Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und der Halbwelt
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Prof. Dr. Christian Pohl
Foto: Akimo

Die Kunst des Speicherns

Unsere Geschichte beginnt, wie so mancher Tag, mit dem Klingeln des Weckers: Unsanft dringen die lauten Töne in das Unterbewußtsein, das beruhigende Ticken der Uhr zuvor ist wie weggeblasen. Zumindest für unser Ohr. Doch es ist noch da, der Wecker tickt nach wie vor weiter, auch während des lauten Klingelns. Was ist daran so Besonderes, mag sich nun der Leser denken. Es gibt also Töne, die wir gar nicht bewußt wahrnehmen.
Diese Geschichte dreht sich nicht nur um Töne, sondern auch um das Platzsparen. Denn was so banal klingt, hat die hohe Kunst des Speicherns geradezu revolutioniert. Durch dieses Phänomen der akustischen Wahrnehmung ist die Musikindustrie hellhörig geworden.
Was nun kommt, hängt bereits um viele Hälse oder an vielen Gürteln als MP3-Player, i-Pod oder andere Speichermedien. Kleines Gerät, großer Inhalt, 400 Audio-CDs auf einer Festplatte. Handlich und unheimlich tauglich. Kultig. Doch machen wir zum besseren Verständnis einen kleinen Exkurs.

Geräusche, Töne, Musik entstehen durch die bewegte Luft, die sich wellenförmig fortsetzt. Diese nehmen wir, abhängig von der Länge der Schallwellen, als Ton wahr. Länge, Geschwindigkeit und Ausschlag der Welle entscheiden über den Charakter des Tones und seine Lautstärke; auch über die Hörbarkeit, denn wir Menschen hören beileibe nicht alle Töne, sondern nur solche innerhalb einer gewissen Bandbreite. Die Obertöne ergeben die Klangfarbe des Tones.
Nun neigt der Mensch dazu, gerne vieles zu konservieren, und also lag es nahe, eine Erfindung zu machen, um das geträllerte Lied irgendwie auf irgendwas dauerhaft zu bannen. Die Schallplatte wurde geboren.
Das ursprüngliche Aufnahmeverfahren dazu nennt man analog, das heißt, die Töne werden eins zu eins übertragen.

Ein Beispiel: Die Töne versetzen ein Blatt Papier, an dessen Ende eine Nadel befestigt ist, in Schwingungen. Diese werden von der Nadel exakt auf eine Matrize übertragen: Eine Linie entsteht, das exakte (mechanische) Abbild der Schallwelle. Spielt man nun die Schallplatte ab, gibt sie genau das wieder, was aufgezeichnet wurde. Der Nachteil dabei ist: Schallplatten verschleißen und verkratzen, jedes Staubkorn wird ebenfalls wiedergegeben und macht sich als Störfaktor bemerkbar.
Es wurde also Zeit für das staubfreie, digitale Zeitalter. Nun kommt der Unterschied: Auf einer CD findet sich keine Schallwelle mehr, sondern eine Reihe von Meßpunkten. Die Schallwelle wurde zerlegt, die Schallhöhe bestimmt den Meßpunkt. Bis zu 44 000 Meßpunkte pro Sekunde werden dann in Zahlen umgewandelt. Digital. Würde man die Zahlen einer 60 Minuten dauernden CD in Brockhausbände schreiben, so müßte man 145 davon füllen.
Unser CD-Player liest und verbindet nun die Meßpunkte, das Lied wird hörbar. Allerdings ist es nicht mehr zu 100 Prozent identisch mit der Urfassung.

Jetzt kommt unser Wecker wieder ins Spiel: Durch Testpersonen hat man festgestellt, daß wir nicht alles gleich gut hören, und manches überhaupt nicht wahrnehmen. Wenn etwas laut ist, höre ich das Leise nicht mehr. Also, dachte sich der Erfinder, könnte man es doch getrost weglassen. Und genau das passiert bei den neuen Speichermedien wie MP3: Statt 4000 Millionen Zeichen werden einfach nur noch 3 Millionen Zeichen gespeichert – durch Datenkompression, welche ähnlich auch bei digitalen Bildformaten (JPEG) angewandt wird. Und schon passen in ein kleines Gerät über 400 CDs.
Wie so vieles hat dieses Verfahren aber auch den Nachteil, daß sich der gesamte Inhalt deutlich schneller kopieren läßt – ein Dilemma für die Musikbranche. Ein Ausweg daraus ist die Super Audio CD , die wieder ein vielfaches an Megabytes im Vergleich zur normalen CD hat. So will man das Kopieren für den Kopisten zeitaufwendiger, sprich uninteressanter machen.

Und dann gibt es da das Musikhören via Internet. Leicht gemogelt wird dem User vorgemacht, daß er Musik, meistens in schlechterer Qualität, da noch komprimierter, unbegrenzt hören kann, aber eigentlich kauft dieser nur das Recht, die Musik zu hören. So wird in Kürze nur noch der begrenzte Genuß möglich sein, zum Beispiel zehn mal den gleichen Song hören, dann geht es erneut ans Bezahlen.
Und die Puristen? Die haben ihre guten alten Schallplatten nicht auf dem Flohmarkt verkauft. Die brauchen keinen Wecker.

Achim Schollenberger


Das hörenswerte Referat Vom Wunsch, Musik zu konservieren – von der Schallplatte zu MP3 hielt Dr. Christian Pohl, Professor für Medientechnologie an der FH Heilbronn-Künzelsau, am 19. März im Rahmen der Veranstaltungsreihe Zauberspeicher im Museum im Kulturspeicher, Würzburg, präsentiert von der Würzburg AG.