Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Berlin
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Sisay Shimeles
Foto: Akimo

Ein Schlüsselwerk.
Foto: Akimo

Mehrbettzimmer
statt Einzelausstellung

Als Künstler träumt man davon. Man wird eingeladen, um an einer Weltausstellung teilzunehmen, macht sich ans Werk, malt, ist stolz auf das, was man geschaffen hat, und kann sich durchaus Hoffnungen machen auf eine Laufbahn als anerkannter, erfolgreicher Künstler. Alles scheint gerichtet. Dann, vor der Eröffnung der Weltausstellung, fällt man aus allen Wolken mitten in einen Alptraum. Nichts ist es mit Händeschütteln und Schulterklopfen, den Glückwünschen zum gelungenen Werk. Man muß die Heimat verlassen und findet sich wieder einer zentralen Aufnahmeeinrichtung für Migranten und Flüchtlinge. Zirndorf statt Addis Abeba, Bayern statt Äthiopien. Mehrbettzimmer statt Einzelausstellung.

Die Eröffnung des äthiopischen Pavillons auf der Expo 2000 in Hannover fand ohne den zuvor eingeladenen Künstler Sisay Shimeles statt.
Der Künstler hatte nicht bedacht, daß Kunst und Politik andere Interessen verfolgen. Seine großen, monumentalen Wandbilder zeigten nicht nur das erwartetete, positive Bild seines ostafrikanischen Heimatlandes. Sisay Shimeles wollte neben den reichen, kulturellen Facetten auch die dunklen Seiten der äthiopischen Geschichte wie Armut, Hunger und Bürgerkrieg nicht aussparen und das wahre Gesicht eines der ärmsten Länder der Welt zeigen. Die Konsequenz: Die Expo-Verantwortlichen seines Landes hatten dem politisch unerfahrenen Maler klargemacht, daß solche Darstellungen unerwünscht sind, an Landesverrat grenzen und daß Schwierigkeiten auf ihn warten würden. Sisay Shimeles zog es darauf vor, politisches Asyl in Deutschland zu beantragen. So wurde er um den größten Augenblick seiner bis dahin hoffnungsvollen Karriere gebracht.
Bereits in seiner Kindheit zeigte der 1975 in Goba geborene Sisay Talent für das Künstlerische, und als Sohn eines Arztes hatte er auch die besten Perspektiven. Künstler wollte er werden. Er gehörte zu den 20 Glücklichen, die unter 600 Bewerbern ausgewählt wurden, um an der School of Fine Arts & Design in Addis Abeba studieren zu dürfen. Die Professoren hielten große Stücke auf ihn. Er bekam öffentliche Aufträge für Wandgemälde in Verwaltungsgebäuden und Hotels der Hauptstadt. Und er gewann kurz vor Beendigung seines Studiums den Wettbewerb zur Ausgestaltung des Landespavillons auf der Expo 2000 in Hannover.
Seit fünf Jahren war er nicht mehr zu Hause. Zwangsläufig. Er vermißt seine Familie, aber immerhin konnte er seinen Bruder kürzlich sehen. Shimeles erzählt und malt dabei an einer kleinen Figur, einem afrikanischen Tänzer. Für zwei Tage hat er in einer kleinen Ecke des Versorgungszeltes, dem Treffpunkt für Sportler und Hungrige des Würzburger Stadtmarathons auf dem großen Parkplatz am Main, seine Staffelei aufgestellt, Bilder an die flattrigen Wände gehängt und kleine Engelgemälde auf einer Bierbank ausgebreitet. Ein Äthiopier malt für Äthiopien, aber nicht für die Mächtigen, sondern für »Menschen für Menschen«. Er unterstützt so die Würzburger Gruppe der Initiative von Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe, die rund um das Würzburger Laufereignis eine Äthiopienwoche veranstaltet hat. Vom Erlös der verkauften Bilder gibt er etwas ab, um neben dem kulturellen Engagement auch eine kleine finanzielle Unterstützung zu leisten.
Vielleicht war es sogar Glück, daß er Zirndorf erst nach drei Monaten verlassen konnte, erzählt er weiter, denn auf der Expo waren ja auch »Offizielle« seines Landes, und etwas mulmig scheint es Sisay Shimeles auch noch heute zu sein, wenn er daran denkt. So kennt er die Expo 2000 nur durchs Fernsehen und aus der Zeitung. Während der Wartezeit malte er zwei Gemälde auf die Wände in der Cafeteria des Aufnahmelagers. Als er seine befristete Aufenthaltsgenehmigung bekam, war die Weltausstellung in Hannover vorbei.
Mittlerweile lebt er in Nürnberg, studiert dort Grafik-Design und malt. Ein paar Ausstellungen hat er bekommen können und bereits letztes Jahr in Würzburg im Rahmen des Africa-Festivals vor Publikum gemalt. Ein Schlüsselwerk ist dabei entstanden, welches er wieder mitgebracht hat und eigentlich gar nicht verkaufen möchte. Es erzählt aus der Urgeschichte seines Landes. Der erste Herrscher soll der Überlieferung nach der Sohn der Königin von Saba und von König Salomon gewesen sein, die sich während eines Festmahls ineinander verliebten.
Geschichte, Gesellschaftskritisches und Tradition zeigen sich in den Bildern. Die landesübliche Kaffeezeremonie beispielsweise hat er in kräftigen Farben in seiner eigenen Formensprache umgesetzt. Der Glaube ist ihm wichtig. So werden auch die äthiopischen Talismane, die kleinen Engel, zu Bilderthemen. Sie symbolisieren die göttliche Liebe, machen die Notwendigkeit von Verständnis und Akzeptanz in einer Beziehung deutlich, sollen aber auch die Verbindung zwischen der Realität und der mystischen Welt für uns öffnen.
Sisay Shimeles hat sich in seiner neuen realen Welt in Deutschland eingelebt, wenn auch das Heimweh nach der Familie immer bleiben wird. Trotz der Geschehnisse um die Expo mit ihren gravierenden Konsequenzen ist er, so scheint es, ein fröhlicher Mensch. Er kann das tun, was er immer wollte, Bilder malen und so seine mystische Welt erforschen. Vielleicht bringen ihm ja die Engel Glück. Künstler können davon ja bekanntlich eine Menge gebrauchen.

Achim Schollenberger