gebilde, das aus sechs rautenförmigen Flächen geformt ist, sei die »endgültige theoretische Lösung«, ist Küppers überzeugt. Nur dieses Modell stelle die Gesetzmäßigkeiten beim Farbensehen korrekt dar und verkörpere den »idealen Farbraum«.

Für seine Lehre streitet Küppers unermüdlich. Auch im Kulturspeicher in Würzburg hat er im letzten Jahr in einem Vortrag mit dem Titel »Warum die Farblehre von Johannes Itten falsch ist« den Bauhaus-Meister wieder einmal überführt. Den ersten Fehler setzte er schon bei Ittens Grundfarben Gelb, Rot und Blau an. »Das sind keine Grundfarben«, entrüstete er sich. Er findet es »unglaublich, daß das noch gelehrt wird«. Küppers hat also trotz aufreibender Kämpfe noch immer nicht gesiegt; und es besteht auch wenig Aussicht, daß er mit den Pädagogen in Nordrhein-Westfalen eine Koalition bildet, denn die Farbfreunde dieser Welt sind sich seit jeher nicht ganz grün.
Der Krieg ist vorbei, die Scharmützel gehen weiter.

Helmut Klemm