Nummer – Zeitschrift für Kultur in Herbipoli et Armoricae
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Foto: Akimo
Künstlergespräche:
Hans-Jörg Glattfelder (Paris)

»Sie müssen noch einen ernsthaften Beruf lernen …

… werden Sie Architekt. Ich male auch nur sonntags.«
Der junge Hans-Jörg Glattfelder hat den gutgemeinten Rat seines arrivierten Kollegen Max Bill nicht befolgt. Er ist nicht Architekt geworden. Auch hat er versucht, unter der Woche zu malen. Eine gute Entscheidung. Denn nun gehört der mittlerweile 65jährige Künstler selbst zu den bekannten Vertretern der Konkreten Kunst. Seine Werke haben ihren Platz in großen Sammlungen gefunden.
Sein Grenzgänger ist so etwas wie ein Publikumsliebling in der Sammlung von Peter C. Ruppert im Würzburger Kulturspeicher. Von den Betrachtern mittlerweile zum »fliegenden Teppich« umbetitelt, spielt er brilliant mit unserer Wahrnehmung, und warum dies so ist, wollte er bei einem Künstlergespräch erläutern.
Kurz mal von Paris herübergekommen, berichtete er über seine »Metaphern«, seine in Bildern sichtbaren Streifzüge im nicht-euklidschen Raum.

Schon die Ägypter beschäftigten sich mit der »Raumlehre«, der angewandten Geometrie, um ihre berühmten Pyramiden zu bauen oder um nach Überschwemmungen des Nils die Grenzlinien nachzuziehen. Doch erst die Griechen setzten sich auch theoretisch mit der Geometrie auseinander und begannen mit gedachten Punkten, Linien, Kurven, Ebenen und Körpern zu arbeiten. Euklid, ihr um 300 v. Chr. in der Metropole Alexandria lebender Landsmann, verhalf der Raumlehre zu ihrer eigentlichen Bedeutung. In seinem berühmten Werk »Elemente« faßte er die bis dato gefundenen Erkenntnisse zusammen. Es wurde zum erfolgreichsten Lehrbuch, welches je verfaßt wurde, und ist in modifizierter Form auch heute noch in Gebrauch.
Ausgehend von Axiomen, Aussagen, die so selbstverständlich waren, daß sie nicht bewiesen werden mußten, begründete er die nach ihm benannte »euklidsche« Geometrie. Vor alIem das fünfte Parallelaxiom wurde berühmt. Dieses fordert, daß für jede beliebige Gerade und für jeden beliebigen Punkt, der nicht auf dieser Gerade liegt, eine eindeutig bestimmbare Gerade existiert, die durch diesen Punkt geht oder die die erste Gerade nie schneidet. Kompliziert?

Was heißt nun aber »nicht-euklidisch«?
Die Unterscheidung ist, daß hier das Parallelaxiom nicht gilt. Das bedeutet aber nicht, daß es falsch sei. In der nicht-euklidschen Geometrie gilt, daß es durch einen Punkt außerhalb einer Geraden nicht nur genau eine Parallele gibt (es gibt entweder keine oder mehrere Parallelen). Es ist auch erlaubt, daß sich Parallelen schneiden. Ein Beispiel dafür wäre die zweidimensionale Geometrie auf einer Kugeloberfläche oder die Geometrie des Raumes der Allgemeinen Relativitätstheorie. Kompliziert!
Hans-Jörg Glattfelder gestaltet in seiner Werkserie gekrümmte Räume, die der gewohnten Würfelform als Raumvorstellung widersprechen. Die kürzeste Verbindung zweier Punkte ist eben keine Gerade, sondern eine gekrümmte Linie. Immer noch kompliziert?

Mit einer gehörigen Prise Witz erläutert der 1939 in der Schweiz geborene Künstler Bilder und ihre Entstehung. Fast so wie die Ägypter wurde Glattfelder mit Pyramiden bekannt. Wie ein Kleinindustrieller hat er Ende der 60er Jahre dreidimensionale Reliefbilder nach Maß gefertigt. Als »Plakatkleber quasi« hat er manches volkstümliche Fest mit Konkreter Kunst dekoriert, wie er unumwunden zugibt. Das Ende seiner Kunst für die Allgemeinheit kam dann bezeichnenderweise mit einer Dekoration für eine Bank. »Auch ein Künstler muß schließlich von etwas leben.«
Leider wurden seine »Pyramiden« auch fleißig geklaut. Auch heute noch begegnen Glattfelder seine künstlerischen Ideen in der Werbung und manchem Kalender. Was soll er machen? Er sei eigentlich für die Verbreitung von Geist und außerdem sei das geistige Eigentum schwer zu beweisen, erzählt er, und trägt es mit gelassenem Humor.
Seiner Kunst haben die Raubzüge nicht geschadet.
Neue Problemstellungen wurden zur Herausforderung. Eine große Befreiung war nach den Reliefbildern der Versuch, die Thematik des Sehens einer Fläche und eines Raumes zu visualisieren. »Ich wollte in meine Bilder einbringen, daß die Rechtwinkligkeit keine zwingende Raumvorstellung sein muß. Die Arbeiten werden zu Denkvorschlägen, wie der Raum sein kann – Metaphern eben. Theorien der Mathematik werden zu Malerei.«
Das Auge sieht, das Gehirn interpretiert. Und so öffnet sich der Raum der verblüffenden Wahrnehmung. Doch die Abkehr vom rechten Winkel ist provokant, zumindest, wenn man im Bereich der Konkreten Kunst arbeitet.
So wird Hans-Jörg Glattfelder selbst zum Grenzgänger. Ganz wie sein in Würzburg präsentes Kunstwerk.

Achim Schollenberger

Die Reihe Künstlergespräche ist eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Freundeskreis Kulturspeicher e.V.

Nächster Termin:
Donnerstag, 21.4.05, 19.30 Uhr mit Martin Willing, Köln.

Ort: Museum im Kulturspeicher
Veitshöchheimer Str. 5
97080 Würzburg

www.kulturspeicher.de