Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und New York
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Gemälde von Peter Stein für das Western Washington Cancer Treatment Center, USA.
Foto: privat

Peter Stein.
Foto: Wolf-Dietrich Weissbach

Das Olympia-Projekt
von Peter Stein

Da soll mal einer sagen, unterfränkische Künstler kämen zu Lebzeiten nie außerhalb ihres Provinznests zu Ehren!

Zwar verdankte der Maler Peter Stein den ersten Auftrag in den USA einer persönlichen Verbindung. Aber die weiteren zwei wären nie erfolgt, wären die Auftraggeber von dem ersten Ergebnis nicht so angetan gewesen. Die einzige Einschränkung, die der Künstler bei der Ausgestaltung des »Western Washington Cancer Center« hinnehmen mußte, war: »no skulls« – keine Totenköpfe. Vanitas-Stilleben mit den an die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnenden Symbolen wollte man den Patienten der privaten Krebsklinik nicht zumuten.

Ab 1996 hing dann also im Warteraum des aus vier Häusern bestehenden Therapiezentrums in Olympia, der Hauptstadt von Washington State an der Westküste der USA, nördlich von Oregon und Kalifornien gelegen, ein riesiges, ungefähr zwei Meter auf zwei Meter vierzig großes Triptychon des Unterfranken. In nur drei Wochen ununterbrochener Arbeit hat Peter Stein das große Ölbild, eine Interieurszene, flankiert von einer Kohlezeichnung (Selbstporträt im Spiegel) und einem Gedicht von Walt Whitman (»On the beach at night alone«) fertiggestellt. Und das, obwohl der Künstler ohne irgendeine Motivvorstellung in die Staaten geflogen war.

Geschluckt habe der Chefarzt dann schon, als er seinen Plan erläuterte, unbedingt den großen, pechschwarzen Flügel, der den Warteraum beherrschte, malen zu wollen. Zuviel Schwarz macht sich in einem Krankenhaus schlecht. Aber man ließ den Künstler gewähren, und man vertraute ihm.
Was andere nicht sahen, fiel dem Künstler beim Begutachten des Raums sofort ins Auge: Die glänzende Oberfläche des Instruments fungierte wie ein Spiegel, der alle Farben in sich aufnahm. Das Schwarz löste sich förmlich auf. »Es war nicht mehr zu unterscheiden, was Flügel und was Spiegelbild war«, so Peter Stein.

Wer die Arbeitsweise des Malers mit den kompliziert ineinander verschränkten Farbflächen aus Licht- und Schattenpartien kennt, kann sich vorstellen, daß die Motivfolge Flügel, Blumenbouquet und der Blick durchs Fenster auf die Natur wie für ihn gemacht schien.
Auf die geliebte Pastellkreide mußte er wegen der Schwere des benötigten Glasrahmens aber verzichten. Stattdessen malte er in Öl, worin er sich unerfahren fühlte. »Ich bin mir wie ein Pionier vorgekommen«, meint Peter Stein. »Weit weg von hier im öffentlichen Raum in einer neuen Technik zu arbeiten, das hatte einen ungeheueren Reiz.«

2001 war Peter Stein erneut in den Staaten; er hatte den Auftrag angenommen, im Privathaus des Chefarztes eine große Wandfläche über zwei Treppen hoch mit einem Triptychon zu schmücken. Diesmal wählte er ein Blumenstilleben in Öl, das von einer Kohlezeichnung (Motiv: ein Nike-Torso seines Kollegen Günther Berger) und einem hellblauen, monochromen Feld flankiert wird. Die Zeit wäre womöglich in dreiwöchiger intensiver Arbeit ähnlich verflogen wie fünf Jahre vorher. Dann kam der 11. September.

Peter Stein erinnert sich an »eine völlige Fassungslosigkeit« im Lande. Es sei sofort zu spontanen Anti-Kriegsdemonstrationen gekommen, was man hier nicht wahrgenommen habe. »Es gibt in den USA durchaus eine kritische Distanz«, meint er.
Private Ausflüge, z. B. nach San Francisco, werden ihm unvergeßlich bleiben: Beim Abflug in Seattle überall Leute mit Maschinenpistolen. Und ausgerechnet er wird von der Flughafenkontrolle herausgewunken, weil er ein kleines Scherchen in der Tasche hatte. »Das war sehr unangenehm.«

2004: Weil das »Western Washington Cancer Treatment Center« aus den alten Gebäuden ausziehen mußte und nicht weit davon entfernt eine neue Anlage gebaut worden war, erhielt erneut der Würzburger Künstler den Auftrag, den stark frequentierten Eingangsbereich der neuen Klinik zu gestalten, womit eine sieben Meter lange, gekrümmte Wand gegenüber dem Besucherkontor gemeint war.

Der Künstler meisterte diese schwierige Aufgabe mit der Ausarbeitung dreier 150 mal 50 Zentimeter großer, extremer Hochformate, zweier mittelgroßer Formate dazwischen und einer Anzahl kleinerer, quadratischer, monochromer Flächen, die er in einer Wellenbewegung anordnete.
Auch diesmal alles in Öl. Die Formate waren den Gegebenheiten vor Ort, der Krümmung der Wand, der Unmöglichkeit, in diesem Gang Distanz zur Kunst zu wahren, geschuldet.

Motivisch schien der Maler das aufzusaugen, was ihn umgab: die Pazifikküste, Meer und Muscheln, die Vegetation wie z. B. den dort typischen »Matronatree« mit der orange leuchtenden, hautähnlichen Rinde, ein japanisches Teehaus, eine Dschunke, die einmal, »und als ich darauf wartete, nie wieder« vorbeisegelte.
Fünf Wochen lang stand Peter Stein sehr früh auf – »sonst nicht meine Zeit, aber später waren es dann ca. 40 Grad« – um in der Natur zu malen. Zwei Wochen brauchte er allein für einen üppigen Mimosenbaum, erzählt er. Fünf Wochen Arbeit waren es insgesamt.

Das hohe Bildformat bot sich für Landschaftsdarstellungen an, die der Künstler, der bisher Stilleben, Akte, Porträts und politisch engagierte Arbeiten bevorzugte, vorher nur »sehr peripher« gemalt hatte.
Peter Stein war glücklich über die dreimalige ungewohnt anspruchsvolle, künstlerische Herausforderung. »Das brauche ich«, sagt er. Dazu kam der eigene Ehrgeiz, eine Arbeit abzuliefern, die »lange und öfters angeschaut werden kann«. Er habe es »als großes Geschenk empfunden, für eine Zeit lang aller alltäglicher Sorgen enthoben zu sein und sich nur auf eine Sache, die Arbeit, konzentrieren zu können«.

Die Erfahrungen haben Spuren hinterlassen. Denn jetzt, wieder zu Hause, will er in der Öltechnik weiterarbeiten. Er tendiere »weg vom Trockenen zum Öl«. Trotzdem ist die Pastellkreide mit ihrer hohen Leuchtkraft und »Buntheit im besten Sinne« nicht vergessen.
Das fast fertige Stilleben »Hommage à Chaplin« auf der Staffelei bedarf nach Meinung des Künstlers noch ein paar Arbeitsstunden. »Es ist in keinem vorzeigbaren Zustand«, meint er bescheiden und schmaucht an seiner Pfeife.
Angelika Summa


Peter Stein
am 18.09.1952 in Veitshöchheim geboren; Studium der Germanistik und Kunstpädagogik in Würzburg, Berlin und Nürnberg. Seit 1982 freiberuflicher Maler. Lehraufträge an der Uni Würzburg, der Volkshochschule Würzburg und der Akademie für Gestaltung und Denkmalpflege (Ebern); zahlreiche Ausstellungen u.a. mit Günther Berger, Frankfurt, Joachim Koch, Kleinrinderfeld, und Dieter Stein, Würzburg.