Nummer – Zeitschrift für Kultur in Herbipoli et Armoricae
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Foto: Wolf-Dietrich Weissbach
Und zum Schluß:

Eine kleine Geschichte

Das kleine Känguruh hat zu Hause aufgeschnappt, daß die Mutter in den nächsten Tagen ein Fest mit »G« feiern möchte. Mit »G«? Was kann das sein? Mit seinem Freund, der Springmaus, ist dieses Rätsel schnell gelöst: Geburtstag. Schon steht der Entschluß fest: Der Mutter wird ein Kuchen mit zuckersüßen Beeren gebacken.
Also müssen Beeren gesucht werden. Die Springmaus besteht allerdings darauf, daß auch ihr Freund der Angsthase mit auf die Suche genommen wird. Natürlich muß der Angsthase erst mit viel Mühe dazu überredet werden, denn so eine Bärensuche ist bestimmt gefährlich. Schließlich aber sieht auch der Angsthase ein, daß eine Beerensuche wohl doch nicht so gefährlich ist, aber für alle Fälle packt er seinen Notfallkoffer. Die drei Freunde machen sich auf den Weg.

Unterwegs kommen sie bei einem Hofhund vorbei. Der will sich ihnen zwar nicht anschließen, weil er unbedingt schlafen muß, aber er weiß, wo sie Beeren im Wald finden können. Wie nicht anders zu erwarten, hat der Angsthase fürchterliche Bedenken, und prompt stolpern die Freunde über eine Schlange. Die entpuppt sich sogleich als gar nicht gefährliche, kleine Schlapperschlange und beteiligt sich sofort an der Suche nach den Beeren.
In einer tiefen Schlucht entdecken sie endlich wunderschöne, rote Himbeeren. Doch wie sollen sie an die ran kommen? Die Schlange hat die zündende Idee: Sie läßt sich, von den anderen am Schwanz gehalten, in die Schlucht hinab. Da passiert es: Schlange und Springmaus stürzen in die Schlucht, und jetzt müssen natürlich zunächst die Freunde gerettet werden.

Nun erweist es sich doch als gut, daß der Angsthase seinen Notfallkoffer mitgenommen hat, und er hat auch den rettendenden Einfall: Ein Schirm – aus dem Notfallkoffer – wird aufgespannt, wird an eine lange Mullbinde – aus dem Notfallkoffer – gebunden und in die Schlucht hinabgelassen. Springmaus und Schlange steigen in den Schirm, natürlich vergessen sie die Himbeeren nicht, und das kleine Känguruh und der Angsthase ziehen sie nach oben. Happy End?
Fast! Denn diese kleine Geschichte passierte am 28. Januar im Hörsaal der Universitäts-Kinderklinik in Würzburg vor vielen kleinen Patienten. In sieben Bildern, die sich blütenartig öffneten und schlossen, hatten die Spieler der Augsburger Puppenkiste mit dem »Mutmachstück« von Paul Maar »Das kleine Känguruh und der Angsthase« ihre Zuschauer – Kinder, Eltern, Klinikpersonal – in ihren Bann gezogen.

So eindringlich und auf die Macht der Fantasie vertrauend (die Spieler standen nicht etwa hinter einem Vorhang, und jeder sah, wie sie die Marionetten zum Leben erweckten), daß am Ende die kleinen Patienten der Klinik an die provisorische Bühne stürmten – selbst wenn sie langsam geführt werden mußten –, um die Helden des Stücks ganz nah zu betrachten und zu streicheln … behutsam, zart und vorsichtig, als wären sie lebendig. Das ist jetzt das »Happy End«.
Nebenbei: Wenn ich König von Deutschland wär’, würde ich einige Leute von Zeit zu Zeit zu solchen Veranstaltungen zwangsverpflichten – mir fielen da wirklich viele ein. Andererseits: Womöglich würden die trotzdem nichts kapieren.

Wolf-Dietrich Weissbach