Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und München
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Foto: Achim Schollenberger

Totes Holz, zum Leben erweckt

von Manfred Kunz

Erinnert sich noch jemand an die Männer-Toilette in den ehemaligen Räumen des AKW in der Martin-Luther-Straße? Der Blick während der Verrichtung der Notdurft war einerseits gefangen in einem tristen Innenhof-Kerker und wurde andererseits geradezu magisch angezogen von einer quadratischen Sperrholzplatte in der Größe einer Fliese, die ihrerseits die links unten befindliche Scheibe in dem durch je zwei senkrechte und waagrechte Sprossen in neun Teile gegliederten Fenster ersetzte. »Holz lebt« waren die zwei Worte, die in blaß-blauer Farbe herunterprangten und jedem Geschäft einen Touch Alltagsphilosophie verliehen.

Welche tatsächliche Tragweite und ästhetische Wucht diese Worte jenseits ihrer damals banalen Umgebung entfalten, erschloss sich dem Autor erst wieder beim Besuch im Atelier des Holzbildhauers Kilian Emmerling. Heimisches Holz, wohin man blickt – Nussbaum, Kirsche, Robinie, Weide, Zwetschge in allen Zustands- und Bearbeitungsformen, von frisch angelieferten Stämmen und Baumleichen bis hin zu vorläufig vollendeten, glänzenden Figuren und Skulpturen. Tote, abgestorbene Materie, verwachsen und verkrüppelt, achtlos der Verwitterung und dem Verfall preisgegeben. Und doch schwebt selbst bei tief winterlichen Temperaturen dieses »Holz lebt« wie ein unsichtbarer Bann in den Atelierräumen des stillgelegten Lagerhauses im Ochsenfurter Gau, strömen die oft mannsgroßen Objekte eine nicht fühlbare, aber optisch sichtbare Wärme aus.

Ursache dieser atmosphärischen Aura ist wohl – man zögert, ob der Abgenutztheit des Wortes, obwohl es die Art des Arbeitsprozesses am genauesten beschreibt – die »Nachhaltigkeit«, mit der Emmerling seiner Profession nachgeht und die sich ihrerseits in den Kunstwerken manifestiert. »Die Eigenheiten und jeweilige Beschaffenheit des Materials ernstzunehmen, der spürbaren Individualität und ›Lebensgeschichte‹ eines Baumes auch im Ausdruck und in der künstlerischen Form gerecht zu werden«, beschreibt der Autodidakt seine Vorgehensweise. Explizit bezieht er die Sprünge, Risse, Verwachsungen, unterschiedlichen Schichtungen, ja gar die verschiedenen Färbungen in ein und demselben Objekt in seine Gestaltung ein. Er setzt seinen künstlerischen Impuls nicht dem Holz entgegen, sondern arbeitet im doppelten Wortsinn mit dem Material.

So steht am Ende der künstlerischen Bearbeitung, die sich an einem Objekt schon mal über Wochen hinziehen kann, eine gelungene Symbiose aus lebendiger Natürlichkeit und künstlerischer Kreativität. Und wie ein Baum im Jahreslauf Form und Aussehen ändert, so lösen auch die teils grazilen, teils wuchtigen Skulpturen, die Emmerling für seine erste Ausstellung im Würzburger Spitäle ausgewählt und wirkungsvoll im Raum platziert hat, je nach dem Blickwinkel des Betrachters ganz unterschiedliche, ja unter Umstände extreme Assoziationen aus: Erotik und Sinnenfreude, Trauer und Vergänglichkeit, Lebensbejahung und Lebenszweifel. Sinnfälliger läßt sich jenes »Holz lebt!« figürlich und optisch kaum denken. ¶


Die Ausstellung Kilian Emmerling meets Norbert Schmelz ist noch bis 5. Februar 2006 im Spitäle in Würzburg zu sehen.

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