Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und New York
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Die fast bald ziemlich weiße Frau.
Foto: Wolf-Dietrich Weissbach

Wo die Teufel ertrinken

Schon im Schüler-Malkasten fand Wolfgang Ullrich das Weiß merkwürdig entrückt. Es war nicht eingereiht in die Näpfchen mit den bunten Farben, sondern lag in einer Tube verschlossen am Rande. Es schien »irgendwie anders«.

Als Kunsthistoriker hat Ullrich diese kindliche Intuition mehr bestätigt als dementiert. Davon zeugt schon seine Einleitung in den Sammelband »Weiß«, den er unlängst gemeinsam mit der Literaturwissenschaftlerin Juliane Vogel herausgegeben hat. Ullrich skizziert dort eine kurze Geschichte dieser Farbe und zeigt dabei, wie sie eine »Sonderstellung« gewann und wieder verlor. Sie hatte lange als »Negation der Farbigkeit« gegolten oder als »Summe aller Farben« und war damit vom Verdacht der Oberflächlichkeit befreit, der gegen das Bunte erhoben wurde. Weiß, schreibt Ullrich, sei ein »Gewinner jener Chromophobie« und durch die Klassik um 1800 noch veredelt worden.

Im Barock hatte Weiß schon im Ensemble mit Gold und Braun eine Rolle gespielt und sich auch partiell verselbständigt. Besonders augenfällig wird das im »weißen Saal« der Würzburger Residenz. Er ist freilich nicht ganz weiß, sondern überreich mit Stuck ausgestattet, der sich von einem lichtgrauen Hintergrund abhebt und durch Lichtreflexe in dem hoch gewölbten Raum plastisch hervortritt. Die weißen Stuckaturen prägen den Gesamteindruck, aber wieder nur im Kontrast in der Raumfolge. Zwischen dem farbenprächtigen Treppenhaus und dem goldglänzenden Kaisersaal wirkt der weiße Saal als coloristische Zäsur – als farblose Pause.

Daß auch der Marmor der Antike farbig bemalt war, die »weiße Klassik« also auf einem Mißverständnis beruhte, ist schon kurz nach 1800 entdeckt worden. Damit begann die Egalisierung der Farben. Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie vermessen und normiert, im 20. Jahrhundert zu leicht variierbaren Kaufanreizen degradiert. Dabei sind Überhöhungen abgeschliffen, Hierarchien abgebaut und Codes gelockert worden. Inzwischen sei es unüblich, meint Ullrich, Farben zu bewerten. Alle würden nun »erstmals grundsätzlich gleichberechtigt behandelt«. Weiß gelte deshalb als eine Farbe wie jede andere und sei ein »Verlierer dieser Entwicklung«.

Diese Bilanz hat die Herausgeber zu der Frage motiviert, welche »Orte« heute noch von Weiß besetzt sind. Darauf reagierten die gut ein Dutzend Autoren mit Beiträgen und Bildfolgen, die überaus interessante Einblicke in die Kulturgeschichte gewähren. Der Kunsthistoriker Walter Grasskamp hat sogar eine kleine und geradezu spannende Monographie geliefert. Darin enthüllt er, daß sich der weiße Ausstellungsraum – der »white cube« – um 1900 aus einem eher praktischen Grund durchgesetzt hatte. Die wohnraumähnlichen und oft farbenprächtigen Präsentationsräume des 19. Jahrhunderts waren noch für Dauerausstellungen angelegt. Der weiße – neutrale – Hintergrund machte dagegen die flexible Hängung möglich. Das Museum, schreibt Grasskamp, »kapitulierte vor seiner eigenen Dynamik; die Unruhe der Moderne erreichte ihre Speicher«.

Auch die nationalsozialistische Kunstpolitik widersprach nicht dem »white cube«. Sowohl die Ausstellung »Entartete Kunst« als auch die »Große deutsche Kunstausstellung« – die Gegenveranstaltung – bedienten sich des modernen Konzepts. Trotzdem konnte der Unterschied kaum größer sein. Im ersten Fall unterstützte Weiß laut Grasskamp die denunziatorische Absicht, im zweiten Fall trug es zur Inszenierung einer beinahe sakralen Stimmung bei. In dieser so gegensätzlichen Wirkung tritt ein Aspekt zu tage, der von Ullrich nicht explizit thematisiert wird, der aber in anderen Beiträgen noch deutlicher durchbricht. Das ist die Offenheit des Weißen für Projektionen unterschiedlichster Art.

Viele davon haben sich sprachlich verfestigt: Vom Weißen Sonntag über die weiße Weste, den weißen Tod bis zum weißen Blatt, der leeren Seite, die der Kulturwissenschaftler Thomas Macho zum Thema gemacht hat. All diese Wortprägungen binden das symbolische Kapital, das in diese Farbe wie in keine andere investiert wurde. Man hat göttliches Licht darin gesehen, engelgleiche Reinheit und kindliche Naivität, aber auch Leere, Kälte und Sterilität. Die Literaturwissenschaftlerin Gisela Steinlechner findet sogar den alten Abwehrzauber noch, der mit dem Spruch mobilisiert wird: »In der reinen Milch müssen die Teufel ertrinken.« Inzwischen, meint sie, täusche das hygienische Weiß aber eher darüber hinweg, daß Milch ein Körpersaft wie Blut, Speichel und Sperma sei.

Ingesamt neigt sich die Symbolik zum Lebensfernen, – fremden, -feindlichen. Dem »gesteigerten Weiß« folgt oft das Amorphe, die Erstarrung, der Tod. Auf diese abschüssige Bahn hatte sich Thomas Mann im »Schneekapitel« seines Romans »Der Zauberberg« begeben, das Juliane Vogel in ihrem Beitrag über »Weißeinbrüche in der Literatur« analysiert. Die berühmten Weißblondinen in Hollywood waren noch weiter gegangen. Sie erschienen gleichzeitig naiv und extrem künstlich und erweckten damit – wie die Medienwissenschaftlerin Michaela Krützen zeigt – die widersprüchlichsten Assoziationen. Jean Harlow wurde zum Beispiel als »Engel aus der Hölle« bezeichnet. Sie starb mit 26, Marilyn Monroe mit 36 – ihr gebleichtes Haar glich zuletzt »gesponnenem Glas« und war längst zerstört.

Damals war Weiß schon in die Wohnräume vorgedrungen, wie Ullrich in einem Beitrag über Architektur schildert; inzwischen hat es sich nach außen gewandt und auf Fassaden verselbständigt. Mit diesem »Siegeszug« – so Ullrich – ende vorläufig die Karriere, wie sie begonnen habe: mit einem Mißverständnis. Die geweißten Zweckbauten und Fachwerkhäuser findet er durchgehend problematisch und bekennt sich dazu, daß diese Farbe eben doch nicht beliebig applizierbar und restlos zu egalisieren ist. Sie bleibt schon physikalisch und wahrnehmungspsychologisch nicht nur »irgendwie anders«, sondern definitiv verschieden: lichtvoller, strahlender und provozierend durch eine jungfräuliche Attitüde.
Das scheint – wie Juliane Vogel anmerkt – auch die Besucherin eines Museums empfunden zu haben, die ihre rot geschminkten Lippen auf eine Studie in Weiß gedrückt hatte. Sie habe das Bild nicht beschädigen wollen, gab sie zu Protokoll:
»I improved it.«
Helmut Klemm


Farblose Pause
Ab 25. März ist die Würzburger Residenz wieder von 9 bis 18 Uhr geöffnet; derzeit noch von 10 bis 16 Uhr. Jede Führung macht eine »farblose Pause« im »weißen Saal«.