Nummer – Zeitschrift für Kultur in Herbipoli et Armoricae
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Fotos: Ralf Schuster

Die Perfektion des Dilettantischen

Ralf Schusters Schmalfilme beim 31. Internationalen Filmwochenende in Würzburg

Mit dem frühen Einbruch der Dämmerung veröden die Straßen der kleinen Stadt vollends. Der bitterkalte Wind, der über den schwarzbraun verfärbten Schneematsch bläst, verjagt noch die letzten trüben Erinnerungen an einen schon halb vergessenen Tag.
Der Fluchtpunkt für den, der sich nicht vom tristen Einerlei des provinziellen Alltags in die hinter dunklen Fenstern kleiner Häuschen lauernde Bettengruft hinabziehen lassen will, liegt am Rande von Ochsenfurt. Eine verrostete, knarrende Eisentür führt ins nur spärlich beleuchtete, noch spärlicher beheizte Innere einer alten Mühle, in dem um die zwanzig dick vermummte Gestalten im Qualm selbstgedrehter Zigaretten, die Öchsner-Flasche in der Hand, mit verhaltenem Vergnügen eine durchaus bizarr zu nennende Darbietung eines nicht minder bizarr aussehenden musikalischen Quartetts verfolgen: Ein Bassist im selbstgestrickten, türkisfarbenen Pullover lächelt beglückt ins Publikum. Ein spindeldürrer Gitarrist und eine spindeldürre Keyboarderin in abgerissenen, punkigen Klamotten bearbeiten mit ernsthafter, etwas unterkühlt wirkender Leidenschaft ihre Instrumente.
Inmitten dieses Szenarios steht ein junger Mann, der über groben Winterstiefeln Arbeitshose und -kittel trägt, das Gesicht unter der Schirmmütze hinter einer großen Hornbrille verschanzt. In fast verkrümmter, nach vorne gebeugter Körperhaltung, bearbeitet er ein kleines Drumset und raunt in monotonem Sprechgesang Erstaunliches ins Mikrofon: »Wie sollen wir aufrecht gehen können … wenn wir ständig durch die Röhre kriechen müssen … wir könnten ja draußen warten … aber wir haben nicht die Ruhe … Trieb und Moral!«. – oder: »Das Leben hat kein Dach …wir liegen alle flach …auf dem Bauch und Rücken …wir brauchen uns nicht bücken.« – oder: »Sprechen und hören, sprechen und hören, sprechen Sie gut?«
Dieser Mann heißt Ralf Schuster. Auftritte seiner Post-Punk-Dilettanten-Pop-Formationen »Mesomere Grenzstruktur« und »Rassenhass« hatten Mitte der 80er Jahre Kultstatus. In den verschrobenen, zwischen Melancholie, Aggressivität und Groteske taumelnden Songminiaturen liegen wohl die Keimzellen der Schusterschen Ästhetik, wie sie noch bis heute in seiner filmischen Arbeit zu spüren sind.

Um 1985 herum hatte der Punk auch die unterfränkische Provinz endgültig erreicht. Der Aufruf zu Dissidenz und antibürgerlicher Attitüde, die Idee eines ungehobelt-dilettantischen Auslebens jedes kreativen Impulses, die Ästhetik des Häßlichen, des Mülls, des Destruktiven, fiel nun auch hier auf fruchtbaren Boden. Auf dem langen Weg von der Großstadt in die Dörfer hatte der Punk allerdings einiges vom noch reichlich unreflektierten, pathetischen Sturm und Drang und damit einiges der doch eher naiven Plakativität seiner Frühphase verloren, dafür um so mehr an Subtilität, groteskem Humor und Hintergründigkeit hinzugewonnen. Doch blieben der Hang zum Ungehobelten, Unfertigen, das dilettantische Do-it-yourself-Verfahren in seiner perfektionsverachtenden Haltung, weiterhin seine bestimmenden Stilmittel. Dazu gehörte auch, daß man sich nicht auf ein künstlerisches Medium zu beschränken hatte. Gerade der stetige Wechsel zwischen verschiedenen künstlerischen Formen konnte Garant für eine ursprüngliche, unverbildete Frische im Umsetzen der eigenen kreativen Ideen werden.

Diesen Prinzipien ist Schuster in den mittlerweile über zwanzig Jahren seines Schaffens stets treu geblieben. Es gibt und gab kaum ein künstlerisches Feld, das von Schuster nicht irgendwann beackert wurde: Punk-Fanzines, Prosa- und Gedichtbändchen, Tonträger, Gemälde, Collagen, Filme und die Erinnerung an ungezählte Performances unterschiedlichster Mach- und Gangart aus den letzten zwei Jahrzehnten legen davon beredtes Zeugnis ab. Und so kann die Werkschau des Filmemachers Ralf Schuster, wie sie im Rahmen des 31. Internationalen Filmwochenendes Würzburg (und mit Unterstützung des notorischen galerie nulldrei e. V.) zu sehen war, auch nur einen – wenn auch sehr wichtigen – Teil des Künstlers Ralf Schuster präsentieren. Diese Werkschau zeigt allerdings auch, daß man es im Laufe von zwanzig Jahren auf dem Gebiet des verschrobenen Dilettantismus paradoxerweise zu meisterlicher Perfektion bringen kann.

Davon ist allerdings in den frühen Produktionen noch wenig zu spüren. Die verwackelten Super-8-Streifen aus den Jahren 1986/87 versprühen noch ganz den Charme der alten »Rassenhass«- und »Grenzstruktur«-Tage, in denen der böse Punk über die friedliche Ochsenfurter Idylle hereinbrach. Das tut er beispielsweise in der Stummfilmgroteske Das Ende des Käpt’n Flint (1986) als ein in zerrissene Jeans und speckige, schwarze Lederjacke gekleideter Schurke, der ein kleines, einheimisches Mädchen überfällt. Den Raub ihres Rotkäppchenkorbes und die Zerstörung ihrer niedlichen Papierschiffchen bezahlt er allerdings mit einem gewaltsamen Tod. Das tut er auch in Pest (1987), nun aber schon in wesentlich subtilerer Form, in Gestalt der grotesken Idee, daß das friedlich-beschauliche Leben des Protagonisten von der Tyrannei wildgewordener Miniaturautomobile bedroht wird. Und das tut er auch noch in dem bereits auf 16 mm gedrehten Zeichentrickfilm Suburb Snake (1991), diesmal in Gestalt eines Computerspiel-süchtigen Außerirdischen, dem innerhalb von 90 Sekunden 14 Menschen zum Opfer fallen.

Als Schuster 1992 nach Berlin zieht, hat er sich als Künstler bereits etabliert, hat neben zwei Filmpreisen mit dem Passauer Scharfrichterbeil auch einen renommierten Kleinkunstpreis für seine multimedialen Aktivitäten im Duo mit seinem langjährigen Kombattanten Robert Weber gewonnen. Robert Weber, der 1986 bereits den Käpt’n Flint gegeben hatte, war mittlerweile auch nach Berlin übergesiedelt. Dort spielt er die Hauptrolle in Rudis letzter Fall (1995), einem Kurzkrimi, der das großstädtische Flair des neuen Lebensumfeldes geschickt in den mittlerweile gefestigten, skurrilen Individualstil Schusters integriert.
Zwei weitere Filme aus der Berliner Phase, Einige Zahlen über die Bevölkerung Berlins (1994) und Anna in Not (1995), zeigen vor allem, neben ihrer schwarzhumorigen Finesse, den mittlerweile nahezu perfekten Umgang Schusters mit Trickfilm- und Collagetechniken.

1995 zieht Schuster nach Cottbus um. Eine feste Anstellung an der dortigen technischen Hochschule sichert dem Künstler einerseits einen geregelten Lebensunterhalt und ermöglicht andererseits den Umstieg auf preisgünstigere Videotechnik. Die sich aufdrängende Thematik einer vom Aussterben bedrohten, langsam verfallenden Grenzstadt im deutschen Osten fügt sich perfekt in Schusters bizarre Ästhetik. Filme wie Zu vermieten (2004) oder Ende eines Cineasten (2004) sind Meisterwerke eines melancholisch-skurrilen, stets das »Normale« subversiv untergrabenden Stils auf technisch hochstehendem Niveau. Die Trickfilme Anna in höchster Not (1996) und Wie die Putzfrau mein Lebenswerk zerstörte (2004) sowie der experimentelle Dokufilm New York (2004) zeigen nochmals die Vielseitigkeit eines Filmemachers, der an den existentiellen und weniger existentiellen Problemen dieses Lebens leidet, dessen unverwüstlicher, teils schroffer Humor, der sich immer noch aus der angriffslustigen Verve seiner provinziellen Undergroundsozialisation speist, ihn jedoch davor bewahrt, ins (Selbst-)Mitleidige oder Jammerhafte abzugleiten.
Die bewundernswerte innere Konsistenz und Kohärenz seines bisherigen – nicht nur filmischen – Gesamtwerkes, die unbestreitbare Qualität seiner Arbeiten, ist einmal mehr Beweis für das künstlerische Potential eines verschrobenen Dilettantismus mit punkfarbenen Wurzeln.

Jürgen Zink