Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und der Halbwelt
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Foto: Wolf-Dietrich Weissbach

Krimi Buhl
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Rainer Greubel
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Günter Huth
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Roman Rausch
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Würzburg im Krimi-Rausch?

Wunderbare Verbrechen
in Würzburg

»Ernst ist das Leben,
heiter ist die Kunst« –

sagte Schiller, der fast schon als neuer Säulenheiliger auf die Alte Mainbrücke gehört, so sehr ist er inwischen zum Heros der Würzburger Germanistik geworden – heiter also sei die Kunst.
Was aber ist mit der Unterhaltung? Sie ist dem Leben doch »irgendwie« näher als die Kunst, schmiegt sich mehr an die Alltagserfahrung, auch wenn sie sich dann womöglich noch weiter von ihr entfernt.
Die Konjunktur der Kriminalgeschichten, die Omnipräsenz von Mord und Verbrechen in Roman und Fernsehen macht dieses Phänomen erst recht sichtbar. Nähme man in 200 Jahren für bare Münze, was uns diese Unterhaltungswelt vorgaukelt, unsere Nachfahren müßten einen wüsten Eindruck vom Zustand unserer Gesellschaft bekommen.

Inzwischen hat die Krimi-Welle auch Würzburg erreicht. Es gibt zwar keine überregional renommierte Literaten mehr in der Region, seit Walther von der Vogelweide, Max Dauthendey und Leonhard Frank, aber der Erfolg Würzburgs in zwei Nischenbereichen der Literatur ist unübersehbar und verblüffend: Drei Krimi-Autoren, Roman Rausch, Günter Huth und Rainer Greubel haben neuerdings den Weg in die Buchhandlungen geschafft, einer sogar über einen richtigen großen und berühmten Verlag sogar mit Krimi-Ruf (Rowohlt), und Asterix’ Unterfranken-Karriere ist geradezu sensationell.
In einer Stadt, in einer Region verankerte Krimis sind ja keine Neuerung mehr; schon vor 20 Jahren machte der Stuttgarter Kommissar Bienzle sein Glück, indem er alle möglichen neuralgischen, gesellschaftlichen Konflike in den regionalen Rahmen einbettete, vom Kampf gegen Atomkraftwerke bis zur organisierten Kriminalität. Und den fränkischen Krimi gibt es ebenfalls bereits: Tessa Körber hat schon mehrere ihrer Romane zwischen Erlangen und Bayreuth angesiedelt. Nicht zu vergessen die Autorin Krimi Buhl, Vorläuferin des Genres aus der Würzburger Umgebung vor beiläufig 10 Jahren.

Was aber hat Würzburg zu bieten?

Den meisten – wie dem Verfasser auch – wird die Kriminalstatistik nicht präsent sein, von Morden hat man allenfalls gehört, wenn in einem Milieu, über das der ordentliche Würzburger sowieso nicht viel weiß und wissen will, im Suff sich zwei massakriert haben, am besten noch in übel beleumundeten Häusern und Stadtteilen. Und sowieso: Die wunderbare Aufklärungsquote von Kapitalverbrechen rückt diese Sphäre noch weiter aus dem Beobachtungs- und Beunruhigungsfeld des normalen Lesers hinaus. Scheint es.
Deshalb haben die Würzburger Autoren, die ihre Verbrechen und deren Aufklärer in unserer Stadt ansiedeln, von vorneherein ihre eigenen Wege gesucht: Günter Huth etwa, im »Schoppenfetzer und der Tod des Nachtwächters«, mit seinem Kommissar Rottmann, begleitet von der Promenadenmischung Öchsle, nennt dessen Fälle skurril und hat sich damit ein Feld abgesteckt, das an der Realität nicht seinen Maßstab sucht. Roman Rauschs Kommissar Kilian hingegen – allein schon durch seinen Namen im Fränkischen verwurzelt – pflegt die Haßliebe zu seiner Herkunftsstadt und drückt sie ungeniert und unablässig grob aus. Er wurde zwangsversetzt, als Versager, der sich zu Höherem berufen fühlt, und läßt das seine Umgebung emotional und verbal ungeniert spüren. Und der dritte Autor, Rainer Greubel, baut einen Kommissar gar nicht so weit auf, daß der Leser sich mit ihm als prägender Figur wirklich identifiziern könnte. Da in seinem Roman »Kunstbanausen« zu einem Rundumschlag gegen einen signifikanten Teil der hiesigen freien Kulturszene ausgeholt und dabei ein gefährliches Spiel mit dem Typ ›Schlüsselroman‹ getrieben wird, eröffnet dieser Roman mit seinem hervorstechendsten »Würzburg«-Element unseren Reigen.

Die Kunst der Namen
Bei Kriminalromanen steht meist im Impressum schon die salvatorische Klausel: »Personen und Geschehnisse sind frei erfunden …«, nur in literarischen Exempeln kommt es zur Umkehrung wie in Bölls Verlorener Ehre der Katharina Blum, wo die Nähe zur Wirklichkeit geradezu eingefordert wird. In den »Kunstbanausen« ist die Zentrum nicht eigentlich eine Person, sondern die – wie der Roman insgesamt nahelegt – durch die Sünden der Baubehörden seit dem 2. Weltkrieg geschundene Stadt.
Bei dieser Nähe zum wirklichen Würzburg verschmäht der Autor, seine Phantasie auf kunstvoll ersonnene Namen zu verschwenden. Da gibt es Personen, die heißen wie in der Wirklichkeit, welche, die nur durch den Tausch einen Vokals verändert werden oder wo aus dem Gattungsbegriff auf eine Sorte verengt wird. Ein tückisches Spiel, denn zum einen gerät der Leser leicht in den bei Schlüsselromanen häufigen Sog, hinter den Romanfiguren die reale Person zu suchen und zu identifizieren, zum andern für bare Münze zu nehmen, was ein freches Spiel mit Anklängen und Anspielungen ist. Das ist auch deshalb tückisch, weil für den Würzburger Leser die Neugierde vielleicht über sprachliche und erzählerische Schwächen hinwegträgt, den auswärtigen aber diese Defekte um so schneller erlahmen lassen dürften. Und der baugeschichtliche Redeschwall ist in seiner Ziseliertheit nicht weit von manchem sonntäglichen Elaborat der Werbeblätter …

Roman Rausch wiederum lenkt die Aufmerksamkeit anders. Sein Kommissar heißt bodenständig Kilian, sein Helfer Heinlein, und nur beim verachteten Vorgesetzten schlägt der anti-oberbayerische Affekt durch, mit dem schönen Namen Oberhammer – der Herr ist denn auch danach. Im übrigen zeigt sich nur die Weltläufigkeit des Autors, wenn mit italienischen und russischen Namen jongliert wird wie den sinnigen Galina und Pendini.
Günter Huth benennt Herr und Hund geradezu gegen den Strich: der Hund heißt, was des Herrn Lebenselixier ist, und der Herr hat Anklänge an eine Hunderasse, der freilich nicht die Gemütlichkeit nachgesagt wird, die dieser pensionierte Kommissar ausstrahlt.

Genius loci
Die altehrwürdige Stadt, von der so wenig der 16. März und die fünfziger Jahre übriggelassen haben, die Universitäts-, Beamten- und Regierungsstadt – wie weit spielt sie selbst, ihre Atmosphäre in den Kriminalgeschichten eine Rolle? Die Topographie, die Cafés und Bäcks könnte man an einem Stadtplan verfolgen, und in manchen Romanen stehen die originalen Namen sogar in Kursivschrift. Nur garantiert das ja noch lange nicht das Flair eines Lokals.
Wenn Roman Rausch den »Kulturhistorischen Verein zur Pflege und Förderung mainfränkischer Lebensart« sich treffen läßt, so gleichen Szenerie und Geschehen eher dem Komödienstadl als den vertrauten Wein-Exzessen in Würzburger Lokalen. Und daß da von Sezierorgien genußvoll berichtet würde, weil das so prächtig unterhält – sind das nicht eher Phantastereien aus den ersten Semestern von Medizinstudenten? Wie makaber eine solche Szenerie aufgebaut werden kann und welche durchschlagende Wirkung die Beteiligung eines Metzgers hat, das ist ein glanzvolles Beispiel schlechten Geschmacks.
Zu dick, vor allem aber zu plump aufgetragen wird aber auch bei der Karikatur des Vereinslebens, in der vermutlich nicht einmal ausgebuffte Vereinsmeier sich wiedererkennen können. Viel eher gewinnt Huths Bruderschaft im Maulaffenbäck Kontur, wo gesüffelt, geschwiegen und ›gebrummelt‹ wird. Daß Rausch seinen Kommissar im Maritim absteigen läßt, hat ja auch mehr mit der gespaltenen Beziehung zu Würzburg zu tun und seiner Sehnsucht nach der weiten Welt als mit seiner Verankerung im Fränkischen. So wechseln sich in seinem ersten Roman die Schauplätze von dem Porto Vecchio in Genua über den Frankfurter Flughafen bis zur Ettstraße in München, und die Residenz, in der der erste Mord geschieht, bekommt Lokalfarbe am ehesten in Beschreibungen des Deckenfreskos, wie sie jeden Reiseführer zieren könnten.

Verwegen geht es demgegenüber in den »Kunstbanausen« zu, wo als erste Schüler in einem Unterrichtsraum vom Tod ereilt werden, ein Geschehen, dessen Beschreibung und Situierung reichlich unglaubwürdig bleiben. Atmosphäre teilt sich dem Roman schon deswegen nicht wirklich mit, weil viel zu viele Passagen von papierener Trockenheit sind und eher schlechten Leitartikeln zu entstammen scheinen.

Die Fälle
Fantastisches ist Würzburg gerade gut genug. Kiliansschwerter, geheime Bruderschaften von geradezu verschwörerischem Charakter, Geschwistermord, Größenwahn – manche Geschichten sind wild zusammengestrickt.
Schade, daß so wenig Originelles – oder Bodenständiges – die Geister umtreibt. Es ist ja nicht so, daß den Leser nicht Phantasien zu beschäftigen vermöchten, die aus realen Quellen sich speisen. Wo sind die Romane um »stehengebliebene Koffer«, undurchschaubare Bauentscheidungen oder tatsächlich unaufgeklärte Morde wie den vor vielen Jahren in den Parkanlagen oder der Giftmord im Studentenheim. Einen Philipp Marlow hätte das bestimmt mehr gereizt als Fälle, die Abenteuergeschichten streifen.

Die Ermittler
Am eindeutigsten, am konventionellsten arbeitet Günter Huth mit seinem Kommissar. Rottmann ist pensioniert, hat damit auf der einen Seite noch Zugang zu den Personen, die ihm aus seiner früheren Dienstzeit bekannt sind und helfen können, andererseits genügend Distanz, um unabhängig von Dienstwegen ermitteln zu können. Allerdings ist ihm eine Behäbigkeit eigen, wie sie vielleicht dem Mitglied einer Weinbruderschaft ziemt, aber beim Leser kein Kribbeln auslöst. Am besten sieht man das an seinem Verhältnis zur Putzkraft – Elvira! – im Rathaus, deren Avancen mit rotem BH sich zu entziehen, die höchste erotische Ausstrahlung dieses Verhältnisses ausmacht. Leicht kann man sich das diebische Vergnügen vorstellen, wenn Rottmann durch einen selbstprogrammierten Anruf sich aus einem Tête-à-tête mit ihr befreien läßt – so als sei das eine Heldentat und täte seiner erotischen Attraktivität keinen Abbruch. Selbst dem Fernseh-›Alten‹ stünden da sicher raffiniertere Verhaltensweisen zu Gebote. Biederkeit kann sympathisch sein, ist vielleicht für Würzburg sogar die am ehesten angemessen Variante – von schillernd-faszinierendem Glanz ist sie nicht. Und leider auch nicht von einer düsteren Färbung, wie man sie sich von einem Kommissar wünschen mag, der ein ganzes Kriminaler-Leben hinter sich hat.

Rainer Greubels »Kunstbanausen« konzentrieren sich nicht wirklich auf eine Ermittlergestalt. Hervorsticht vor allem, daß es um Karriere und Konkurrenz geht. Dem andern eine auswischen, besser dastehen, nach oben kommen, das treibt die Ermittler. Eine konsistente Gestalt erhalten sie so aber nicht.

Roman Rauschs Kommissar Kilian prangt als einziger schon auf dem Titel der Bücher: er ermittelt. Tatsächlich tut er das nicht allein, und schon gar nicht ausschließlich in Würzburg. Im ersten Roman, »Tiepolos Fehler«, wird er erst einmal weitläufig eingeführt als europaweit agierender Kommissar, im Kampf mit international gesuchten Kriminellen in natürlich äußerst dubiosen Geschäften. Versteht sich, daß Kilians Beziehungen und Bekanntschaften sich nicht aufs alte Europa beschränken, beiläufig fällt sogar der Name Willian Gaddis’ als eines Vertrauten. Da soll doch tatsächlich die große Kultur ins provinzielle Würzburg abstrahlen. So hat Kilian im Roman keine Schwierigkeiten, unter dem klangvollen Namen Hubertus von Schönborn in der Familie Castell unterzuschlüpfen – aufklärungstaktisch, versteht sich –, italienisch, wenigstens rudimentär, zu parlieren und wie selbstverständlich Armani-Anzüge zur Schau zu stellen.
Ein feiner Mäx. Kein Wunder, daß er nicht nach Würzburg strafversetzt werden will und mit aller Macht und unter Aufbietung aller vielfältigen Beziehungen wieder wegstrebt. Verglichen damit ist seine Unfähigkeit, seiner Mutter angemessen zu begegnen, nachgerade rührend, um nicht zu sagen pennälerhaft unsouverän. Leider hat der Charakter Kilians noch mehr blinde Flecken dieser Art: so ist sein Umgangston von einer holzschnittartigen Undifferenziertheit. Am liebsten äußerst er sich rauhbeinig bis unverschämt, es sei denn, er habe grade erotische Absichten. Und da schreckt er so leicht vor nichts zurück.

Überhaupt wird ungewöhnlich viel gebrüllt, und die üblicherweise latente Sexualität beherrscht die Gedanken und Phantasien der Männer bei jeder nur denkbaren Gelegenheit. Besonders pikant die Verabschiedung eines alten Kollegen, bei der sich manches ungewohnt entfesselt und der Pensionist als letztes, bevor er verschwindet, von Ferne den Schlachtruf »Ausziehen« hört – aus einer deutschen Amtsstube! In Würzburg!
Viel spricht dafür, daß Kilian nach einem Muster gestrickt ist, das mehr mit Jerry Cotton als mit Bienzle zu tun hat. Und daß ihm gutgetan hätte, hätte ein Lektor die Auswüchse beschnitten. Die Vorgabe der rororo-triller von einst, eine Geschichte auf circa 126 Druckseiten abzuwickeln, hatte gewiß ihr Gutes …

Die Kunst soll heiter sein, hatte es am Anfang geheißen. Die Würzburger Unterhaltung ist, wenn man sie an ihren Krimis beurteilt, eher diesig, wie das Wetter hier so häufig, und man muß befürchten, daß darin mehr Feinstaub ist, als dem Leser und der Stadt wirklich zuträglich ist.

Berthold Kremmler


Krimi Buhl: Eiskalte Bescherung. ECON TB 1995, NA 1997, vergriffen — Giftige Nachbarn. ECON TB 1997, vergriffen

Roman Rausch: Tiepolos Fehler. Kommissar Kilian ermittelt. Rowohlt TB 2003 — Die Zeit ist nahe. Kommissar Kilians dritter Fall. Rowohlt TB 2004

Günter Huth: Der Schoppenfetzer und der Tod des Nachwächters. Würzburg, Peter Hellmund 2004 — Der Schoppenfetzer und das Rotweingrab. Würzburg, Peter Hellmund 2004

Rainer Greubel: Die Kunstbanausen. Ein Kriminalroman zwischen Fiktion und Realität. Würzburg, Rainer Greubel 2004.

Die fettgedruckten Titel dienten dem Artikel hauptsächlich als Basis.