Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bejing
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Porträt Attila József (Ausschnitt).
Fotos: Achim Schollenberger

»Leg’ nieder … dein Haupt« (2004)

Janet Brooks Gerloff

»ohne anzuklopfen«

Bilder von Janet Brooks Gerloff zur Lyrik des Ungarn Attila József

von Berthold Kremmler

Attila József, mit einem stimmhaften Zischlaut in der Mitte – wer hätte je diesen Namen gehört in unseren Breiten?

Und doch ist es die legendäre, ungarische, lyrische Stimme vom ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, die ganz selbstverständlich als Stimme ihres Landes in dessen allgemeines Gedächtnis eingegraben ist. Schon in der Grundschule lernen die Schüler ihn kennen – und vergessen ihn offenkundig nicht mehr.

Das sagte Konsul Vince Szalay-Bobrovniczky vom ungarischen Generalkonsulat in München, als in der Würzburger Industrie- und Handelskammer eine Ausstellung mit Bildern von Janet Brooks Gerloff eröffnet wurde, deren Bilder von Verszeilen und Versen Attila Józsefs angeregt sind. Uns Snobs zaubert eine solche Information allenfalls ein ungläubiges Staunen ins Gesicht. Eine kleine Stichprobe unter Ungarn in Würzburg hat ergeben: es stimmt. Wenn man bedenkt: Bei uns geht ein Aufseufzen durch die Feuilletons, daß nur bei 42 Prozent der Bevölkerung der große Bertolt Brecht ein Begriff sei – und das im Jahr seines 50. Todestags! Die Ungarn aber haben einen Volksschriftsteller, nein, einen Lyriker, den jeder ganz selbstverständlich kennt – nur wir Fast-Nachbarn nicht! Vielmehr müssen wir uns durch eine gebürtige Nordamerikanerin aus Sterling/Kansas auf diesen Poeten wieder aufmerksam machen, uns zu ihm verführen lassen.

Dank also der IHK, die diese Ausstellung in Würzburg im Rahmen des »Ungarischen Kulturjahrs 2006« ermöglicht hat, Dank an das ungarische Konsulat, das sie unterstützt und bei der Präsentation am Main mitgewirkt hat.

Und großes Bedauern, daß dieser so wirkmächtige Autor nicht in unseren Buchhandlungen präsent ist. Dabei hat bereits Hans Magnus Enzensberger 1960 in seinem klassischen »Museum der modernen Poesie« eine Handvoll Gedichte des Ungarn abgedruckt. Seit neuestem gibt es im Zürcher Ammann-Verlag, der sich um die Entdeckung und Wiederentdeckung avantgardistischer Literatur so große Verdienste erworben hat (Mandelstam, Pessoa etc), eine dicke Sammlung der Werke Józsefs, wenn auch zu einem nicht wirklich einladenden Preis. Preiswerter ist der schön aufgemachte Ausstellungskatalog, der eine kleine Auswahl von Gedichten, die für die Malerin zur Inspirationsquelle geworden sind, abdruckt, mitsamt dem originalen Text und den Bildern und Zeichnungen von Janet Brooks Gerloff.

Die neue Übersetzung hat nur einen Nachteil: Sie macht es dem Leser nicht leicht zu erkennen, ein wie schwieriger oder einfacher Autor Attila József ist. Das kann man am Vergleich mit den Übersetzungen von Stefan Hermlin sehen, die bei Enzensberger abgedruckt sind; ob diese geglättet sind oder nur von einer dem Original nachempfundenen Eleganz – wir können es nicht beurteilen.
Sehen Sie selbst, am Beispiel eines Selbstporträts von Anfang April 1928:


Attila Jószef

Froh war er, gut – vielleicht verstockt
In seinem vermeintlichen Wahren.
Er mochte gutes Essen, gar Gott
wollte er gleichtun mit den Jahren.
Mantel gab ihm ein jüdischer
Arzt, und seine Verwandten nannten
Ihn nur: Auf-Nimmerwiedersehn.
Unter den orthodoxen Griechen
fand er keine Ruh, fand nur Pfaffen –
war Landesmeister im Verfallen,

doch ihr, ihr lasst die Trauer fahren.

Übersetzung: Daniel Muth (2005)


Attila Jószef

Gut war er, heiter. Als verdrießlich auch bekannt,
wenn man verlachte, was er seine Wahrheit nannt.
Er liebte gut zu essen. Was als sicher gilt:
in ihm selbst sah man manchmal Gottes Ebenbild.
Ein jüdischer Arzt ließ ihn nicht ohne Mantel gehn.
Die Seinen nannten ihn Laß-dich-nicht-wieder-sehn.
Hat in der Kirche seinen Frieden nicht gefunden.
Nur Pfaffen. Stürze viel bedeckten ihn mit Wunden.
Sehr hat sein Bettlerlos zwar diese Welt gestört,
doch hat die Sorge um ihn endlich aufgehört.

Übersetzung: Stephan Hermlin (vor 1960)


Nicht selten hat man leider das intensive Gefühl, daß der Übersetzer die deutsche Sprache nicht sicher beherrsche. »Spröde« ist noch das schwächste Epitheton, das man dieser Übertragung zusprechen muß.

Nun aber zu dem, was die US-amerikanische Malerin Janet Brooks Gerloff aus den Gedichten gewonnen hat. Verszeilen dienen als Titel der Bilder, die in den Jahren 2000 bis 2004 entstanden sind. Im obersten Ausstellungsraum der IHK hängen drei großformatige Bilder, die offenbar Grundstimmungen von Attila József aufnehmen: Alle drei sind dominiert von einem Farbton und einer Gestaltung, die geradezu ein Gefühl klassischer Glättung vermitteln: ein elegantes Graubeige, dazu ein hoher Horizont als Teil geometrisch einfacher Flächen. Der ruhige Bildaufbau, die abgeklärten Farben, die unaufgeregte, reduzierte Bewegung wirken vornehm, strahlen einen melancholischen Reiz aus. Die Bilder scheinen, als seien die Hegel’schen Furien des Verschwindens hindurchgeweht und hätten nur noch Schattenhaftes zurückgelassen. Das ist sehr anziehend, wenn auch eher ein prägnant-reduzierendes Weiterspinnen Józsefscher Motive.

Dabei sind die Bilder durchaus nicht als Illustration der Texte zu verstehen, vielmehr als eine Lektüre der Gedichte, die vor allem die Stimmungen einzelner Zeilen aufnimmt und umsetzt. Wenn in einem dieser Gemälde ganz zart Schienen angedeutet sind, die man erst aus der Nähe als solche erkennt, wird man nicht leicht zur Vermutung gedrängt, daß Attila József den Tod auf Schienen gesucht und gefunden hat. Der bitteren Armut, des ständigen Kampfes ums Überleben von Jugend auf wird der Leser in so zurückhaltenden Bildern kaum gewahr, nicht der Unterdrückung, nicht der Auflehnung, mit denen József sein Leben lang sich hat herumschlagen müssen. Nicht Protest, eher Wehmut senden diese Bilder aus, die Präsenz von Einsamkeit, Verlassenheit, Verschwinden und Tod, nicht den Kampf dagegen.

Eine Lektüre Attila Józsefs, gewiß nicht die einzige. Aber daß uns diese Bilder an die Geheimnisse der Gedichte heranführen können, ihren eigenen intensiven Reiz ausstrahlen, macht die Qualität dieser Ausstellung und der sie vermittelnden Begegnung aus. ¶


ohne anzuklopfen – kopogtatás nélkül. Bilder von Janet Brooks Gerloff zu Gedichten von Attila József.

Ausstellung vom 21. September bis 2. November 2006 in der IHK Würzburg-Schweinfurt, Mainaustr.35, 97082 Würzburg
Öffnungszeiten: Mo.-Do. 8–20 Uhr, Fr. 8–17 Uhr, Sa. 8–12 Uhr