Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und im Ballsport
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Foto: Wolf-Dietrich Weissbach

Baustelle Würzburg

Die Hosen der Stadträte

von Ulrich Pfannschmidt

Es war im vergangenen Jahrhundert, so etwa um das Jahr 1993 – das genaue Datum liegt im Dunst der Geschichte verborgen – als der Stadtrat von Würzburg einen Architektenwettbewerb ausschrieb, um Vorschläge für die Neugestaltung des Marktplatzes zu erhalten. Architekten und Jury mühten sich, ein erster Preis wurde gekürt und der Stadtrat beschloß ihn auszuführen. Leider blieb das Vorhaben unterwegs stecken. Und so kam es, daß Bürger und Gäste heute einen halben Marktplatz mit einer kleinen Halle bestaunen können. Das Staunen währt nun schon beinahe 10 Jahre. Allerdings beginnt sich allmählich ein sonderbarer Effekt einzustellen. Der eine und die andere hat sich an das zwiespältige Aussehen gewöhnt; und wie es so mit schlechten Angewohnheiten geht, sie mögen gar nicht davon lassen.
Inzwischen gäbe es eine durchaus reale Chance, den Unvollendeten zu vollenden. Ja, sogar am Gelde scheint es nicht zu mangeln. Aber auch nicht an Bedenken und jenen, die sie unermüdlich vor sich hertragen. Und so wird denn eine Entscheidung wieder und wieder verschoben.

Eigentlich ist die Situation sehr übersichtlich. Wenn man sich als Ziel vornimmt, die Struktur der Innenstadt im Bereich des Marktplatzes nach den Zerstörungen des Krieges und der Nachkriegszeit wiederherzustellen, also echte Stadtreparatur zu treiben, liegen die notwenigen Schritte klar vor Augen: Wiederherstellung der räumlichen Fassung der Platzes, wie sie von Antonio Petrini überkommen war, Freilegung der Feldes vor der Westfassade der Marienkapelle und Beseitigung aller störenden Aufbauten und Einfahrten der Tiefgarage, Befreiung des Platzes von überflüssigem Mobiliar, Fortsetzung und Vollendung der Platzoberfläche. Darin eingeschlossen sind die Veränderung der Garagenentlüftung und die Verlegung der Einfahrt in die Tiefgarage. Ob man die gläserne Halle nun als Gewinn oder Verlust für den Platz betrachtet, kann dahin gestellt bleiben. Sie behindert jedenfalls die weitere Planung nicht und wegen ihrer relativ geringen Höhe sprengt sie auch die durch Obergeschosse und Traufen der Randbebauung geprägte Fassung nicht. Wenn man als oberstes Ziel der Planung die räumliche Wiederherstellung des Platzes ansieht, ist jede Maßnahme daraufhin zu betrachten, ob sie dem Ziel dient oder im Gegenteil das Ziel auf Dauer unerreichbar macht. Wie wichtig Antonio Petrini die räumliche Fassung des Platzes war, erkennt man an der rigiden Umzingelung mit einem gleichförmigen, hierarchiefreien Arkadenband in der Erdgeschoßzone. Die genannten Planungsschritte vertragen sich alle mit dem Ziel.

Geradezu magnetisch zieht wieder einmal die äußere Gestaltung eines Ersatzbaues für die verschwundenen zwei Bauten, deren nördlicher als Petrinihaus durch die Diskussion geistert, die Kritik an. Gern hätte wohl manch einer ihre Rekonstruktion. Das 19. Jahrhundert hat die Häuser aber in einer Weise verändert und verstümmelt, daß die Bezeichnung Petrinihaus einer Beleidigung des Altmeisters gleichkommt. Nicht geringe Teile des Marktplatzes zeigen die Architektur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einer Bauweise, die zur Zeit wenig geschätzt wird, was sich bald ändern könnte, wenn man aktuelle Ausstellungen zur »Architektur der Wirtschaftswunderkinder« im Münchner Architekturmuseum oder im Spessartmuseum in Lohr als erste Signale nimmt. Unter Beachtung der heterogenen Randbebauung kann ein ernsthafter Einwand gegen eine Gestaltung mit den Mitteln unserer Zeit nicht vorgebracht werden. Dies auch deswegen nicht, weil sich nämlich gegenüber früher eine bedeutende Veränderung ergeben hat. Jedes neue Gebäude wird nicht mehr auf gewachsenem Boden mit hoher Tragfähigkeit stehen, sondern auf der Decke einer Tiefgarage, die nur gering belastbar ist. Es braucht also eine weniger lastende, moderne Konstruktion.

Damit, so könnte man meinen, sei das Problem zwar kurz, aber doch erschöpfend abgehandelt. Spätestens jetzt wird sich der geneigte Leser fragen: Was hat das alles mit den Hosen der Stadträte zu tun? Da ist doch sowieso nichts Wesentliches drin. Welch ein Irrtum! Das Wohl der Stadt auf den Lippen, tragen sie ein wahrhaft tapferes Herz in ihrer Hose. Mutlos und zu schwach für eine Entscheidung decken sie ihre Blöße mühsam mit Hinweisen auf ihre Verantwortung. Eine saubere Tarnkappe, zusammen mit dem Ringel der Scheinheiligen, putzt sie ungemein. Von Monat zu Monat wird die Entscheidung verschoben. Hilflos irren sie umher, auf der Suche nach der einen Lösung, die jedermann gefällt, obwohl sie doch wissen müßten, eine solche Lösung gibt es nicht. Es wird Zeit, daß sich der Stadtrat von Würzburg seiner Aufgabe besinnt und handelt, bevor Geld, Zuschuß und Investor sich verflüchtigen. ¶