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Promomaterial (Archiv Marion Eberl)

Promomaterial (Archiv Marion Eberl)

Außen- und Innenansichten

xyeahx

Aus einer heftig krachenden Gewitterwand beklemmend-noisiger Gitarren, gequält treibendem Bass und sich stolpernd verweigerndem Schlagzeug schreit der Sänger von The Saddest Landscape seine Verzweiflung den im Takt nickenden Köpfen entgegen:
»We will still watch our shadows dance on polaroids and loose leaf paper and I don’t want you to be scared anymore because even though I hear angels calling my name it is you they are sending me to.«
Eine Screamo-Band aus Massachusetts, USA, spielt im Immerhin, Würzburg.

Greifbares …
Organisiert wurde dieses Konzert im Sommer letzten Jahres von xyeahx, einer unkommerziellen Veranstaltergruppe, die seit März 2003 regelmäßig Bands und Solokünstler unterschiedlicher musikalischer Genres aus Europa, Kanada und den USA nach Würzburg einlädt. Von »laut, schnell und schreiend« bis hin zu »ruhig, langsam und singend«, so beschreibt die xyeahx-Website die akustischen Pole, die die Bandbreite markieren. In Stilschubladen ausgedrückt, umfasst sie Emo/Hardcore, Screamo/Posthardcore und Punk ebenso wie Indierock, 80ies-orientierter Elektro oder Singer-/Songwriter-Pop.
Ins Leben gerufen wurde diese Initiative von drei Studenten, die – neu in Würzburg – ein derartiges Veranstaltungskonzept in dieser Stadt vermißten. In punk-/ hardcoregeprägten Szenen aufgewachsen, hatten die Jungs bereits erste Erfahrungen als Konzertveranstalter in Ansbach, Bad Neustadt und Ebern gesammelt.
Die ersten Konzerte fanden überwiegend im Immerhin statt. Vor der spröden Kulisse dieses familiär kleinen Clubs verströmten Musik und Publikum den ambivalenten Charme einer relativ verschlossenen Subkultur. Optisch uniform, mit schwarzgefärbten Haaren, schwarzen Band-T-Shirts und entsprechenden Accessoires, erweckte das Gros der Gäste den Eindruck eindeutiger Szenezugehörigkeit und Abgrenzung.
Durch konsequente Programmplanung und effektive Promoarbeit hat sich xyeahx inzwischen als Markenbegriff in der alternativen Konzertszene Würzburgs etabliert. Ihre Veranstaltungen finden regelmäßig in den konventionellen lokalen Medien, wie z. B. den Stadtmagazinen und der Tagespresse, Beachtung. Dabei steht der Name für Live-Musik mit intellektuellem Punk-/ Hardcore-Hintergrund und präsentiert häufig auch musikalische Trends des alternativen Zeitgeistgeschehens, das an Städten in der Größenordnung Würzburgs meist vorbeigeht.
Seit der Gründung vor mehr als zwei Jahren organisierte xyeahx etwa 30 Konzerte, die von einer tendenziell steigenden Zahl an Gästen – durchschnittlich zwischen 50 und 80 – besucht werden. Die Veranstaltungen finden mittlerweile überwiegend im Cairo statt, das einen größeren Konzertraum bietet als das Immerhin. Das Konzert von Amanda Rogers, New Yorker Singer/Songwriter, im Dezember letzten Jahres war beispielsweise mit 210 Gästen restlos ausverkauft. Als Gruppe ist xyeahx auch gewachsen, ein Mitglied stieg aus, drei Studenten und eine Studentin kamen dazu. Und in das Schwarz des Publikums mischt sich immer mehr Farbe.
Daß sich das non profit-orientierte Konzept, monatlich etwa ein Konzert mit meist kaum bekannten Künstlern zu veranstalten, über die Jahre in Würzburg tragen würde, hatten die Initiatoren ursprünglich nicht erwartet. Aus Freude darüber veranstaltet xyeahx am 20. Mai ihr »Jubiläumsfest« mit vier Bands im Cairo: »Das große 2 Jahre und 2 Monate-xyeahx-Dingens«.

Selbstbegriff und Übergreifendes...
So viel zu den Fakten einer Entwicklung. Aber was steht hinter diesem lokalen »Phänomen«? Was bedeutet es den Akteuren? Und wie nehmen sie selbst ihr Engagement wahr? Um diese und weiterführende Fragen ging es in einem Gespräch mit Frank, der die Initiative mitbegründet hat, und Matthias von xyeahx.
Der Name »xyeahx«, auf der Website auch als »The xyeahx-Movement« bezeichnet, legt Assoziationen nahe. Trifft man doch häufig auf das »X« im Kontext der Straight Edge-Bewegung, die sich in den achtziger Jahren im Zuge von Ausdifferenzierungsprozessen aus der US-Hardcore-Szene entwickelt hat. Eine direkte Bezugnahme? Frank und Matthias distanzieren sich von dieser assoziativen Verknüpfung:

Wenn, dann ist der Bezug eher ironischer Art. Gegen das Identifikations- und Abgrenzungsbedürfnis, die Arroganz und Intoleranz der sog. »Szene«. Wir verstehen Punkrock und Hardcore nicht im Sinne eines bestimmten Musikstils, sondern im Sinne eines Denkansatzes. Daher streben wir auch ein breites Spektrum an Musikstilen an. Straight Edge im Sinne von »kein Alkohol, keine Drogen, etc.« hat für uns auch keine politische Aussage, sondern kann maximal eine persönliche Motivation sein.

Als Bewegung sieht sich xyeahx durchaus. Dabei liegt ihre Intention darin, sich gegenüber Kommerz und den entsprechenden Strukturen der Musikindustrie abzugrenzen, insbesondere gegenüber dem dort etablierten starren System aus Anbietern versus Konsumenten des Produktes Musik. Ihnen geht es um »mehr als Musik«: Sie wollen ihre eigenen Vorstellungen von Punkrock und Hardcore aktiv umzusetzen, indem sie selbst alternative Strukturen schaffen bzw. unterstützen, sowohl für Musikinhalte abseits der Industrie, als auch für Menschen mit ähnlichen Ideen. Konkret bedeutet das für xyeahx, selbst Musik zu machen, selbst Konzerte zu organisieren, selbst Flyer zu gestalten … »Do It Yourself« – DIY, eine (andere) Maxime der Punk-/Hardcore-Szene.
Hinterfragt man die erklärte Distanzierung vom Begriff »Kommerz«, so räumen Frank und Matthias ein, wie schwierig sich die Grenzen ziehen lassen. xyeahx arbeitet als Konzertveranstalter auch mit Bands, Booking-Agenturen und indirekt Labels zusammen, die professionell auftreten. Das Label GSL beispielsweise hat so erfolgreiche Bands wie The Mars Volta oder The Rapture unter Vertrag. Wo also fängt Kommerz an?

Wenn Entscheidungen danach getroffen werden, ob sie kommerziellen Erfolg bringen können, dann ist das problematisch. Wichtig ist die Frage, inwieweit dieses »Kommerziellsein« bewusst gesteuert ist oder sogar erzwungen wird. Wir glauben nicht, daß z. B. GSL nur Bands nach dem Kriterium signt, ob sie kommerziell erfolgreich sein können. Natürlich bewegen wir uns da auf einem schmalen Grat. Es gibt einfach keine scharfe Trennlinie, wo Kommerz beginnt. Im Zweifelsfall entscheidet dann der Bauch.

Politische Vorstellungen spielen in der Arbeit von xyeahx eine wichtige Rolle und bestimmen u.a. auch die Auswahl der Bands bzw. Künstler:

Wir sind in unserer Gruppe nicht immer alle einer Meinung, was Positionen zu bestimmten politischen Themen angeht. Aber wir haben einen Basiskonsens hinsichtlich bestimmter gesellschaftspolitischer Prinzipien wie Antirassismus, Antisexismus oder der Distanzierung gegenüber Homophobie.

Bei der Umsetzung dieser Grundsätzen stoßen xyeahx allerdings auch manchmal auf Schwierigkeiten, denn im allgemeinen läßt sich lediglich die Außenwirkung einer Band nachvollziehen, z. B. anhand ihrer Texte. Die Biographien der einzelnen Bandmitglieder hingegen können nicht überprüft werden, auch wenn dieser Anspruch im Einzelfall von der »Szene«, dem xyeahx-Stammpublikum, gestellt wird:

Kritik finden wir o.k., aber oft werden Bands in Internet-Foren der Szene aufgrund von Halbwahrheiten und Gerüchten, z. B. zu ihrer Israel-Haltung oder zu Sexismus einzelner Bandmitglieder, kaputtgeredet.

Im April veranstaltete xyeahx ein Konzert der US-amerikanischen Band The plot to blow up the Eiffel Tower im Cairo. Ihr zweites Album »Love In The Fascist Brothel« ist insbesondere in Deutschland nicht unumstritten, weil die Band sowohl in ihren Texten als auch beim Artwork nationalsozialistische Schlagworte und Symbole als Bezugssystem bzw. Stilmittel verwendet. Auf dem Albumcover beispielsweise ist ein Wehrmachtsoffizier mit Brüsten dargestellt, der einem »Nazi«-Pferd nachstellt.
Ein Widerspruch zum von xyeahx geäußerten Wertesystem? Frank sieht darin keine Verharmlosung oder Glorifizierung des Nationalsozialismus:

Gelungen finden wir das Cover aber nicht, eher peinlich und platt. Daß man mit so einem abgedroschenen Provokationsthema noch solche Reaktionen auslösen kann … Auch bei den Texten geht’s um Provokation. Daß die Band damit manchmal Grenzen überschreitet, ist ihr bewußt, und das bekommt sie auch zu spüren, z. B. in Form von zerstochenen Reifen oder Schlägereien. Da wird das Ganze dann auch wieder fraglich. Aber als Gesamtkonzept finden wir es dennoch gut, weil die Band das Publikum herausfordert.

Betrachtet man die Entwicklung von xyeahx aus kritischer Perspektive, so stellt sich die Frage, ob sich die Veranstaltergruppe von ihrem ursprünglichen, selbstgestellten Anspruch entfernt hat: Eine professionell wirkende Vermarktung sowohl der veranstalteten Konzerte als auch des »Labels« xyeahx, die Integration in die lokale Medienszene, die steigenden Besucherzahlen, ein heterogeneres Publikum und bekanntere Acts. Darüber hinaus erheben sich Zweifel, inwieweit die Inhalte überhaupt das Publikum erreichen. Inzwischen scheint eine Art »be there – be cool«-Effekt auch eine mögliche Motivation zu sein, xyeahx-Veranstaltungen zu besuchen.
Dieser Problematik ist man sich bewußt. Insbesondere führte das ausverkaufte Konzerte von Amanda Rogers vergangenen Dezember, das von einem außerordentlichen Medien-Hype begleitet war, zu internen Diskussionen: Haben sich in den vergangenen Jahren Kompromisse eingeschlichen?
Zum »Wachstum« als Etablierungsprozeß steht xyeahx. Frank und Matthias sehen darin keine Verwässerung des Anspruchs, sondern eine Erweiterung ihrer Möglichkeiten. Im Fall Amanda Rogers beispielsweise blieb man den DIY-Strukturen treu. Die Künstlerin wurde über dieselbe Agentur mit ähnlichen Konditionen gebucht wie bei ihrem ersten Konzert in Würzburg, Monate vor dem Hype. Was die Kommunikation von Ideen angeht, so begleitet die Freude über ausverkaufte Veranstaltungen eine gewisse Resignation:

Uns ist bewusst, daß es manchen Konzertbesuchern dabei nicht um die Inhalte geht. Das ist frustrierend. Aber dann überwiegt der Gedanke, daß diese Leute zumindest die weniger bekannten Bands, die uns wichtig sind, mitfinanzieren.

Hingehen und zuhören.

Marion Eberl


Das große 2 Jahre und 2 Monate-xyeahx-Dingens am 20. Mai, ab 19 Uhr, im Cairo mit
Koufax (Detroit, USA)
Funeral Diner (Half Moon Bay, USA)
McCarthy Blacklist (Schweinfurt, D)
Proceed On… (Würzburg, D)

Weitere Informationen unter www.xyeahx.de