Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und der Halbwelt
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Foto: Wolf-Dietrich Weissbach

Foto: Wolf-Dietrich Weissbach
Würzburg im Krimi-Rausch?

Würzburg ist überall

Krimis mit lokalem und regionalem Hintergrund erleben ein Boom sondergleichen: jeder Klein- und Kleinstverlag versucht seinen Teil vom wachsenden Krimi-Kuchen abzubekommen, jede Mittel- und Kleinstadt, jeder Stadtteil einer Großstadt hat seinen Privat- oder Hobbyermittler, das Verbrechen im überschaubaren Nahbereich hat Konjunktur wie selten. Längst sind neben die schon etablierten Vorreiter wie Jacques Berndorfs »Eifel-Krimis« eine kaum noch überschaubare Vielfalt von Reihen und Serien getreten, geschrieben und vermarktet nach dem immer gleichen Muster: Ein titelgebender Ermittler, zumeist in Gestalt eines etwas kauzigen Kommissars, gelegentlich auch eines Privatdetektivs, löst – auch das ist ein sich wiederholendes Stilmerkmal, denn Scheitern ist in diesen Fällen nicht vorgesehen – die ihm übertragenen Nachforschungen, unter Einbezug möglichst vieler örtlicher Anspielungen und Eigenheiten.
Oft bilden auch umstrittene kommunalpolitische Projekte und Entscheidungen die Folie für Verbrechen jeder Art, in denen Lokaljournalisten die für ihr jeweiliges Blatt nicht oder nicht mehr opportunen Ergebnisse langjähriger Recherchen im lokalen Filz literarisch verpacken. Der Regionalkrimi wird zum politischen Ersatz für eine immer weiter entpolitisierte Lokalberichterstattung der örtlichen Tageszeitungen und bezieht daraus seine Relevanz – und gelegentlich auch Brisanz –, die aber immer an den Grenzen der jeweiligen Kommune endet.

Dennoch haben es die Regionalkrimis in den letzten Jahren geschafft, selbst in die Programme renommierter Kriminalroman-Verlage wie Rowohlt und S. Fischer mit bundesweitem Vertrieb einzudringen – Ausdruck eher des ökonomischen als des literarischen Stellenwertes dieses Genres. Gerade der Niedergang der einstmals den Krimimarkt beherrschenden Schwarzen Reihe von Rowohlt korrespondiert spiegelbildlich mit dem Boom der Regionalkrimis. Darüber hinaus hat der im Sog der Erfolgswelle der Wallander-Romane von Henning Mankell ausgelöste Boom skandinavischer Krimis den hiesigen Markt gehörig durcheinander gewirbelt – meist zu Lasten der Verlage, die ehedem mit Übersetzungen aus dem Amerikanischen und Englischen den hiesigen Markt dominierten. Während von dort über Jahrzehnte hinweg neben den Klassikern – Raymond Chandler, Dashiell Hammet, Ross MacDonald und Cornel Woolrich – nicht nur die erfolgreichsten, sondern auch die literarisch besten Autoren übersetzt wurden, drücken mit der Flut erst skandinavischer, inzwischen auch russischer Krimis auch viele Bücher auf den deutschen Markt, die in ihren jeweiligen Ländern durchaus eine gewisse Akzeptanz finden, gemessen an den inhaltlichen und literarischen Standards des Genres aber viel Mittel-mäßiges und etliches Unterdurchschnittliches enthalten. In solchermaßen verwässertem literarischen Umfeld findet – und damit schließt sich der Kreis – dann auch die regionale und lokale Dutzendware ihren Platz und ihre Käufer.

Dennoch gibt es immer noch genügend Alternativen: Kriminalliteratur, die sich thematisch auf der Höhe der Zeit bewegt, von der Welt und den ihr zugrunde liegenden verbrecherischen Verhältnissen erzählt und zugleich große Literatur ist. Beispiele gefällig? Die wunderbar welthaltige, von Thomas Wörtche im Unions-Verlag herausgegebene und vorzüglich betreute metro-Reihe mit Autoren wie Jean-Claude Izzo, Yasmina Khadra, Jerome Charyn und Paco Taibo II oder Leonardo Padura. Oder die im Distel-Verlag wieder aufgelegten und teilweise neu übersetzten modernen französischen Klassiker von Jean-Patrick Manchette oder Jean-Bernard Pouy und der im neuen Zebu-Verlag herausgekommene Thriller »Total illegal« des amerikanischen Autors Norman Green. Und auch nicht erst mit seinem vierten Roman »Tiefer Schmerz« läßt der Schwede Arne Dahl alle anderen Skandinavier hinter sich. Während bei den deutschsprachigen Autoren nach wie vor kein Weg an den leider viel zu früh verstorbenen Ulf Miehe (1940-1989) und Jörg Fauser (1944-1987) vorbeiführt, dessen Romane »Rohstoff« und »Der Schneemann« im Rahmen einer wunderbaren Werkausgabe im Berliner Alexander Verlag endlich wieder zugänglich sind. Deren einzig legitimer Nachfolger ist immer noch der 1964 geborene Jakob Arjouni, dessen vorerst letzter Kriminalroman »Kismet« auch schon wieder vier Jahre alt ist.

Manfred Kunz


Weiterführende Literatur:
Siegfried Kracauer, Der Detektivroman. Ein philosophischer Traktat. In: Schriften I. Frankfurt/Main.1971.
Jochen Vogt (Hg.), Der Kriminalroman. Poetik – Theorie – Geschichte. München 1998. UTB 8147.
Klaus-Peter Walter, Reclams Krimi-Lexikon. Autoren und Werke. Stuttgart. 2002.