Nummer – Zeitschrift für Kultur in Herbipoli et Armoricae
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Ein Medium für die ganze Familie – Frühstückslektüre im Theatercafé.
Readerscan … ist eine neue elektronische Methode der Leserforschung.
Entwickelt von dem Schweizer Carlo Imboden liefert sie den Zeitungsverlagen – die zwischen 75 000 und 150 000 Euro dafür ausgeben – ähnlich wie beim Fernsehen eine tägliche Quote. Dazu wird einer ausgewählten Gruppe von Abonnenten (Panelisten), die im Falle der Mainpost einer anvisierten jüngeren Ziel-Leserschaft entspricht, ein elektronischer Stift in die Hand gegeben, mit dem bei der täglichen Zeitungslektüre der jeweils letzte, gelesene Satz eines Artikels markiert werden soll. Diese Daten werden gewissermaßen in Echtzeit an den Verlag übermittelt, sodaß die Redaktion noch am selben Tag für jeden Artikel eine Lesequote hat und darauf reagieren kann. Wie Mainpost-Chefredakteur Michael Reinhard hervorhebt, hat der »gläserne Leser« bei der Mainpost bereits zu erstaunlichen Ergebnissen und damit zu einschneidenden Veränderungen der Zeitung (Kultur-Journal) geführt und wird in den nächsten Jahren »die Zeitungsbranche revolutionieren«.
Allerdings sollte man noch wissen, daß es bei der Mainpost 120 solcher Panelisten gibt. 120 Leser, die sich bereiterklärt hatten, dabei mitzumachen, und die seitens der Mainpost als »repräsentativ« gelten, schaffen die Datenbasis für die Umgestaltung der Zeitung.
Die Zweifel an der behaupteten »Wissenschaftlichkeit« dieser Methode könnten sogleich zu einem weiteren Artikel verleiten … lassen wir das. Nur noch der Hinweis, daß die seit Jahren beim Fernsehen erforschten vergleichbaren Quoten natürlich zu einem wesentlich »besseren« Programm geführt haben und wie auch die in der Öffentlichkeit weniger bekannten »Abdruckquoten«, etwa bei Presseagenturen, im Laufe der Zeit vor allem hervorragend zum Abstrafen des Personals geeignet sind.

Die Zukunft der Zeitung hat schon begonnen: NewsDesk der Mainpost

kostenlose Verteilung von Boulevard Würzburg beim Internationalen Filmfestival.
Dazwischen Kultur

120 Panelisten werden uns lehren, das Lesen zu fürchten

Schuhfabrikanten haben es leicht. Sie unterliegen einer normativen Kraft des Praktischen. Jedenfalls ist bislang kein Fall bekannt, daß einem vor lauter Marketing und Design zwar abgefahren-geile Schnürsenkel gelungen, dafür aber die Sohlen abhanden gekommen wären. Modernen Blattmachern hingegen passiert es, daß sie nicht mehr wissen, warum man ihre Lokalzeitung lesen soll. Es muß Gründe gegeben haben, doch wie beim Pawlow’schen Hund wird der Speichelfluß noch ausgelöst, obwohl es längst kein (nahrhaftes) Futter mehr gibt.

Das Mißverhältnis ist bekannt: Während eine immer komplexer, komplizierter und zugleich verletzlicher werdende Welt gerade auch im Lokalen ein Mehr an fundierter Information bedürfte, um sinnvolle, angemessene Entscheidungen in allen Lebensbereichen treffen zu können, leisten wir uns den Luxus, uns mit Medien zu begnügen, die immer dumpfer, immer mehr auf billige Unterhaltung ausgelegt, diesen Informationsbedarf – und sei es aus Gründen der Verständlichkeit für alle – geradezu programmatisch nicht befriedigen.
Aber wir sind mündige Bürger. Wer nur will, hat alle Möglichkeiten. Es gab freilich eine Zeit, da waren sich Verleger und Journalisten einig, daß für ein wohlgeordnetes (demokratisches) Gemeinwesen die Bürger mit den notwendigen Informationen aktiv versorgt, ja sie damit konfrontiert werden sollten und dies keineswegs wirtschaftlichen Interessen schaden müßte. Solche Rede läuft mitnichten zwangsläufig auf die Weisheit hinaus, früher wäre alles besser gewesen. Es war höchstens anders beschissen.

Ein Fräulein stand am Meere …

Anders war aber auch, daß einstmals jene Ansprüche formuliert wurden, deren Erfüllung alles zum Guten führen sollte, während diese inzwischen zu Gemeinplätzen verkommen sind – wie etwa der grundgesetzlich vertäute Auftrag der vierten Gewalt –, die jeder Blattmacher als gegessen für sich reklamiert, obgleich wir von der Erfüllung weiter entfernt sind denn je. Und werden Defizite eingeräumt, dann sind es die Leser, die guten Journalismus nicht honorieren. Vermutlich stimmt das sogar … und es stimmt auch nicht, aber das ist ein anderes Thema.

Wenn nun ein neues Instrumentarium zur Erforschung von Lesergewohnheiten und Leserinteressen (Readerscan – siehe linke Spalte) derart für Furore sorgt, daß sich die Zeitungsverlage wie die Hyänen darauf stürzen, dann doch wohl, weil sie einerseits nichts, auf jeden Fall aber nichts Genaues über ihre Leser wissen und andererseits kein eigenes ehrenhaftes Anliegen haben bzw. kein solches ihnen geeignet erscheint, die offenkundige Krise zu meistern. Sie konstatieren einen Auflagenschwund und suchen ihr Heil in einer besseren Einstellung auf die Leserinteressen, und die würden nun mal in die große Welt weisen. Für einen Kaufmann klingt das vernünftig.
Andererseits ist es erst wenige Jahre her, da war man in den Verlagshäusern landauf, landab überzeugt, die Zukunft der Zeitung läge im Lokalen (aus Kostengründen wurden daraus jedoch kaum Konsequenzen gezogen). Gottlob, jetzt weiß man es sicher besser und: Man tut es.

Eine Methode, die sich dabei gleich selbst bestätigt, ist dafür geradezu ideal. Daran können keine Zweifel geduldet werden – in der Philosophie würde man zwar von einer Immunisierungsstrategie sprechen, aber wen schert es, wenn die Rechnung aufzugehen scheint. Da fällt den Blattmachern nicht einmal mehr auf, daß die Ergebnisse ihrer neuen Methode teilweise atemberaubend banal sind: Daß ein Bericht über den Kaninchenzüchterverein vornehmlich die Kaninchenzüchter interessiert, darauf muß man erst einmal kommen. Zugegeben – in Sachen Kultur ist der Fall komplizierter. Oder vielleicht doch nicht?

… und seufzte lang und bang, …

Man solle sich den klaren Blick nicht durch zuviel Sachkenntnis trüben, riet einst der Schriftsteller Johannes Bobrowski. Soll heißen: Statt sich mit der Auslegung zweifelhaft zustande gekommener Statistiken zu »hirnen« (Mainpost-Chefredakteur Michael Reinhard) und womöglich doch – wie Gert Fricke von den Freunden des Kulturspeichers bei einer Diskussion mit Mainpost-Redakteuren zu Recht anmerkt – die falschen Schlüsse daraus zu ziehen, hülfe unter Umständen, sich darauf zu besinnen, was eine Lokal- oder meinetwegen Regionalzeitung (mit verschiedenen Lokalteilen) überhaupt sein kann, worin ihre spezifische Kompetenz besteht.
Selbst wenn es ein Zurück nicht mehr geben sollte, würde deutlich, warum eine Lokalzeitung einst als unverzichtbar angesehen wurde und warum dies inzwischen nicht mehr so ist: Natürlich sind es die geradezu intimen Kenntnisse der lokalen Verhältnisse. Die bestehen vermutlich noch immer – man merkt dies kaum, aber man duzt sich. Unverzichtbar aber war die Lokalzeitung, solange der Leser darauf vertrauen konnte, daß seine Zeitung sich bemühte, im Sinne eines Generalanzeigers wirklich alles Geschehen von eventuell auch nur geringer Relevanz im Zuständigkeitsbereich zu berichten.

So paradox es klingt: Für den Leser war wichtig, daß das meiste in seiner Zeitung ihn nicht interessierte. Somit erfüllte die Zeitung den Leseranspruch, selbst wenn dieser tatsächlich nicht immer eingelöst werden konnte – im schlimmsten Fall entschuldigte sich die Redaktion und »zog nach«. Die Glaubwürdigkeit des Bemühens war entscheidend. Verrückterweise konnten sich diesbezüglich gerade auch die kleinen Zeitungen beweisen.

… es rührte sie so sehre …

Mit der zunehmenden Pressekonzentration büßten die Lokalzeitungen aber diese Kompetenz ein. Es überlebten allerorts die wirtschaftlich erfolgreicheren, und das waren die, die – was zunächst von den Lesern als Vorzug angesehen wurde – beizeiten ihre überregionale Berichterstattung ausweiteten, die für ein breiteres Publikum schrieben, die sich populäreren Themen annahmen. Solange die größeren die kleineren aufsaugen konnten, stiegen die Auflagen ohnehin. Aber gleichzeitig wurde die Lokalberichterstattung (verschiedene Lokalteile) zunehmend zu einem ärgerlichen Kostenfaktor – man verabschiedete sich von dem Anspruch, alles Geschehen (im jeweiligen Verbreitungsgebiet) zu berichten. Nicht zuletzt weil Institutionen, Parteien, Verbände usw. ihre Öffentlichkeitsarbeit perfektionierten und allerorts die Redaktionen oft mit aufgeblasenen Belanglosigkeiten zu-müllten. Wie auch immer: Die Berichterstattung wurde mehr und mehr der Beliebigkeit anheimgegeben. Plötzlich wurden die kleineren, noch verbliebenen Lokalzeitungen geschätzt. (Man erinnere sich, daß auch in Würzburg noch in den neunziger Jahren das Fränkische Volksblatt – trotz seiner Bindung an die Kirche – als eindeutig bessere Lokalzeitung angesehen wurde.) Den Konzentrationsprozeß konnte diese Umwertung aus verschiedenen Gründen freilich nicht mehr aufhalten.

… der Sonnenuntergang.

Die Beliebigkeit dessen, worüber und worüber nicht berichtet wurde, entwickelte sich für die nunmehr großen Regionalzeitungen zunehmend zu einem Dilemma. War es lange so, daß zahlreiche Leser sich unbedingt eine Lokalzeitung leisteten und zusätzlich entweder eine große, überregionale Tageszeitung wie FAZ, SZ oder gar NZZ auf der einen Seite oder die Bildzeitung auf der anderen Seite, wird plötzlich in immer stärkerem Maße die Lokalzeitung überflüssig (eben weil »beliebig«). Und sie verspielt mit jeder aus Kostengründen durchgeführten redaktionellen Runderneuerung deutlicher ihre lokale Kompetenz. Die für die großen überregionalen Themen hat sie – trotz und wegen der ausgiebigen Verwendung von Agenturmeldungen – ohnehin nicht, und an der Schamlosigkeit der Boulevard-Presse gebricht es ihr ebenso, selbst dort, wo eifrig daran gearbeitet wird (es müssen noch zu viele Rücksichten genommen werden). Die Folge ist eine Umkehrung der Bewertung.

Gerade nun mit dem, was einst ihre Glaubwürdigkeit ausmachte, also jenes, was den Leser nicht interessierte, wird die Lokalzeitung für immer größere Kreise ihrer Leserschaft zunehmend zu einem Ärgernis. Im besten Falle empfindet man heute die einzige, noch verfügbare Tageszeitung einer Region als notwendiges (Todesanzeigen-)Übel. Insofern ist es tatsächlich unfair, etwa den Kulturredakteuren – wie geschehen – vorzuhalten, sie würden »bescheidene« Artikel schreiben; vielleicht sind die Artikel sogar besser als in früheren Tagen. Aber da sich der Anspruch der Zeitung geändert hat, hat sich damit einhergehend auch der Maßstab geändert.
Es mag ferner sein, daß der Siegeszug der elektronischen Medien den Printmedien zusätzlich schadet, im strengen Sinne ursächlich für diese Entwicklung ist er nicht. Und selbst der Umstand, daß auch die großen, überregionalen Zeitungen seit Jahren an Auflage einbüßen, verweist auf kein Gegenargument. Es ließe sich leicht plausibel machen, daß es gerade die von der Pressekonzentration ausgehende Verflachung der Medienlandschaft sein dürfte, die auch diese Blätter mit in einen Abwärtsstrudel reißt.

Mein Fräulein, seien Sie munter, …

Es geht hier übrigens nicht darum, die Lokalzeitungen zu retten, zumal mit einem Parforceritt gar nicht alle wesentlichen Faktoren gewürdigt werden können, es soll lediglich verdeutlicht werden, warum der Unmut über die Rodung eines Biotops so heftig ausfällt.
Als eine Art Biotop konnte bislang nämlich in vielen Regionalzeitungen der Kulturteil angesehen werden. Kulturredakteure genossen einen Sonderstatus, sie konnten ab und an noch etwas anspruchsvoller oder kritischer schreiben, mußten sich nicht gnadenlos am Massengeschmack, sondern konnten sich am durchaus regen, freilich mitunter sehr, sagen wir, speziellen, lokalen Kulturgeschehen orientieren, was – um im Bild zu bleiben – ganz nebenbei einer Vielzahl von kulturellen Kleinstlebewesen das Überleben ermöglichte. Auch wenn über die Jahre der Kulturteil bereits Federn hatte lassen müssen, für viele Leser erfüllte er mal etwas mehr, mal etwas weniger noch das, was man von einer Lokalzeitung erwartete.

Mit den nun vollzogenen Änderungen bei der Mainpost wurde aus dem noch halbwegs verläßlichen Kulturteil ein völlig beliebiger Mix von Artikeln, in denen doch tatsächlich bisweilen auch Kulturthemen behandelt werden. Ja, wie seitens der Redaktion fast schon weinerlich beteuert wird, soll es davon sogar mehr geben, als je zuvor. Nur geschieht dies schwerlich aus dem Anliegen, dem Leser viel Kultur zu bieten, sondern weil sich beispielsweise mit einem Interview mit irgendeinem Filmstar die Seiten viel kostengünstiger, wenn nicht gar kostenlos füllen lassen, da dies von den PR-Agenturen der Filmverleihfirmen üppig angeboten wird, wie übrigens auch die hübschen Bildchen aus Kinofilmen, die kostengünstig die verschiedensten Themen wie aus dem Leben gegriffen illustrieren – »Foto: Cinetext«.

… dies ist ein altes Stück, …

Der Protest von Kulturschaffenden und Kulturinteressierten richtet sich schlicht und ergreifend dagegen, daß die Monopolstellung der hiesigen Tageszeitung genutzt wird, sich noch weiter vom gesellschaftlichen Auftrag einer verantwortungsbewußten Berichterstattung zu entfernen.
Zugegeben, er verdeutlicht zugleich deren Ohnmacht gegen eine solche Verlagspolitik. Readerscan dient dabei lediglich der Legitimation und der Täuschung gleichermaßen: Man apostrophiert die Methode des Schweizer Zeitungschirurgen Carlo Imboden als wissenschaftlich, hält aber die Kriterien, anhand derer die »Panelisten« (jene Leser, deren Pensum elektronisch registriert wird) ausgewählt wurden wie auch die teuflischen Rechenkünste, die 120 als repräsentativ ausweisen, tunlichst unter Verschluß.
Dem Leser muß nur glaubhaft versichert werden, daß er jetzt endlich die Zeitung bekommt, die er – wie mit Readerscan belegt – will. Insofern schreiben die Mitarbeiter der Zeitung am NewsDesk eigentlich auch keine Artikel mehr, sondern sie »… generieren Inhalte und füllen sie in unterschiedliche Gefäße …« (Michael Reinhard auf den Münchner Medientagen). Optimal ist, wenn ein Inhalt – vielleicht jeweils etwas verändert – in allen Publikationen des Hauses Verwendung findet.

Man muß kein Prophet sein, um zu wissen, daß dies in Zukunft mit immer weniger Personal geschehen wird. Man könnte Wetten darauf abschließen, daß es das Ziel ist, in einigen Jahren von einem Bruchteil der heutigen Redakteure einige lokale Schnipsel in einen überregionalen Mantel einfügen zu lassen. Zum Beispiel auch Beiträge von Gastautoren: von Veranstaltern, die kostengünstig ihre Veranstaltungen selbst darstellen. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis ein Pressesprecher der Stadt als Gastautor kompetent aus dem Rathaus berichtet?

… hier vorne geht sie unter
und kehrt von hinten zurück.


Vor diesem Hintergrund sollten Würzburgs Kulturschaffende den Vorschlag des Mainpost-Chefredakteurs, eine »Clearingstelle Kultur« einzurichten, mit Vorsicht aufnehmen. Eine solche Clearingstelle wird nämlich sicher nicht dazu führen, daß einzelne Künstler bzw. Künstlerinnen, der tanzSpeicher oder andere kleine Kulturanbieter häufiger in der Zeitung auftauchen. Es würde damit lediglich der Unmut etwas abgelenkt. Tatsächlich aber würde es sich zumindest indirekt um eine weitere Rationalisierungsmaßnahme der Mainpost handeln, z. B. indem über eine derartige Institution etwaige redaktionelle Pflichtübungen kompakt geliefert und nicht zeitaufwendig recherchiert werden müßten.

Gedicht von Heinrich Heine
Fotos und das Dazwischen von Wolf-Dietrich Weißbach